"... uns weltenweit fern."
Hermann Burte in der Rezeption 'junger Wissenschaft'

   In den nunmehr 50 Jahren seit Hermann Burtes Tod sind die Germanistik und andere Geisteswissenschaften verschiedentlich auf diesen Dichter eingegangen, sei es als Aufsatz, Lexikoneintrag, Zulassungsarbeit oder durch Berücksichtigung in größeren Arbeiten über literarische Epochen. Man konzentrierte sich dabei meist auf den Lebensabschnitt im Dritten Reich oder betrachtete Leben und Werk des Dichters unter dem Blickwinkel seiner Verstrickung im Nationalsozialismus.
   Hermann Burte (1879 – 1960) war ein bedeutender deutscher Dichter mit einer Schaffensphase von über fünf Jahrzehnten, daneben auch ein begabter und produktiver Maler. In der Alemannia war er mit seiner Mundartlyrik einmal einhellig neben den großen Johann Peter Hebel gestellt worden und durfte sich größter Beliebtheit in allen Schichten des Volkes erfreuen. Sie wurde von keinem seiner alemannischen Nachfolger mehr erreicht. Die öffentliche Behandlung des Dichters nach seinem Tod stellte jedoch im Wesentlichen eine Demontage dar, er wurde als vermeintlich eingefleischter Nazi dämonisiert und zum Vogelfreien gemacht. Dazu beigetragen haben neben politischen Kampagnen in Burtes Heimatregion die Mehrzahl der ihn betreffenden jüngeren Publikationen verschiedener Fakultäten.

    Der jüngste Aufsatz über Hermann Burte findet sich in der Sammlung „Dichter für das »Dritte Reich« – Biografische Studien zum Verhältnis von Literatur und Ideologie“, im Jahr 2009 herausgegeben von Dr. Rolf Düsterberg, außerplanmäßiger Professor und Hochschullehrer für germanistische Literaturwissenschaft an der Universität Osnabrück. Einer der Beiträge ist betitelt „Hermann Burte – der Alemanne“.1 Er stammt aus der Feder von Kathrin Peters. Sie gehört zu den „jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die gegen Ende ihrer Studienzeit bei der Anfertigung ihrer wissenschaftlichen Abschlussarbeit“ von Prof. Düsterberg betreut wurden oder an seinem Kolloquium „Biografische Studien zum Verhältnis Literatur und Ideologie im »Dritten Reich«“ teilnahmen.2

Burte angeblich früher Unterstützer des Nationalsozialismus

    In der fast dreißig Seiten umfassenden Arbeit von Kathrin Peters findet sich viel Richtiges und Falsches. Wir greifen Weniges davon heraus. Der Leser erfährt von der jungen Germanistin

„Von besonderer Bedeutung sind Burtes frühe Kontakte zur SA. Er unterstützte diese seit dem 9. November 1923 aufgrund ihrer Rolle im Hitler-Ludendorff-Putsch verbotene paramilitärische Unterorganisation der NSDAP.“

    Das Verbot wurde erst am 23. November 1923 erlassen, doch dieser Lapsus ist ohne Gewicht. Seine „frühen Kontakte“ werfen nach Meinung der Autorin kein gutes Licht auf den Dichter aus dem Markgräflerland, denn:

„Burte agierte (...) nicht nur offiziell und öffentlich als Publizist gegen die demokratische Republik, sondern auch verdeckt, gleichsam im Untergrund, und zwar zugunsten der schärfsten und radikalsten Antipoden des ‚Systems’, zugunsten der Nationalsozialisten. Das trug dem Verdächtigen mehrere Hausdurchsuchungen ein, die jedoch keine Beweise für dessen staatsfeindliche Aktivitäten zutage förderten“.3

    Die SA war zwei Mal verboten: vom 23. November 1923 bis Februar 1925 und vom 13. April bis 6. Juni 1932. Kathrin Peters geht davon aus, dass Burte diese paramilitärischen Truppe der NSDAP schon in der Zeit nach dem 9. November 1923 unterstützt habe.

Bedeutung der angeblich frühen Kontakte

    Warum sind Burtes angebliche „frühe Kontakte zur SA“ von „besonderer Bedeutung“? Kathrin Peters führt es nicht aus, es liegt aber auf der Hand: Dieser Mann ist, wenn die Geschichte wahr ist, nicht erst 1936, unter dem Druck der Verhältnisse, der NSDAP beigetreten, sondern hat sie schon Ende 1923 bis Anfang 1925 „unterstützt“ – in der ersten „Verbotszeit“. Burte wäre dann nicht erst im Dritten Reich zum Nazi umgebogen worden, sondern schon 1924 aktiver Sympathisant und Unterstützer der Partei Hitlers gewesen. Er wäre in "staatsfeindliche Aktivitäten" gegen die "demokratische Republik" verstrickt gewesen. Der Burte der Zeit des Dritten Reichs dürfte dann für einen alteingefleischten Vertreter der Braunen gehalten werden. Die Lust, sich wohlwollend mit der Dichtung zu befassen, die dieser Mann vor 1933 hervorgebracht hat, sänke beträchtlich bei Menschen, die sich ihre Literatur nach politischer Korrektheit des Dichters aussuchen.

