Hermann Burte, Rupert Gießler und die Badische Zeitung

Hermann Burte und Rupert Gießler waren bedeutende Persönlichkeiten des Geisteslebens in Oberbaden. Burte war durch seinen aufsehenerregenden Roman "Wiltfeber" (1912) im ganzen deutschen Sprachraum bekannt geworden. 1924 erhielt er von der Freiburger Albert-Ludwigs-Universität die Ehrendoktorwürde für sein alemannisches Werk, namentlich für den 1923 publizierten Gedichtband "Madlee". Rupert Gießler studierte an dieser Universität und promovierte dort 1925. Schon 1926 wurde er leitender Feuilletonredakteur der Freiburger "Tagespost" - eine Funktion, die er bei der Gründung der "Badischen Zeitung" 1946 erneut übernahm. Dort wirkte er als Theaterkritiker und bis zu seinem Ausscheiden 1965 als presserechtlicher Verantwortlicher; er war praktisch Chefredakteur der in Freiburg erscheinenden und in Südbaden (Oberbaden) verbreiteten Zeitung. Gießler spielte im deutschen Journalismus der Nachkriegszeit eine bedeutende Rolle; er war jahrelang Sprecher des deutschen Presserats, der erste Deutsche im Präsidium der Internationalen Journalistenföderation und Mitglied im Rundfunkrat des Südwestfunks.

Rupert Gießler und Hermann Burte dürften sich schon in den 20er Jahren gekannt haben, ohne aber politische Freunde gewesen zu sein. Denn Gießlers "Tagespost" stand dem katholischen Zentrum nahe, während Burte an führender Stelle den "Markgräfler" gestaltete und redigierte, eine Halbmonatszeitschrift, die seit 1924 im Markgräflerland erschien und der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) nahestand.

Burte musste den "Markgräfler" bereits im März 1932 einstellen; die politischen Verhältnisse in der Weimarer Republik hatten sich zugespitzt und ein Teil seiner Autoren und Leser war zu den Nationalsozialisten übergegangen. Zuvor hatte es im Blatt unterschiedliche Einschätzungen der Bewegung Hitlers gegeben; in der letzten Nummer unterstützte Burte den Kandidaten Theodor Duesterberg bei der Reichspräsidentenwahl und stellte sich damit gegen die Kandidaten Hitler, Thälmann und Hindenburg. Seine Gegnerschaft zur Hitlerbewegung nahm in den folgenden Monaten Ausmaße an, die den "Völkischen Beobachter", Hitlers Zentralorgan, dazu veranlassten, am 18. November 1932 folgende Drohung auszusprechen:

„Daß der Dichter des ‚Wiltfeber’ und ‚Katte’ sich heute im Dickicht autoritärer Phraseologie verfangen hat und sich nicht wiederzugebende Beschimpfungen des erwachten Deutschlands leistete (...), das ist eins der traurigsten Kapitel aus der jüngsten Vergangenheit, auf das wir in anderem Zusammenhang noch eingehend zu sprechen kommen müssen.“

In den Monaten und Jahren nach der Machtergreifung näherte sich der Deutschnationale Burte jedoch den Nationalsozialisten an und wurde 1936 Parteimitglied. Für Rupert Gießler, der den Nationalsozialismus ablehnte, stellte sich Rehabilitation und Aufstieg Burtes als eine glückliche Fügung dar.

Der Tagespost-Chef war mit einer jüdischstämmigen Frau verheiratet, bekam 1939 deswegen Berufsverbot, wurde aus der Reichsschrifttumskammer ausgeschlossen und wurde für "wehrunwürdig" erklärt. Seine katholische Zeitung bekam Anfang 1940 kein Papier mehr und musste schließen. Gießler, der Frau und Tochter zu ernähren hatte, wurde arbeitslos und die Chancen auf einen Neubeginn waren für ihn, den Geächteten, denkbar schlecht.

