Zum politischen Streit um Burte nach 1945

von Harald Noth

    Hermann Burte (1879 – 1960) war ein bedeutender deutscher Dichter mit Schwerpunkt Lyrik und Drama; wegen seiner alemannischen Gedichte wurde er von 1923 bis zu seinem Tod ziemlich einhellig neben den großen Johann Peter Hebel gestellt. In einigen von Burtes Werken scheint Kritik am wilhelminischen Kaiserreich, an der Weimarer Demokratie durch und – verhalten – auch Kritik an der bundesdeutschen Demokratie. Etwa 10 seiner über 60 Schaffensjahre wirkte er im Nationalsozialismus mit – namentlich 1940 bis 43 mit Reden zu Themen der Dichtung und Kultur, in denen er auch Hymnen auf Hitler und das „Erwachen Deutschlands“ ausbrachte. Burte kritisierte Hitler und die Nazis bis in die Anfänge des Dritten Reiches hinein offen und auch später noch im persönlichen Kreis – noch 1940/1941 veröffentlichte er das große Gedicht „Hebel rassisch“, das sich kritisch mit der NS-Rassenlehre auseinandersetzt. Wegen seiner überzogen patriotischen Einstellung, auch Nationalismus genannt, und seiner Neigung zum Führertum, die sich schon im Roman Wiltfeber gezeigt hatte, war ihm aber doch ein aktives Mitmachen im etablierten Nationalsozialismus möglich und geboten.

     In den Jahrzehnten seit dem Zusammenbruch des Nationalsozialismus kam es zu mehreren größeren politischen Auseinandersetzungen um Hermann Burte, die 1959, dem Jahr vor seinem Tod, einen ersten Höhepunkt erreichten. Gegner Burtes nahmen die Ehrungen des Dichters zu seinem 80. Geburtstag zum Anlass für scharfe Angriffe in der "Basler National-Zeitung",  der "Süddeutschen Zeitung", dem New Yorker "Aufbau" und in der ARD. Das Magazin "Spiegel" leistete sich in seiner Ausgabe vom 1. 4. 1959 eine unsägliche Polemik gegen den Dichter. Bereits hier kam die Hauptmethode zum Einsatz, die sich auch durch die Polemiken der Zukunft ziehen sollte: Das Herausreißen von Zitaten aus dem Zusammenhang des Werkes und der Zeit und der Versuch, den Dichter damit zu kompromittieren. Burte schrieb dazu eine (damals unveröffentlichte) Stellungnahme; Sie finden sie hier

   Am 17. Februar 1978 begann eine republikweite Medienkampagne gegen den baden-württembergischen Ministerpräsident Hans Filbinger; die Vorwürfe im Bezug auf seine Richtertätigkeit in der Militärjustiz im Dritten Reich führten am 7. August zu seinem Rücktritt. Ich habe mich an anderer Stelle mit diesen Anschuldigungen auseinandergesetzt. Analog zu diesem Vorgang und ermutigt durch ihn kam auch Burte unter Beschuss, als am 13. März 1978 die Benennung der Schule in Maulburg nach ihm vom parteilosen Bürgermeister beantragt, von der CDU befürwortet und von der SPD aber abgelehnt wurde. Die Burte-Frage wurde zu einem Mittel des Parteienstreits. Die Grenzen zwischen den Lagern der Befürworter und der Gegner liefen in der Folgezeit meist, aber nicht immer, entlang von Parteigrenzen oder Grenzen politischer Lager. Dass ihm das Gehabe des politischen Gegners widerwärtiger ist als das "Blut- und Bodengerede", welches er Burte vorwirft, gab der Südwestfunk-Redakteur Matthias Spranger einmal sehr deutlich zu, als er mit Blick auf die oft konservativen Burte-Freunde schrieb: 

„Ich gestehe, dass ich den Tonfall der zahlreichen und sich an Geburtstagfeiern geradezu überschlagenden Ergebenheitsadressen widerwärtiger finde, als das Blut- und Bodengerede der vergangenen Jahre.“ (1)