Was tat Burte 1924?

    Die schwerwiegende Anschuldigung gegen Burte durch die „junge Wissenschaftlerin“ steht auf einem Fundament von mehreren Fehlern. Peters ignoriert die Mitgliedschaft und Tätigkeit Burtes in der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) von 1919 bis 1933. Der Dichter war ein wichtiger regionaler Vertreter dieser rechtskonservativen Partei, noch 1933, bis zur erzwungenen Auflösung, war er ihr Vorsitzender im Kreis Lörrach. Die Deutschnationalen waren 1924 die zweitstärkste Kraft, als sie bei den zwei Reichstagswahlen dieses Jahres 19,5 bzw. 20,5 Prozent der Wählerstimmen errangen; sie waren auf dem Höhepunkt ihres Erfolges. Die NSDAP dagegen errang im Bündnis mit einer anderen rechtsradikalen Partei nur 6,6 bzw. 3,0% der Stimmen. Am guten Ergebnis der DNVP hat Hermann Burte persönlichen Anteil: Die von ihm mitbegründete und mitherausgegebene Zeitschrift „Der Markgräfler“ enthält in ihrer ersten Ausgabe am 4. April 1924 bereits einen Wahlaufruf zugunsten der DNVP, desgleichen in der Ausgabe vom 1. Dezember 1924, vor der zweiten Wahl. Vorträge Burtes zur Wahl oder bei anderen Veranstaltungen waren bei seinen deutschnationalen Parteifreunden bis nach Mannheim und Karlsruhe gefragt.4 Er dachte nicht im Schlaf daran, die NSDAP oder die SA zu unterstützen.

    Die Deutschnationalen standen der Weimarer Demokratie kritisch gegenüber. Ihr Ziel war jedoch nicht ihre Ersetzung durch eine nationalsozialistische Diktatur, wie immer wieder suggeriert wird. Etwa im Wahlaufruf der DNVP aus dem Markgräfler vom 16. April 1924 wird gefordert: „Zurück zu den Grundlagen der deutschen Verfassung, wie sie Bismarck einst von Preußen aus schuf: Dem Reiche, was des Reiches ist, aber Eigenleben und Eigenverantwortung für Länder und Gemeinden. Fort mit der Alleinherrschaft des Parlaments.“
    Die Bismarcksche Reichsverfassung war also der Bezugspunkt, von dem aus die DNVP und Burte das Weimarer „parlamentarische System“ kritisierten. Diese Reichsverfassung sah durchaus ein Parlament vor, den Reichstag, dessen Zusammensetzung alle männlichen Bürger in allgemeinen, direkten und geheimen Wahlen bestimmen konnten. Dieses Parlament hatte das Recht der Gesetzesinitiative, was nicht einmal das heutige Europäische Parlament von sich behaupten kann. Der Reichstag verabschiedete im Kaiserreich – zusammen mit dem Bundesrat – die Gesetze.

    Die wohlbegründete und konstruktive Kritik der DNVP, des „Markgräfler“ und Burtes am „parlamentarischen System“ oder „Parlamentarismus“ der Weimarer Republik wird von Kathrin Peters nicht etwa erörtert, sondern niedergewalzt mit einer einzigen Bemerkung: „Burte agierte [...] offiziell und öffentlich als Publizist gegen die demokratische Republik“.

Die Geschichte von und mit Sekretär Ernst

    Wie konnte es zur Fehleinschätzung der Autorin bezüglich einer „Unterstützung der SA“ durch Burte kommen? Kathrin Peters ist hier auf einen Klassiker der politisch korrekten Burte-Kritik hereingefallen - die Kolportation der Geschichte von Burtes Sekretär Ernst. Mehr dazu siehe hier: Hermann Burte, Sekretär Ernst und Hanns Ludin. Dieser Aufsatz enthält den Nachweis, dass die von Sekretär Ernst behauptete Unterstützung der SA sich auf die kurze, nur 9-wöchige Verbotsphase im Jahr 1932 bezieht.

