Günter Grass hat sich jahrzehntelang als Moralpapst und Gewissen der Nation geriert; im Sommer 2008 bekannte der 80jährige erstmals öffentlich, bei der Waffen-SS gewesen zu sein. Sein jahrzehntelanges moralisches Engagement erscheint damit in neuem Licht.

Stimmen zu Günter Grass als Moralpapst: 

Der Spiegel Nr. 34/2006 schreibt zur Debatte über Günter Grass:

(...) Die neuentfaltete Debatte hat sich ausgerechnet an einem Mann entzündet, der sich selbst zum moralischen Scharfrichter der Nation aufgeschwungen hat. Wie kaum ein zweiter verurteilte Literaturnobelpreisträger Grass jahrzehntelang andere wegen ihrer Verfehlungen im "Dritten Reich". (...)

Das Blatt, welches in der Vergangenheit selbst zu den moralischen Scharfrichtern der Nation zählte, fragt:

Was hat Grass, der sich in seinem Buch eher ungenau erinnert, wirklich in der Waffen-SS erlebt? Seine Darstellungen sind voller Ungereimtheiten.- Und wie sind seine oft unerbittlichen Beurteilungen anderer Menschen im Licht der neuen Erkentnnisse zu bewerten? Denn wie besessen gab er so vielem von dem, was er gesagt hat, einen Bezug zum "Dritten Reich" und damit wohl auch einen stillen Bezug zu seiner eigenen Vergangenheit bei der Waffen-SS.- In seiner Wahrnehmung drohte die Bundesrepublik ständig dem Nationalsozialismus zu verfallen (...) Stets sah er in der Bundesrepublik einen Wiedergänger des "Dritten Reichs": (...)

Weiter unten fährt Der Spiegel fort:

Grass ist ein Freund der Polemik, und auf der Ebene der Polemik wäre das Etikett Waffen-SS seinen Gegnern willkommen gewesen. Es tut einer Moralpredigt nicht gut, wenn hinterher einer höhnisch ruft: Und das sagt einer, der mal in der Waffen-SS gedient hat.- So hatte sich Grass mit seinem Schweigen einen Vorteil im Streit der Polemiker verschafft. Er konnte seinen Gegnern jederzeit Etiketten aufs Revers pappen, ohne die passende Antwort fürchten zu müssen. Das war feige.- Deshalb kann man durchaus sagen, dass Grass seine Rolle als Scharfrichter der Bundesrepublik nicht hätte spielen können, wenn er offen mit seiner Vergangenheit umgegangen wäre. Er hätte auf Differenzierung im Umgang mit seinem Leben pochen müssen, und deshalb wäre er selbst in seinem Reden und Schreiben differenzierter gewesen. (...)

 

Charlotte Knobloch, Präsidentin des Zentralrats der jüdischen Gemeinden Deutschlands, über Günter Grass:

Sein Schweigen über die eigene SS-Vergangenheit führt nun seine früheren Reden ad absurdum.

 

Martin Walser stellt sich hinter Grass, aber ...

"Der Mündigste aller Zeitgenossen kann sechzig Jahre lang nicht mitteilen, dass er ohne eigenes Zutun in die Waffen-SS geraten ist", sagte Walser der "Stuttgarter Zeitung". "Das wirft ein vernichtendes Licht auf unser Bewältigungsklima mit seinem normierten Denk- und Sprachgebrauch", fügte Walser hinzu. Grass habe "durch die souveräne Platzierung seiner Mitteilung diesem aufpasserischen Moral-Klima eine Lektion erteilt". (Tagesspiegel.de, 13. 8. 2006)

Walser klammert dabei aus, dass Grass an führender Stelle dieses "Bewältigungsklima mit seinem normierten Denk- und Sprachgebrauch" gefördert und das hiesige "aufpasserische Moral-Klima" mit geschaffen hat.

 

Der Historiker Joachim Fest schätzt die Sache anders ein:

 "Ich würde von diesem Mann nicht mal mehr einen Gebrauchtwagen kaufen", sagte Fest der "Bild"-Zeitung über Grass. Er verstehe nicht, "wie sich jemand 60 Jahre lang ständig zum schlechten Gewissen der Nation erheben kann, gerade in Nazi-Fragen - und dann erst bekennt, dass er selbst tief verstrickt war." Nach Ansicht Fests ist Grass als moralische Instanz durch sein jahrzehntelanges Schweigen "schwer beschädigt". (Tagesspiegel.de, 13. 8. 2006)

 

Frankfurter Allgemeine Zeitung: Grass' spätes Eingeständnis: Eine zeitgeschichtliche Pointe