    In diesem Streit ging es vordergründig um die Feststellung und Bewertung von Burtes Mitwirkung in der NS-Zeit. Die Benennung von Schulen nach ihm wurde schließlich vom Oberschulamt Freiburg verboten, weil er als Vorbild für die Jugend nicht geeignet sei. Damit wurde auch Efringen-Kirchen, das schon eine Schule nach Hermann Burte benannt hatte, gezwungen, den Namen zurückzunehmen.
    In dieser Debatte wurde das höchst vielfältige Werk des Dichters auf einige Zitate reduziert, die aus dem Roman Wiltfeber gerissen wurden und auf wenige Gedichte oder Gedichtsfetzen aus seinem 1.700 Seiten umfassenden lyrischen Werk, sowie auf verfängliche Zitate aus seinen Reden, wobei der Eindruck entstand, als seien diese Hitler und Deutschland lobenden Passagen der Hauptteil und Zweck der Rede. Die Person Burtes sei nicht teilbar, so etliche Wortführer seiner Gegner, mit "verfänglichen" Teilen des Werks würden auch die "unverfänglichen" verfallen.
   
Die politisch verfänglichen Reden von Burte und sein umstrittener Wiltfeber hatten Aktualität in der Zeit, in der sie geschrieben wurden – sie waren im Markgräflerland schon 1978 weitgehend vergessen, den jüngeren waren sie völlig unbekannt. Burte wurde vor allem wegen seiner alemannischen Gedichte geliebt, die er um 1913 schrieb und 1923 herausbrachte. Johannes Pflüger schreibt in einem Leserbrief an das "Oberbadische Volksblatt" am 31. März 1989:

 „Das gute Werk von Hermann Burte lebt (...) in seiner engeren Heimat weiter. Nicht selten werden in geselliger Runde alemannische Sprüche, Gedichte von Burte auswendig vorgetragen. Man spürt dabei, wie stolz unsere Landsleute auf ihre „Muedersprooch“ sind, auf das, was sie verdichtet aussagt. Von daher findet eigentlich nur derjenige Zugang zur ‚bleibenden’ Literatur Burtes, der selbst Alemannisch spricht. Oder wie Dr. Hoffmann meint, «die Markgräfler erkennen sich selbst in seinen Mundartgedichten wieder».“

    Der Schutz der Schuljugend vor den über 30 Jahre zurückliegenden Lobhudeleien Burtes auf Hitler war so wenig notwendig wie der Schutz der Jugend vor dem Lob Bertolt Brechts auf Stalin – niemand wollte das sich und den Schülern zumuten. Niemand wollte Burte in politischen Dingen als Vorbild hinstellen. Daran hätte sich auch nichts geändert, wenn eine Schule Burtes Namen behalten hätte. Es ging nicht wirklich darum, die Jugend vor den zeitbedingten politischen Ansichten Burtes zu schützen.

    1988 kam es zu einer neuen, großen Runde des Streits. Nun wurde in Politik und Medien gefordert, Straßenbenennungen nach Burte rückgängig zu machen; zwei Landkreise und verschiedene Gemeinden wurden veranlasst, aus der Hermann-Burte-Gesellschaft auszutreten. 
    Die politischen Ansichten Burtes hieß – in der Breite und Zuspitzung, wie er sie im Dritten Reich vertreten hatte – niemand mehr gut. Aber in konservativen Kreisen gab es mehr Verständnis (nicht unbedingt Zustimmung!) für Burtes Denken als in progressiven Kreisen. Dadurch wurde Burte als Mittel des politischen Streits geeignet. Für den einen oder anderen Gegner gab es weitere Gründe der Abneigung gegen Burte und seine Anhänger:

*Burte war Repräsentant eines formverhafteten Dichtstils, den eine neue Generation nun über Bord warf.
*Burte war ein halbes Jahrhundert lang unumstrittener Repräsentant des modernen Alemannisch gewesen.