Burtes Haltung 1932

    Hinweise darauf, dass Burte 1932 die SA und damit die NSDAP wohl nicht politisch unterstützen wollte, erhalten wir von der Autorin selbst. Die Germanistin gibt nämlich die Gegnerschaft Hermann Burtes zu Hitler wenigstens im Jahr 1932 zu, nicht wissend, dass ihre behauptete „Unterstützung“ bezüglich des Jahres 1924 auf das Jahr 1932 anzusetzen gewesen wäre. Wie sie schreibt,

„hatte Burte den Nazi-Chef noch 1932 in einem Schreiben mit dem Hochstapler Oskar Daubmann verglichen und somit eine kritische Haltung an den Tag gelegt, die auch in einem weiteren Brief aus diesem Jahr deutlich wird. Eine Äußerung des Schriftstellerkollegen Hans Grimm ließ Burte annehmen, jener hätte sich öffentlich von Hitler distanziert. Daraufhin schrieb Burte ihm: ‚Das war ein guter deutscher Tag, als ich erfuhr, daß Sie von Hitler sich geschieden haben. Ich habe wie Sie, nur früher, eine Zeit lang auf ihn gehofft. [...] Deshalb grüße ich Sie als Einen, der frei geworden ist und genesen von einer Art Seuche.’“5

    Kathrin Peters räumt an dieser Stelle auch ein:

„Aufgrund seiner Äußerungen gegen den ‚Führer’ reiste Burte, nach eigenen Angaben, für einige Zeit in die Schweiz, da er sich vor Übergriffen der SA fürchtete."

    Was heißt es, wenn Burte seinem „von einer Art Seuche“ genesenen Dichterkollegen Grimm schreibt, er habe „eine Zeit lang“ auf Hitler „gehofft“? Für Kathrin Peters heißt das (sie spricht es nicht in dieser Knappheit aus, es ist aber aus der Gesamtheit ihrer Ausführungen zu entnehmen): Burte war schon Ende 1923 bis etwa 1931 für Hitler. Sie vermeldet: „Er selbst gab später (1947) die Ereignisse beim Harzburger Treffen [...] als Grund für seine Abwendung vom NSDAP-Chef an.“ Dieses Treffen rechtsgerichteter Parteien und Organisationen fand am 11. Oktober 1931 statt. „Später“, so die Autorin, „muss er sich Hitler jedoch wieder angenähert haben [...].“6 Für die Germanistin, die die DNVP-Mitgliedschaft Burtes ignoriert, war Burte also in der längsten Zeit des Bestehens der Weimarer Republik Anhänger Hitlers, mit einer Unterbrechung um 1932 herum. Das „gehofft“ bezieht sich bei Ihr auf etliche Jahre und bedeutet, dass Hitler Burtes hauptsächliche „Hoffnung“ gewesen sei.

    Die Realität sieht so aus: Der DNVP-Mann hat „eine Zeit lang“ auf Hitler als Bündnis- und Koalitionspartner seiner Partei „gehofft“ und entsprechende Bündnisse fanden auch statt: Im zweiten Halbjahr 1929 beim Volksbegehren gegen den Yougplan und im Oktober 1931 beim Treffen der Harzburger Front. Aber bei diesem Treffen zeigte Hitler seinen Führungsanspruch und brüskierte seine Bündnispartner. Das war der Anlass, bei dem Burte der Kragen platzte und seine „Hoffnung“ auf Hitler zerstieb. „Der Markgräfler“, das politische Forum Burtes, zeigt sich auch in der Zeit zwischen dem Volksbegehren und dem Treffen der Harzburger Front als DNVP-treu. Verschiedentlich werden Reden und Briefe von Alfred Hugenberg, dem Führer der DNVP, abgedruckt; bei der Reichstagswahl am 14. September 1930 unterstützte „Der Markgräfler“ ohne Wenn und Aber die Deutschnationalen. In der Berichterstattung des „Markgräfler“ spielt der Nationalsozialismus nur eine marginale Rolle, einmal gibt es eine wohlwollende Darstellung7, einmal wird Kritik an ihm8 deutlich. Burtes Gedicht „Der Führer“ im „Markgräfler“ vom 15. März 1931, von Frau Peters genüsslich zitiert und als „Lobpreis“ auf Adolf Hitler interpretiert, nennt den Namen des Gemeinten nicht, auch die Beschreibung der Person des „Führers“ könnte auf Hinz und Kunz zutreffen, besonders auch auf Alfred Hugenberg, dem Führer der DNVP. Der Dichter erklärte später (1947), das Gedicht, das die Form von Frage und Antwort hat, sei  „das Bekenntnis eines Anderen zu Hitler, nicht das meine, und von mir als Dokumentation der Zeit verfasst, als ich das schon erwähnte Flugblatt gegen Hitler schrieb.“9

    Es kann zusammengefasst werden: Hermann Burte war vor 1933 zu keiner Zeit Anhänger und Unterstützer Hitlers und der NSDAP, wenngleich er „eine Zeit lang auf ihn gehofft“ hat.