Hermann Burte dagegen war inzwischen gefragt für Dichterlesungen und Reden - nicht nur bei der Partei, sondern auch bei denen, die auf der Schattenseite standen und wussten, dass er keiner der 150-Prozentigen war. In diesem Wissen wandte sich auch Rupert Gießler an Burte und bat ihn im Brief vom 6. Februar 1940 um

"ein Zeugnis oder ein Urteil über meine Arbeit (...), da es für mein Weiterkommen, nachdem wir, wie Sie ja wohl wissen, unsere liebgewordene Arbeit an der 'Tagespost' aus kriegswirtschaftlichen Gründen vermutlich einstellen müssen, von höchstem Wert wäre."

Burte, der eine ähnliche Bitte Gießlers einige Monate vorher möglicherweise nicht zugestellt bekommen, jedenfalls aber nicht beantwortet hatte, stellte ihm am 7. Februar 1940 eine Art Unbedenklichkeitsbescheinigung aus, in der es heißt:

Hermann Burte, Selbstportrait, 1941

"Von Herzen gerne bestätige ich Ihnen, daß Ihre Aufsätze in der 'Tagespost' über Malerei, Dichtung, Literatur stets von großer Gründlichkeit, Sachkenntnis und Gerechtigkeit waren und eigentlich ebensogut in einer Parteizeitung der NSDAP hätten erscheinen können." [Hermann-Burte-Archiv Maulburg, Korrespondenz Kultur-Politik]

Der Dichter und Maler Burte hebt namentlich Gießlers Besprechungen seiner eigenen Werke hervor, darunter die Besprechung der Ausstellung seiner Bilder im Freiburger Kunstverein, die von der NSDAP veranstaltet worden war. Er erwähnt auch die positiven Urteile zweier weiterer Mitglieder der Partei bezüglich der Arbeit Gießlers. Er schließt das Schreiben mit der Hoffnung,

"Ihnen auch in der Zukunft in der Presse wieder zu begegnen und mich Ihrer Arbeiten freuen zu können."

Im Brief vom 22. März 1940 drückt Dr. Gießler Burte seinen "innigsten Dank" aus.

"Ich bin auch überzeugt, dass gerade Ihr Schreiben für meine weitere Zukunft von ausschlaggebender Bedeutung und ganz gewiss von hohem Nutzen für mich sein wird." [Hermann-Burte-Archiv Maulburg, Korrespondenz Kultur-Politik]

Freilich hatte Gießler immer noch keine Arbeit, "die Dinge brauchen heute eben alle längere Zeit." Erst Monate später, am 1. November. 1940, kam Rupert Gießler beim Alsatia-Verlag in Colmar unter. Dieser Verlag - er hatte einen katholischen Hintergrund - war die letzte verlegerische Zelle geistigen Widerstandes gegen das NS-Regime, er publizierte unter anderem die Schriften von Reinhold Schneider in Millionen-Auflage (sic!). Der Verleger, Joseph Rossé, ebenfalls NSDAP-Mitglied, führte das Unternehmen in einem waghalsigen und abenteuerlichen Doppelspiel, lenkte die Gestapo ab und beschäftigte Gießler illegal als Chef-Lektor, nach außen als Sekretär.

Ob Burtes Unbedenklichkeitsschreiben in Colmar eine Rolle spielte und half, den Schein eines staatsloyalen Mitarbeiters zu erzeugen und zu wahren, ist nicht bekannt. Sicher ist aber, dass Gießler nach dem Krieg hielt, was er am 22. März 1940 geschrieben hatte, dass er nämlich "mit Gefühlen tiefen Dankes erfüllt" sei und Burte den Dienst, den er ihm mit seinem Schreiben erwiesen habe, "nie vergessen" werde.

1945 war es Burte, der in Ungnade fiel. Er kam für 9 Monate in französische politische Gefangenschaft. Auch Joseph Rossé kam in Haft; er, der wie nur wenige andere ermöglicht hatte, den Nationalsozialismus geistig zu bekämpfen, wurde von der französischen Justiz wegen "Kollaboration mit dem Feind" zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt und starb 1951 im Gefängnis. Rupert Gießler dagegen wurde Chefredakteur der "Freiburger Nachrichten", dem Vorläufer der "Badischen Zeitung", und wurde auch 1946 bei der Gründung der "Badischen Zeitung" deren wichtigster Mann.