*Aus Burtes Werk spricht ein tiefer Glaube an Gott.

    Auch mit diesen Eigenschaften stellte und stellt Burte eine Zielscheibe dar, wenn auch dies nicht im Vordergrund der Anwürfe gegen ihn steht. Im Vordergrund stand und steht seine Verstrickung im Nationalsozialismus, die man verabsolutiert. Man schlägt den Sack und meint den Esel. 
    Viele Gegner wiesen weit von sich, dass sie ihn in seiner dichterischen Qualität beurteilen wollten oder dass sie außerhalb der Schulen seine Verehrung oder den freien Zugang zu seinen Werken einschränken wollten. Nein, „Bettlektüre ist schließlich Privatsache“, hieß es auf einer Diskussionsveranstaltung im Müllheim, von der die "Badische Zeitung" am 15./16. Juli 1989 berichtete. Doch es kam im September 1989 im Weil-Ötlinger Ortschaftsrat zum denkwürdigen Versuch, der Burte-Gesellschaft die örtliche Halle für eine Veranstaltung zu verweigern ... 
    Zwar hat es etliche fundierte und differenzierte Stellungnahmen zu Gunsten von Burte gegeben – einige sind unten aufgeführt – diese Broschüren oder Artikel in auflagenschwachen Zeitschriften konnten aber nicht mit Medien wie dem "Spiegel", dem Südwestfunk und der Abendschau konkurrieren oder die in der lokalen Presse vorherrschende Oberflächlichkeit und Voreingenommenheit aus der Welt schaffen. Als durchschlagender Hauptangriff auf Burte kann die demagogische "Neuvermessung" des Dichters durch den Südwestfunk-Redakteur Wolfgang Heidenreich angesehen werden; eine Analyse dieser Rundfunksendung  siehe hier.
    Das Absehbare geschah: Ein Dichter, der in monate- und jahrelangen Kampagnen als Nazi vorgeführt wird, ist zum Tode verurteilt. Burte, der in seiner Landschaft als alemannischer Dichter einmal „fast schon mythische Wurzeln“ geschlagen hatte, ist heute weitgehend totgeschwiegen und fast vergessen.
    Die Jugend im Lande Hebels und Burtes – einst ein Bollwerk der alemannischen Sprache - hat sich vielerorts ziemlich weit vom alten Dialekt entfernt. Hat der Kampf um Burte etwas damit zu tun?
    Dass es so kommen werde, befürchtete jedenfalls der deutsche und alemannische Dichter Heinz Reiff, als er am 14. März 1989 in einem Brief an das "Oberbadische Volksblatt" schrieb:

 „Je länger das Pro und Contra Burte anhält, desto mehr Schaden erleidet das Alemannische schlechthin. So, wie man eine Zeitlang den Eindruck haben musste, Alemannisch sei ausschließlich die Sprache der Protestierer, so könnte man mit der Zeit leicht annehmen, es sei die Sprache der Konservativen, Unbelehrbaren, Ewig-Gestrigen. Merken diese Leute, die sich vor diesen Wagen spannen lassen, eigentlich nicht, dass sie der alemannischen Sprache einen Bärendienst erweisen, dies um so mehr, je länger dieses Hick-Hack geht?“

    Dies war von Reiff hauptsächlich auf die Burte-Freunde gemünzt; über die Frage, wem die meiste Schuld gebührt, den Freunden oder den Gegnern, könnte man weiteren, monatelangen Streit führen.

    Wie nach den Erfahrungen der Kampagnen 1978/79 und 1988/89/90 zu befürchten war, stellt auch die am 13. Juli 2007 eröffnete Sonderausstellung "Hermann Burte und der Nationalsozialismus" in Lörracher Museum am Burghof kein unparteiisches Herangehen an Burte dar. Mehr dazu im Artikel zur Ausstellung. Die Darstellung von Burte im Museum stand unter Federführung der Historikerin Kathryn Babeck und muss als weitgehend einseitig bezeichnet werden. Gleichwohl zog sie viel wohlwollende Beachtung in der Presse mit sich; der "Sonntag" vom 9. Dezember 2007 meinte:

"Im Rückblick kann das Jahr 2007 als vierte große Welle der Auseinandersetzung mit dem schwierigen Erbe des Markgräfler Dichters und Malers (...) in die regionale Literaturgeschichte eingehen."