Ein kühnes Urteil

    Das Gesamturteil der Autorin über den Burte vor 1933 lautet „Prophet und geistiger Vorreiter der nationalsozialistischen Bewegung“10. Mit diesem Richtspruch ist Burte ins Herz getroffen, denn mit ihm ist der Bann über seine produktivste und erfolgreichste Schaffensphase gesprochen. Vor 1933 entstanden seine meistgespielten bzw. -gelesenen Werke: "Wiltfeber" (1912, Roman), "Herzog Utz" (1913, Drama), "Katte" (1914, Drama), "Madlee" (1923, entstanden um 1913, alemannische Lyrik), "Ursula" (1929, hochdeutsche Lyrik) und etliche weitere Stücke und Lyrikbände, darunter „Die Flügelspielerin“ (1911, Lyrik) und "Simson" (1917, Drama). Die Hauptschaffensphase Burtes lag zwischen 1910 und 1917 – zeitlich sehr nahe am „Wiltfeber“.

    Im Dritten Reich dagegen kommt Burtes dichterisches Schaffen ins Stocken, misst man es an neugeschaffenen Veröffentlichungen. Es sind zu vermelden seine Übersetzung von Gedichten Voltaires, erschienen 1934 (im Vorwort nennt er den französischen Dichter „eines der hellsten und heitersten Genien aller Zeiten“), der Text zur Oper „Das Schloß Dürande“ (1943), auf den wir unten zurückkommen, und der Gedichtband „Anker am Rhein“ (1938). Die Worte „Hitler“, „Partei“ und „Juden“ kommen in diesem Lyrikwerk nicht vor. Die Inquisition11 hat darin dennoch zwei Gedichte beanstandet, doch nicht ohne Widerspruch des Dichters. Mit dem großen alemannischen Gedicht „Hebel rassisch!“ (1939) nahm er die Rassenlehre der Nationalsozialisten auf den Arm. Das Weitere sind einzelne Gelegenheitsgedichte, mit denen Burte zum Teil Tribut an das Regime (nie an die Partei, immer an die Person Hitlers) leistet. Burte weiß wohl um ihren nur tagespolitischen Wert und sammelt sie in keinem Band. Was ihn am meisten kompromittiert, sind seine Reden während des Zweiten Weltkriegs, die zwar Themen der Literatur und Dichtung zum Inhalt haben, aber daneben eine Art geistigen Kriegsdienst darstellen und Solidarität mit der kriegsführenden Nation üben. Dass Burte an sich kein Freund des Krieges ist, zeigt sein Drama „Warbeck“, das 1914 entstand, aber erst 1935 in Druck ging und dann auch gespielt wurde. Dass es überhaupt erlaubt war, könnte daran liegen, dass es in Großbritannien spielt und die Herrschenden zum Teil als Kriegstreiber und Mörder zeigt. (Doch auch der Protagonist, der Königssohn und Pazifist Warbeck, für den das Herz des Autors und gewiss auch des Lesers schlägt, war Brite).
    Der Dichter mit dem deutschnationalen Kern sieht 1939 bis 1945 sein Vaterland in Gefahr und hält ihm die Treue auf die Weise, die er für die einzig mögliche richtige hält: Er fällt Hitler nicht in den Rücken, sondern lobt ihn hoch.

    Nach dem Krieg beschenkt uns der Dichter noch mit mehreren Lyrikbänden, sie finden aber – zu Unrecht - nicht mehr die große Resonanz, die einige seiner vordreiundreißiger Werke gefunden hatten.

    Der Versuch, Burte in seiner produktivsten Phase vor 1933 zu skandalieren, hat Tradition und auch Kathrin Peters wandelt auf diesem ausgetretenen Pfad. Eines ihrer Indizien, die angebliche Tätigkeit Burtes für die SA „gleichsam im Untergrund“ anno 1924, haben wir als gegenstandslos befunden. Sie versucht ihr Urteil wie schon etliche Schreiber vor ihr weiter zu untermauern durch die entsprechende Interpretation von Burtes Roman „Wiltfeber“, durch das Vorführen seiner „Hakenkreuz-Leidenschaft“ (1924) und seines Gedichts „Der Führer“ von 1931.

