Simson. Ein Schauspiel, 1917

Dieses Werk von Hermann Burte wurde 1917 fertiggestellt, als Buch veröffentlicht und am 6. 11. 1918 am Hof- und Staatstheater Karlsruhe uraufgeführt. Es folgen Auszüge aus einem Aufsatz und einer Rede von Karl Berger:

In vollster Blüte steht Burtes Dichtertum und seine dramatische Kunst in dem umfangreichsten, gewaltigsten seiner Dramen, dem religiös-philosophischen, heroischen, durch und durch symbolischen "Simson" (1917). Trotz seiner weit über die Zeit eines Abends in den kühnsten und mannigfaltig wechselnden Rhythmen hinausschweifenden Maße erwies es seine Bühnenwirksamkeit. Aber auch beim bloßen Lesen steht man vor der Tiefe und Größe dieser Tragödie des Gottmenschen, der, wie Wiltfeber, zwischen zwei Frauen, ein Geist- und ein Triebwesen, gestellt, durch Sinnengenuß und Lebensgier sich selber, seinem Volke und seinem Gotte untreu, aber dann in Leiden geläutert wird und sich erlöst durch grenzenlose Demut vor dem Ewigen, ja im Sturze noch als Sieger sich emporschwingt zu Gott, von dem er auf diese Erde gesandt war. (aus: Karl Berger: "Hermann Burtes Wesen und Werk" in "Die schöne Literatur", Heft 3, März 1929)

Welchen Eindruck dieses Drama machte und macht, mögen Sie aus ein paar Stimmen darüber entnehmen. Der Karlsruher Philosoph Arthur Drews nennt es in den Preußischen Jahrbüchern das vielleicht größte Drama dieser Art neben Wagners "Parsifal", zweifellos das bedeutendste Werk, welches die neue Bühnenschriftstellerei hervorgebracht habe. Friedrich Düsel, der Herausgeber von Westermanns Monatsheften, einer der genauesten Kenner der deutschen Bühne, stellt den "Simson" hoch über die anderen Bearbeitungen desselben Stoffes. Diesem Urteil schließt sich der in Berlin lebende Literaturhistoriker Hans Knudsen an in seinem Buche über Burte, wo er diesen, den für ihn bedeutendsten Dichter unter den heutigen Dramatikern, weit emporhebt über Tagesgrößen, denen eine laute Reklametrommel zu raschem, aber oft unbegründetem Erfolge verholfen hat. Und schließlich die erschütternden Worte des Kölners Otto Brües in der angesehenen Halbmonatsschrift für Literaturfreunde "Das literarische Echo":
  "Die Jahre der Not haben dem 1917 zuerst erschienenen "Simson" einen Hintergrund von der Gewalt eines Sternenhimmels gegeben. Als ich das Buch zuerst aufschlug, ahnte ich nicht, welch ungeheuren Umriß man der Gestalt des Simson geben konnte, der in der Bibel und den Werken anderer zeitgenössischer Mitkämpfer etwas von einem Krafthuber und Boxer hat. Aber wie ich in dem stärksten vierten Akt deutscher Dramatik seit der Jahrhundertwende das Schicksal des Mannes am Göppelwerk in der Mühle zu Gaza miterlebt, wie ich diesen Riesen gegeißelt und verspottet sah, wie es kaum von dem berichtet ist, den man auf Golgotha ans Kreuz schlug; wie ich Haß und Haß aufeinander knirschen sah: gedacht' ich des Volkes, das seinen Opfergang damals schon angetreten hatte und heute noch weitergeht. Und wußte nun, warum Simson die alte Kraft gewinnt: das Leid in seiner grenzenlosen Fülle hat diesen Mann der Sinne und des ungehemmten Blutes vergeistigt. Mit erlösender Kraft wird hier der Sinn des Werkes enthüllt: die Dirne Dalila, an die sich Simson verliert, bedeutet jenen Geist veräußerlichten, nur technischen Fortschritts, an dem sich das deutsche Volk jahrzehntelang allzu ausschließlich verschwendet hat; Michall von Timmath, die Königstochter aus dem fremden Lande der Philister, bedeutet jene gleißnerische Pracht der Fremde, der das deutsche Volk immer wieder süchtig, das ist kritiklos, erliegt. Simsons Weg durch Prahlen zum Leid, durchs Leid zur Selbstbesinnung und Vergeistigung, das ist der Weg Deutschlands von jenen Tagen, da Nietzsche es verwarf und der feinste und zarteste der Poeten, Wilhelm Raabe, es schmälte, bis zu jenen Tagen, in denen wir die alte Größe wieder aufrichten wollen. Aufrichten wollen mit der Selbstverzweiflung an den schlechten Seiten unseres Volkswesens, wie Martin Wiltfeber*; aufrichten wollen mit der Selbstzucht des Herzogs Utz*, aufrichten wollen mit dem Opfermute des Kapitänleutnants von Katte*; aufrichten wollen mit der Innerlichkeit des durch Erblindung sehend gewordenen, durch Wegwurf zu sich gekommenen, durch Leiden der Vollkommenheit nahen Simson. Aufrichten mit der Willenskraft dieses Dichters, der sogar uns einen Namen aufzwingt, den man ihm in der Taufe nicht gab**, zum Zeichen dessen, daß wir uns selbst nicht mehr gehören, wenn wir an unser Werk gehen, an die Verwirklichung der Idee des Deutschen. Wird man nun in Deutschland begreifen, was wir an diesem Dichter haben?" (aus: "Festrede gehalten von Professor Dr. phil. h. c. Karl Berger an der zu Ehren des Schillerpreisträgers Hermann Burte von seinen Freunden und der Stadt Lörrach veranstalteten Morgenfeier in Lörrach am 27. November 1927", Auer-Presse, Lörrach Januar 1928)

* Protagonisten in Burte-Werken
**Hermann Burte ist das Pseudonym von Hermann Strübe

Nachgeschichte:

Das Stück fand in der Weimarer Zeit nicht die Beachtung, die es nach Meinung verschiedener Literaturkritiker verdiente. Engelbert Oeftering schrieb 1926: "Die Art der religiösen Problemstellung im Simson (Willst du den Gott in dir entbinden, muß der Mensch in Stücke gehn) entspricht keineswegs dem mystisch-nebulosen, okkultistisch schwärmenden oder mittelalterlich katholisierenden Empfinden unserer Zeit. Der 4. Akt allerdings, Simson in der Tretmühle des Feindes, hat dem geknechteten Vaterland einen Spiegel vorgehalten, in den man nicht ohne Erschütterung blickte. Aber im Ganzen ist die geistige Struktur und die kräftige Geschlossenheit der Form in Burtes Werken, so gut wie ihre individualistische Betonung und ihr mannhafter Kampfwille heute unzeitgemäß (...)." Paul Wittko bemerkte 1928: "Ein Rufer, Mahner und Warner seines Volkes von aufrichtendem Schöpfergewissen und gewaltigem Ethos bescherte uns dieses Drama, wohl die deutscheste Tragödie der letzten anderthalb Jahrzehnte - darum von den Bühnen des heutigen Deutschlands gemieden."
Im Nationalsozialismus waren Neuauflagen des "Simson" und seine Bühnenaufführung wegen des alttestamentlichen Stoffes von vorneherein ausgeschlossen.

Bezugsmöglichkeiten:

Sie können Burtes Simson über eine gut bestückte Bibliothek, Ihr Antiquariat oder über

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ausleihen oder erwerben.