    Müssen wir uns so die "Auseinandersetzungen" der Zukunft vorstellen? In denen es nur eine Seite gibt - die Medien haben die Ausstellung unisono mit Lob bedient - und die andere Seite mundtot gemacht ist, nicht mehr wagt, an die Öffentlichkeit zu treten oder das Forum dazu nicht geboten bekommt? Der oben verlinkte Artikel ist die einzige kritische schriftliche öffentliche Stellungsnahme zur Ausstellung, die es im dem Jahr der "Auseinandersetzung" 2007 gab. In dieser Situation fast völliger Verteidigungslosigkeit konnte dann im November 2007 im Müllheimer Gemeinderat ein Beschluss herbeigeführt werden, durch den der Name Hermann-Burte-Straße getilgt wurde. Mehr zum "moralischen Irrsinn" in Müllheim siehe hier.

    Hatte mit Wolfgang Heidenreich und seiner "Neuvermessung" Burtes im Rundfunk bereits ein Germanist an der Barrikade Stellung genommen, fehlte es auch später nicht an Kampfbeiträgen aus dieser Wissenschaft. Noch 2009 erschien ein Aufsatz einer jungen Germanistin, in der die dichterische Qualität von Burtes Werk ausgeklammert wird, der Dichter und sein Werk aber auf politische Unkorrektheit abgeklopft wird. Eine Betrachtung dieser "germanistischen" Arbeit siehe hier.

Lernprozesse?

    In der politischen Auseinandersetzung wurde den Freunden Burtes immer wieder vorgeworfen, ihre Augen vor seiner aktiven Verstrickung im Nationalsozialismus zu verschließen. Hier wirkten aufklärend Willi Ferdinand Fischer, Georg Thürer, Helmut Bender und andere, mit größter Wirkung aber wohl Rüdiger Hoffmann, ein Mitglied der Grünen, der 1987 mit einer Rede am Burte-Abend in Haltingen eine Sicht auf den Dichter eröffnete, die weder seine Schwächen noch seine Stärken ausklammerte. 1990 folgte die sehr beachtenswerte Arbeit von Paul F. Wagner.
    Gibt es auch eine Nachdenklichkeit bei den Burte-Gegnern? In den Jahren seit dem 78er und 89er Burtestreit, gerade in den letzten, waren allgemeine politische Lernprozesse zu machen. Martin Walser, der noch 1976 von damaligen „Stuttgarter Politikern“ (gemeint war u. a. Hans Filbinger) in einer Rede im Südwestfunk (2) sagte, dass sie „einmal Handlanger der Unfreiheit waren, während Sozialdemokraten im KZ saßen“, dieser Walser wagte es, 1998 in seiner Rede in der Frankfurter Paulskirche vorzutragen:

„Kein ernstzunehmender Mensch leugnet Auschwitz; kein noch zurechnungsfähiger Mensch deutelt an der Grauenhaftigkeit von Auschwitz herum; wenn mir aber jeden Tag in den Medien diese Vergangenheit vorgehalten wird, merke ich, dass sich in mir etwas gegen diese Dauerpräsentation unserer Schande wehrt.“

 Walser glaubt, entdecken zu können,

„daß öfter nicht mehr das Gedenken, das Nichtvergessendürfen das Motiv ist, sondern die Instrumentalisierung unserer Schande zu gegenwärtigen Zwecken. (...) Auschwitz eignet sich nicht dafür, Drohroutine zu werden, jederzeit einsetzbares Einschüchterungsmittel oder Moralkeule, oder auch nur Pflichtübung.“ (3)