    Vor der Publikation von Kathrin Peters war der jüngste größere Versuch einer Demontage Burtes die

*Ausstellung „Hermann Burte und der Nationalsozialismus“ von Juli bis September 2007 in Lörrach. Auch Katryn Babeck, junge Historikerin und als Kuratorin für die Inhalte der Ausstellung verantwortlich, hatte bereits „frühe Kontakte“ Burtes zur SA vermeldet und mit ihrer Behandlung des „Wiltfeber“, des „Hakenkreuztischs“ Burtes und des Gedichts „Der Führer“ eine frühe Wegbereitung und Sympathie für den hitlerschen Nationalsozialismus durch Burte behauptet. Doch auch Babeck betrat hier kein Neuland: All dies führte der einschlägige

*Wikipedia-Artikel „Hermann Burte“ schon Anfang 2006 in denunziatorischer Weise12 ins Feld, nicht anders als es auch in vergangenen Jahrzehnten verschiedene Artikel und Leserbriefe in den Kampagnen gegen Burte getan hatten. So kolportierte auch der Nestor der Burte-Kritik nach 1968, der Germanist und Rundfunkredakteur

*Wolfgang Heidenreich, bereits anno 78 in seiner „Neuvermessung“ Burtes: „1923 (...) Zeitweilig ist der Flachsländer Hof Anlaufadresse für die verbotene SA.“13 Der Flachsländer Hof war der Lörracher Wohnsitz Burtes.

    Die Ausstellung in Lörrach 2007 wurde im Allgemeinen und auch in diesen Punkten einer grundlegenden Kritik unterzogen, sie ist seit dem 13. August 2007 im Internet verfügbar. Diese Kritik findet jedoch bei Peters keine Beachtung, ebensowenig die diesbezügliche Kontroverse Babeck-Noth, die am 8. 2. 2008 ins Netz ging. Kathrin Peters arbeitete noch fast ein halbes Jahr später, nämlich mindestens bis 16. 7. 2008, an ihrer Publikation, wie aus Fußnote 73 zu schließen ist. Somit waren Peters Einlassungen zu diesen Punkten schon widerlegt oder relativiert, noch bevor sie ihre Arbeit abgeschlossen hatte und das Sammelwerk 2009 erschienen. Unter diesen Umständen kann das vernichtende politische Urteil über den Burte vor 1933 durch die junge Germanistin nur als kühn bezeichnet werden.

Germanistische Politologie?

    Der Leser ihrer politischen Abhandlung muss sich fragen, worin das spezifisch Germanistische darin besteht. Rolf Düsterberg kündigt schon in der Einführung zum Sammelwerk an: „Die Frage nach dem ästhetischen oder künstlerischen Wert der Texte [...], die Diskussion darüber, ob es sich jeweils um sog. Hoch-, Unterhaltungs- oder Trivialliteratur handeln könnte, bleibt [...] weitgehend unberücksichtigt.“14 Entsprechend geht seine Studentin auf den künstlerischen Gehalt der Werke Burtes gar nicht ein, freilich klopft sie mehrere seiner Publikationen auf politische Korrektheit ab und wird besonders im Roman „Wiltfeber“ (1912) fündig. Darin macht sie eine „judenfeindliche Haltung des Protagonisten“15 aus und schreibt diese Haltung auch dem Autor zu – eine vernichtende Diagnose. Um diese zu untermauern, bringt sie eine Geschichte mit einem jüdischen Weinhändler, die sich 19 Jahre (!) nach dem Entstehen des "Wiltfeber" zugetragen haben soll16, sowie ein Zitat aus Burtes „Rede an Bartels“ (1942), auf das ich an anderem Ort eingegangen bin.

    Schwerste Geschütze gerade gegen dieses Werk und seinen Autor wurden schon früher in verschiedenen Arbeiten und Lexikonbeiträgen aufgefahren. Etwa Norbert Mecklenburg zählt „Wiltfeber“ zu den Vorläufern der „Blut-und-Boden-Dichtung“ des Dritten Reiches und nennt ihn „ein unerträgliches Gemisch aus trivialen Handlungsklischees und pseudoreligiösen ‚völkischen’ Offenbarungen.“17 Für Otto Borst ist dieses 1911 geschriebene Buch „eine Vorschau auf das faschistische System“18, „die schwäbisch-alemannische Naziliteratur, wenn wir sie einmal so nennen wollen, beginnt mit Hermann Burtes Roman ‚Wiltfeber, der ewige Deutsche’“19.