In den folgenden Jahren bahnte sich in der Bundesrepublik Deutschland ein unseliger Stil politischer Auseinandersetzung an. Personen, die einst im Nationalsozialismus verstrickt gewesen waren, wurden in Medienkampagnen diskreditiert - so zum Beispiel Hans Filbinger. Solche Persönlichkeiten fanden sich eher in und im Umkreis der CDU bzw. hatten dort Freunde und stießen auf Verständnis. Die Diffamierung von Personen war kein Selbstzweck, sondern ein Umweg und Kampfmittel, eingesetzt auch zur Beeinflussung tagespolitischer Entscheidungen und gegenwartspolitischer Weichenstellungen sowie zur Beeinflussung aktueller Wahlen. Man versuchte, seine Gegner und deren gegenwärtige Politik, Lebenshaltungen und Kultur als nationalsozialistisch verseucht darzustellen und unmöglich zu machen. Die Aktivisten kamen aus den Reihen der Sozialdemokratie und ihrem Umfeld, sodann aus der Studentenbewegung und ihren Nachläufern und schließlich auch aus den Reihen der Grünen. Diese unsägliche Polemik ist bis heute Teil grün-roten Politikstils und wird von den Massenmedien unterstützt; sie erhielt und erhält seit der Wiedervereinigung massive Unterstützung aus den Reihen der SED und ihrer Nachfolgeorganisationen. Beim Zurückweichen vor den linken Medienkampagnen ist die CDU selbst immer weiter nach links geraten. Sie greift inzwischen selbst zur Nazikeule, so etwa im Fall Hohmann oder wenn es gegen ihre Gegner von rechts geht, darunter die AfD und die PEGIDA.

Rupert Gießler 1959; Bildautor, Quelle und Lizens hier

Zu den ersten Antifakampagnen gehört die gegen Hermann Burte. Seine Gegner nahmen 1959 die Ehrungen des Dichters zu seinem 80. Geburtstag zum Anlass für scharfe Angriffe in der "Basler National-Zeitung", der "Süddeutschen Zeitung", dem New Yorker "Aufbau" und in der ARD. Das Magazin "Spiegel" leistete sich in seiner Ausgabe vom 1. April 1959 eine unsägliche Polemik gegen den Dichter (1978, 1989 und 2007 folgten weitere Kampagnen). Wie aber verhielt sich die "Badische Zeitung" unter Rupert Gießler, diesem jüdisch verheirateten, katholisch und liberal gesinnten, durch den Nationalsozialismus Ausgegrenzten und Gedemütigten?

Gießler stand diametral gegen die Kampagne, als er bei der Feier zum 80. Geburtstag am 15. Februar 1959 in Maulburg die Laudatio auf den Jubilar hielt. Auch mehrere heimatkundliche und historische Zeitschriften in Baden ehrten Burte anlässlich seines Achtzigsten oder zu anderen Gelegenheiten, darunter die "Badische Heimat", die ihn im Jahrbuch 1959 an herausragender Stelle würdigte. Am 24. 3. 1960 brachte die "Badische Zeitung" einen großen Nachruf auf Burte - aus der Feder jenes Mannes, der - anders als die nachgeborenen Gesinnungsjournalisten - Burte und seine Zeit genau kannte. Das gehässige Hervorzerren und Verabsolutieren peinlicher politischer Fehler eines Dichters war Gießler völlig fremd. Er zeigte sich bei der Würdigung Burtes selbst als würdige Person.

Die Badische Zeitung ist heute weitgehend zu einem "linken Kampfblatt" heruntergekommen; ihr Mitbegründer und erster Chefredakteur würde sie nicht wiedererkennen.