    Das Einsatzgebiet der Moralkeule ist riesig – so, wenn Joschka Fischer 1999 die deutsche Beteiligung an der Bombardierung Jugoslawiens damit rechtfertigt, es gelte, im Kosovo ein zweites Auschwitz zu verhindern, wenn Bischof Meisner 2005 die Abtreibungen mit den Verbrechen Hitlers und Stalins vergleicht (er hat sich später entschuldigt) oder wenn 1978 das Verbot der Benennung der Schule in Efringen-Kirchen nach Burte mit damit begründet wird, die jüdische Minderheit in Kirchen sei ausgerottet worden und suggeriert wird, Burte habe persönlich etwas damit zu tun. Das ging bis in die Fernseh-Abendschau des Südwestfunks am 12. 5. 1979 hinein. Pfarrer Georg Gnirs protestierte damals beim Intendanten:

"Leider habe ich den genauen Wortlaut nicht, die Sendung huschte ja rasch vorüber. Aber dem Sinne nach ist es so: Burte wieder einmal als Künder des Dritten Reiches und sein Verherrlicher! Und vor allem als Ursächer für die Judenvernichtung. Es war ja Absicht - und man kann alles manipulieren - es folgten nun ausführlich Bilder von Efringen-Kirchen und von seinem jüdischen Friedhof." (4)

    Demokratie und Totalitarismus dürfen nicht gleichgesetzt werden – auch die Zwänge, denen die Menschen hier wie dort unterliegen und unterlagen, nicht. Über die Zwänge in der Hitlerzeit wissen die Menschen, die sie selbst erlebt haben, am besten Bescheid. Was die heutige Zeit anbetrifft - da stehen wir mitten drin und wir sehen: Die Parteien, in denen die erbittertsten Gegner Burtes zu finden waren, haben zwischen 1998 und 2004 koalliert, regiert und Krieg geführt – direkt in Jugoslawien und Afghanistan, indirekt im Irak. Sie haben den Krieg in der deutschen Gesellschaft wieder hoffähig gemacht. Auch solche, die den Krieg nicht wollten, haben ihm zugestimmt, als Kanzler Schröder die Vertrauensfrage stellte und die Gefahr bestand, dass der eigene Sessel im Bundestag verloren geht. Wie zu erwarten, haben sich auch die demokratische Kriegsführung und ihre Folgen – medial besonders gut herübergebracht aus dem Irak – als die Hölle herausgestellt. Doch in den Begründungen lesen wir anderes: "Befreiung der afghanischen Frau"; "Die Sicherheit Deutschland wird auch am Hindukusch verteidigt." - letzterer Satz stammt nicht von Burte, wie seine Gegner vielleicht vermuten, sondern von einem sozialdemokratischen Verteidigungsminister des Jahres 2002. Auch Burte war zu seinen schlechtesten Zeiten von guten Wünschen getrieben.
    Wir wissen nun auch, dass mit Walter Jens und Günter Grass zwei weitere der führenden moralischen Scharfrichter der Republik als junge Menschen in der NSDAP bzw. Waffen-SS waren und - das ist das entscheidende - dies verschwiegen haben. Sie haben das Klima mitgeschaffen, in dem jeder, der sich irgendwie mit den Nazis einließ und danach keine öffentlichen Reueübungen vorführte, unversöhnlich verurteilt wurde. In diesem Klima hätten auch sie wegen ihrer jugendlichen Verfehlungen, wären sie bekannt geworden, um ihre Karriere als Moralpäpste zu fürchten gehabt.

Burtes Werk korrumpiert?