    Es würde den Rahmen dieses Artikels sprengen, wollte man den Anwürfen von Mecklenburg, Borst oder etwa auch Heidenreich gegen den Roman von Burte im einzelnen nachgehen. Schon diese Tatsache müsste nachdenklich machen: Für dieses „unerträgliche Gemisch“ bzw. diese „Vorschau auf das faschistische System“ erhielt Burte 1912 der Kleistpreis, der von der Kleistiftung verliehen wurde. Zu deren Gründung hatten 1911 „44 Juden und 17 Deutschstämmige“ aufgerufen, wie der Völkische Beobachter in der oben bereits zitierten Ausgabe vom 18. November 1932 monierte. Hier wird deutlich, dass man über dieses Burte-Werk sehr geteilter Meinung sein kann. Kathrin Peters ragt in der negativen Beurteilung der politischen Korrektheit des Romans weder sprachlich noch inhaltlich aus der Menge ihrer Vorgänger nach 1968 heraus.

    Wo das Werk nichts hergibt, müssen biographische Aufzeichnungen Burtes bei der Suche nach Haaren in der Suppe herhalten. So notierte Burte 1957, „die Monarchie in Preußen“ sei „durch das Coburger Blut, das in die Hohenzollernsche Soldatenfamilie gekommen war“, bedroht gewesen. Wir erfahren zwar von Kathrin Peters selbst (!), dass Kaiser Wilhelm II. politisch wenig fähig war und einen „schwachen Charakter“ hatte (!). Aber Burte hält das wohl für ein Erbe seiner Mutter aus dem Hause Sachsen-Coburg und Gotha. Das bringt ihm die Rüge der Autorin ein, „auch noch 12 Jahre nach dem Holocaust [...] weiterhin in den biologistischen Kategorien seiner nationalsozialistischen Vergangenheit“ zu denken.20 Damit spricht sie das schwerste Urteil aus, das im Deutschland des Jahres 2009 möglich war: nichts aus dem Holocaust gelernt zu haben. O si tacuisses, Burte! Ein politisch korrekter Akademiker in einem grünen Villenvorort tobt heute ohne Angabe von Günden, wenn seine Tochter einen Tellerwäscher aus dem Jamaika-Urlaub heimbringt und Kinder von ihm haben will.

    Ohne weiteres Federlesen, also ohne sich mit dem künstlerischen Gehalt auch nur eines seiner Werke befasst zu haben, steht das Werturteil für Peters dennoch fest: Sie zählt Burte zu den Dichtern „mediokrer Qualität“. Nach ihrer Meinung hätte Burte, der im Dritten Reich in die Dichterakademie aufgenommen worden sein soll (?!), dies „unter ‚normalen’ politischen Umständen wohl niemals“ geschafft.20a   Mit „normalen“ Umständen meint sie die geistigen und politischen Kräfteverhältnisse in der Weimarer Republik und wohl auch der Bundesrepublik.

Das Urteil der anderen: Katte, Herzog Utz, Das Schloß Dürande

    Mit ihrem Urteil steht die junge Germanistin den Einschätzungen zweier Literaturkenner und namhafter Zeitgenossen Burtes recht nahe. Der Erste hat in seinem Tagebuch seine Eindrücke beim Besuch von Burte-Dramen festgehalten. Am 1. Dezember 1936 schreibt er:

"Abends Deutsches Theater 'Katte' von Burte. Das Stück ist ein Attentat auf die Tränendrüsen. Zu sentimental. Aber gut gespielt. Besonders die Dannhoff und eine neue Frau, die Flickenschild. Ich lerne Burte kennen. Keine Leuchte. Ein alemannischer Spießer."21  

    Es handelt sich bei diesem kritischen Zuschauer um Joseph Goebbels. Das Burte-Werk „Katte“ kam schon zwei Jahre nach dem berüchtigten „Wiltfeber“ heraus und gilt als sein meistgespieltes Drama. Der Propagandaminister machte am 19. September 1937 erneut den Fehler, sich in ein Burte-Stück zu begeben. Er notiert am 20. September:

„Abends Deutsches Theater. 'Herzog und Henker' von Burte. Von Hilpert inszeniert. Das Stück ein unerträgliches Vers- und Wortgeklingel ohne Substanz in Problem und Haltung. Das Ganze uns weltenweit fern. Ich habe keinen Geschmack daran. Aber gespielt, wie immer, hervorragend. Vor allem Basler. Unsere Schauspieler spielen gut. Dadurch wird aus dem schlechtesten Stück immer noch etwas.“22 

    Dieses Drama kam 1913, noch näher am „Wiltfeber“ als „Katte“, heraus. Während also die Germanistin den Alemannen als „Prophet und geistigen Vorreiter der nationalsozialistischen Bewegung“ sieht, sieht sich der Reichspropagandaminister maßlos genervt von Dramen des Dichters, der vor und im Ersten Weltkrieg konservativ war, der in der Weimarer Republik deutschnational dachte und handelte und der zuletzt unter den Zwängen der Diktatur zum Nationalsozialismus konvertierte. Kurz: Anders als etliche Vertreter der modernen Germanistik durchschaute Goebbels den sich als Nationalsozialist gebärdenden Deutschnationalen.