Harald Noth

 

Aus dem Nachruf Rupert Gießlers auf Hermann Burte 1960:

"Das Gedenken an einen Dichter, der nach mehr als 80 Lebensjahren vom Tode heimgeholt wurde, muß dem dichterischen und künstlerischen Werk gelten, das den Wesensgehalt dieses Lebens bildete und darstellte. Denn die dichterische Existenz erfüllt und vollendet sich im Werk. Darum sollte beim Tode Hermann Burtes, dessen größte Leistung die Erneuerung der alemannischen Sprache im Gedicht war, nicht vom äußeren Leben und vom Auf und Ab des äußeren Schicksals dieses Dichters, nicht von den schlimmen politischen Irrwegen, die er unter der Diktatur gegangen ist, und von den peinlichen Irrtümern, denen er verfallen war, die Rede sein, sondern im Licht des Todes der Blick auf das gerichtet werden, was der Künstler in ihm, der Meister des Wortes geleistet hat, was das Bleibende über dem Vergänglichen ist. -" (...)

"Heute jenen Roman 'Wiltfeber' zu würdigen, fällt schwer, weil er uns in seiner Sprache und seinem Gehalt so fern ist. Von seiner Entstehungszeit (vor dem Ersten Weltkrieg) aus muß man es verstehen, daß dieser Ruf in eine oberflächliche, saturierte Welt hinein ihm das große Echo gab. Wie ein Aufschrei klang damals die Klage Wiltfebers, die Richard Dehmel einen 'Verzweiflungsschrei' nannte. Der nahe Donner des Ersten Weltkrieges und der folgenden Jahrzehnte grollte schon darin. Insofern, nicht in irgendwelchen später hervorgezerrten Details, war das Buch ein prophetisches, ein den Wandel der Welt ahnendes Buch, wie auch andere Dichter jener Zeit hinter die scheinbar so glänzende Oberfläche schauten und die drohenden Abgründe prophetisch erkannten. Die darin, neben Schönheiten der Landschaftsschilderungen, vertretenen Thesen sind heute überholt.-
     Jenen Zwiespalt, an dem der denkende Dichter des Wiltfeber litt, hat Hermann Burte als Lyriker überwunden. Das Buch Wiltfeber schließt mit einer grellen Dissonanz in Blitz und Donner. Um so reiner blüht aus Burtes alemannischen Gedichten das Wort des heimatlichen Wesens. War der Wiltfeber eine Posaune, so sind die alemannischen Mundartgedichte, die zuerst im Band 'Madlee' gesammelt erschienen, eine Tat der Gestaltung, ein Gesang von der herben und innigen Melodie des Alemannenlandes. Es ist das Bleibende am Schaffen Hermann Burtes, daß er mit seinen Gedichten der alemannischen Mundart in unserem Jahrhundert neue Würde und Größe gegeben hat. Diese Gedichte, die den Atem der alemannischen Landschaft und die ursprüngliche Kraft und Echtheit der reinen Sprache haben, sind Burtes reinstes und gültigstes Werk, und seine sprachschöpferische Leistung, die auch neue Worte aus der technischen Zivilisation in die dichterische Mundart eingeschmolzen hat, ist von keinem anderen in der Mundart erreicht worden. Diese alemannischen Gedichte sind heute lebendig in Volk und Heimat.-
    Neben dieser bleibenden Tat des Dichters mag,  da das Werk des Toten nun zu prüfen ist, manches andere zurücktreten: seine hochdeutschen Gedichte, seine sprachstarken Übersetzungen, seine Dramen, vom vielgespielten 'Katte' über den 'Simson' zu den mythischen Schauspielen, wie 'Mensch mit uns'. Wer lieber in Burtes Dramen und Gedichte hineinhört, vernimmt daraus einen verborgenen, oft von der sinnlichen Kraft der Gebärde überdeckten Ton einer innerlichen Religiosität. Wie in 'Katte' fragt Burte immer wieder nach der Bewährung des Menschen vor Gott und nach der ewigen Gerechtigkeit.-
    Schließlich war Burtes, des Heimatsuchers, Ziel im tiefsten immer die ewige Heimat. Ein Gedicht 'Fall und Ziel' endet mit den Verszeilen: 'Doch liegt ein Heil in allen / In Apfel, Mensch und Stern: / Er wird nicht tiefer fallen, / Als in die Hand des Herrn."

[Rupert Gießler: Hermann Burtes Werk. Zum Tode des alemannischen Dichters. Badische Zeitung, 24. 3. 1960]