    Die Betrachtung des Werks von Hermann Burte, das fast in seiner Gänze auch unzählige demokratisch eingestellte Menschen begeistert hat, fiel bei den vergangenen öffentlichen Vorstößen in Sachen Burte weitgehend unter den Tisch - so auch jetzt bei der Ausstellung im Burghof. Für verschiedene Kritiker Burtes macht das Sinn. Sie meinen, wenn ein Dichter sich politisch diskreditiert, verfalle sein gesamtes Werk. Zuletzt tendierte René Zipperlen im "Sonntag" (29. Juli 2007) zu dieser Sicht, er schreibt:

"Was ist von einem Werk zu halten, dessen ländlich-idyllische und heimatliebende Mundartgedichte, namentlich aus 'Madlee' von 1923, seit Generationen geliebt werden und seinen Verfasser für viele zum größten alemannischen Dichter nach Hebel machen? Wenn dieser Dichter über Jahrzehnte seine Sprache zu menschenverachtender Demagogie nutzte und sich stolz vom NS-Regime als Wegbereiter feiern ließ?"

    Wenn, wie in der Ausstellung und in Zipperlens großem Artikel geschehen, Burte einseitig dargestellt wird, entlastende Fakten ignoriert werden, so ist er zum politischen Dämon gemacht und dies muss - in der Sicht jener Kritiker - um so härter auf sein Werk zurückschlagen. Die Diskreditierung von Burtes Dichtung ist durch Kritik am Werk selbst nicht zu leisten, sondern nur mit übler Nachrede wie der, dass er "über Jahrzehnte seine Sprache zu menschenverachtender Demagogie nutzte".
    Doch der Weg, das Werk eines Dichters durch politische Anklagen gegen seine Person aus der Welt zu schaffen, wird nicht immer akzeptiert. Stephan Maus schreibt im Stern 34/2006 nicht mit Blick auf Hermann Burte, sondern auf Günter Grass:

„Aus literaturkritischer Sicht sind die politischen Verblendungen eines Schriftstellers unbedeutend. Einige der interessantesten Autoren der Moderne wie Louis-Ferdinand Céline oder Ezra Pound haben sich politisch kompromittiert und dennoch die originellsten Texte ihrer Zeit komponiert.“

    Céline und Pound waren im Faschismus verstrickt.

    Ich plädiere dafür, Burte aus dem politischen Streit herauszunehmen, seine politischen Irrtümer mit gleichem Maß zu behandeln wie die seiner Gegner und das Augenmerk auf das Bleibende, den Irrtum überragende im Werk Burtes zu richten.

13. August 2007
leicht überarbeitet 21. 2. 2010 und 15. 2. 2012

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(1) Matthias Spranger: Dackeli, chly Gwackeli und ewiger Burte. Ein neierliches Aufstöhnen. In: Allmende, 24/1995, S. 202
(2) Martin Walser: Zweierlei Füß - über Hochdeutsch und Dialekt. Die Rede ist abgedruckt in: Mathias Spranger (Hg.): Dialekt - Wiederentdeckung des Selbstverständlichen?", Freiburg 1977
(3) Martin Walser: Erfahrungen beim Verfassen einer Sonntagsrede. Frankfurt am Main 1998
(4) Brief von Georg Gnirs an den Intendanten des Südwestfunks, Dr. Hilf, vom 16. 2. 1979; Abschrift von Georg Diehl mir freundlich überlassen.

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Willi Ferdinand Fischer: A propos Hermann Burte. Erinnerungen und Gedanken 1979. Lörrach 1979 (Heft)

Georg Thürer: Zum hundertsten Geburtstag des Dichters Hermann Burte. In: Das Markgräfler-Land. Heft 1 / 2 1979, herausgegeben von der Arbeitsgemeinschaft Markgräflerland für Geschichte und Landeskunde e. V. und dem Hebelbund Müllheim e. V.

Helmut Bender: Der Hundertjährige. Ein Beitrag zur Hermann-Burte-Diskussion. In: Badische Heimat, 59. Jahrgang, 1979, Heft 2

Rüdiger Hoffmann: Der politische und der andere Burte. Vortrag am Burte-Abend in Haltingen am 7. November 1987. In: Das Markgräfler-Land. Heft 1 / 1988, herausgegeben von der Arbeitsgemeinschaft Markgräflerland für Geschichte und Landeskunde e. V. und dem Hebelbund Müllheim e. V.

Paul F. Wagner: Hermann Burte und seine Zeit. Binzen 1990 (Heft)