    Der ursprüngliche Titel von „Herzog und Henker“ war „Herzog Utz“, für die Aufführung im Dritten Reich wurde das Stück umbenannt und leicht umgearbeitet. Der „Reichsdramaturg“ Rainer Schlösser hatte Burte „im August 1935 angewiesen, die Bezüge zu Hitler in seinem Stück ‚Herzog Utz’ zu streichen, da Widerstand in der ‚Bewegung’ zu erwarten sei.“ Hitler sollte nicht, so Barbara Panse, „durch mittelmäßige und politisch zumindest zweideutige Stücke [...]23 diskreditiert werden.

    Goebbels findet das Drama also „unerträglich“ und wir dürfen gespannt sein, wie ein weiterer Fachmann, der Chef des Preußischen Staatstheaters, auf den neuesten, erst Anfang der 40er Jahre entstandenen Burte-Text reagiert. Im April 1943 erreichte den Generalintendanten am Berliner Staatstheater das folgende wütende Telegramm:

"Habe soeben das Textbuch der zur Zeit aufgeführten Oper Schloß Durande gelesen es ist mir unfaßbar wie die Staatsoper diesen aufgelegten Bockmist aufführen konnte. Der Textdichter muß ein absolut Wahnsinniger sein. Jeder einzige, dem ich nur einige Zeilen vorgelesen habe verbittet sich das Weitere selbst zum Lachen, als absoluter Schwank ist es noch zu blöde."24

    Der Schreiber dieser Zeilen ist „Reichsmarschall“ Hermann Göring, der „absolut Wahnsinnige“ Hermann Burte. Hans Fröhlicher, der Schweizer Botschafter in Berlin, notierte am 1. April 1943, wie die Premiere auf ihn gewirkt hatte:

"Das Stück mit dem tragischen Ausgang, der Zerstörung des Alten, der Angehörigen, des vermeintlichen Gegners, aus totalem Ehrgefühl, aus krankhafter Übersteigerung an sich guter Eigenschaften, also die Katastrophe der Totalität, sie ist ein Spiegel von dem, was heute in Deutschland geschieht..."25

    Burte selbst schrieb 1947 bezüglich „Das Schloss Dürande“: „Man lese nur einmal die Szenen aus der französischen Revolution in meinem Texte und frage sich, ob der Verfasser wirklich ‚fanatischer Nationalsozialist’ sein kann!“26 Die Oper wurde schon nach vier Aufführungen wieder abgesetzt. Selbst der Musikwissenschaftler Chris Walton, der Burte benutzt, um politische Korrektheit zu demonstrieren, vermutet, dass diese Absetzung auf Betreiben von Göring geschah.27 Dem literarischen Urteil des Reichsmarschalls widerspricht er nicht.

    Während führende Nationalsozialisten ihren Unmut über Burtes Inhalte mit Klagen über seine Reimtechnik verdecken, unterlässt es der tonangebende Teil der jungen Wissenschaft aus Unmut über seine Verstrickung im Nationalsozialismus, sich mit seiner künstlerischen Qualität zu befassen.

    Die zwei von Goebbels beanstandeten Dramen sind im Dritten Reich immerhin noch zur Aufführung gekommen, ein weiteres Stück, das Schauspiel „Mensch mit uns“, wurde nach Angaben von Burte28 in Karlsruhe zwar uraufgeführt, habe aber das Missfallen von Gauleiter Wagner erregt, „der wohl fühlte, dass der Held meines Stückes, Siegfried, dessen Tragik ich darstellte, nicht dem Idealbilde eines fanatischen Nationalsozialisten entsprach“. Das Stück sei auf Wagners Haltung hin abgesetzt worden, „so gut wie verboten“.

Das Urteil der anderen: Krist vor Gericht

    Gar keine Chance hatte Burtes Stück „Krist vor Gericht“ (1930), das von der Theaterwissenschaftlerin Barbara Panse (und nicht nur von ihr) für einen Versuch gehalten wird, „seine in völkisch-nationalen Kreisen populären Lehre vom ‚Reinen Krist’  (eine gemanisiernde und antisemitische Umdeutung des Christentums)“ zu verarbeiten.29 Wenn das zuträfe, wäre der „Krist vor Gericht“ die Fortsetzung des „Reinen Krist“, der der Romanfigur „Wiltfeber“ im gleichnamigen Roman 1912 vorgeschwebt war. Manche modernen Kritiker meinen, das Stück zu kennen und gar nicht mehr lesen zu müssen, wenn sie nur den eingedeutschten Namen „Krist“ auf dem Buchdeckel erblicken.

    Der zeitgenössischen Kritik um 1930 – etwa den „Markgräfler Nachrichten“30, den „Basler Nachrichten“, der „National-Zeitung“ Basel, dem Berner "Bund", der „Hessischen Landeszeitung“, Darmstadt und mehreren anderen Blättern31, die Rezensionen des Stücks schrieben - fiel die „germanisierende und antisemitische Umdeutung des Christentums“ dagegen nicht auf – weil es sie in diesem Stück nicht gibt. Bereits in den ersten Spielminuten eröffnet ein moderner Richter „öffentliche Anklage gegen den sogenannten Propheten Jesus von Nazareth“ – dass der Angeklagte ein „sogenannter Prophet“ sei, ist die anfängliche abschätzige Meinung des Richters, der Dichter dagegen zeigt in diesem Stück Jesus von Nazareth schließlich als Gottes Sohn. Der Mann, der im Korridor des Gerichts wartete (aber nicht auf die Bühne/in den Gerichtssaal gerufen wurde), stellte niemanden anderen dar als den Juden Jesus Christus und die Zeugen, die vor den Richter traten, sind seine jüdischen Anhänger und Widersacher: Simon von Cyrene, Ruth, Johanna, Judas und andere.

    Mit dem Plan einer Studioaufführung des „Krist vor Gericht“ machte das Deutsche Theater Berlin 1934 den heute irrwitzig anmutenden Versuch, bekannte biblische Juden auf die Bühne zu bringen und sie so menschlich darzustellen, wie wir sie aus dem Neuen Testament kennen und wie Burte sie nachgezeichnet hat. Reichsdramaturg Rainer Schlösser liefert am 1. Oktober 1934 in einem Schreiben an Goebbels eine treffende Zusammenfassung des Inhalts: „Das Stück behandelt das Problem, was mit Christus (der nicht auftritt) geschehen würde, wenn er vor ein zeitgenössisches (römisch-formal-juristisches) Gericht zitiert würde.“ Schlösser lässt sich auch nicht durch den deutschtümelnden Namen „Krist“ täuschen, sondern betitelt das „Kammerspiel“ in diesem Brief kurzerhand „Christ vor Gericht“. Er versucht Burte, der damals noch nicht in der Partei war, sondern in Misskredit stand, positiv zu beschreiben, wenn er ihn als Verfasser des „Wiltfeber“, „des ersten Romans, in dem das Hakenkreuz verherrlicht wurde“ und als Träger „des Kleist- und des staatlichen Schiller-Preises“ hervorhebt.

    Mit dem Hinweis auf Burtes angeblicher „Verherrlichung“ des Hakenkreuzes 1912 versucht Schlösser – übrigens wie zahlreiche Burte-Kritiker unserer Tage – zu suggerieren, dass Burte ein alter Mann im Geiste der neuen Zeit sei, der sich schon früh einschlägig verdient gemacht habe. (Dabei hat die Szene mit dem Hakenkreuz im „Wiltfeber“ soviel mit dem Zeichen der NS-Bewegung zu tun wie ein Klavierkonzert von Chopin mit dem Horst-Wessel-Lied – das ist wenig, obwohl doch beides musikalische Werke sind.) So eingefädelt legt Schlösser Goebbels eine Duldung des Stücks nahe: „Im Rahmen einer Studio-Aufführung dürfte das an sich heikle Thema kaum Widerstand finden.“ Doch in einem handschriftlichen Nachsatz sichert der Reichsdramaturg sich ab: „Ich bitte um Rücksprache, da ich bedenkliche Auswirkungen in der Außen- und Saarpolitik bei der kritischen Situation erwartete.“32

    Goebbels beschied die Angelegenheit mit einem in dickem Bleistiftstrich aufgetragenen Vermerk „nein!“ auf das Schreiben Schlössers. Dass Goebbels aus Gründen der Kirchen- und Saarpolitik „nein!“ gesagt habe, geht aus diesen vier Buchstaben nicht hervor.

    Doch Barbara Panse fällt auf die Begründung Schlössers herein, wenn sie schreibt: „Die Inszenierung des Stückes wurde von Goebbels verboten. Schließlich stand am 13.01.1935 die Abstimmung über die Rückführung des Saargebiets an das Dritte Reich an. Große Teile dieser Region waren katholisch; das Stück machte zu direkt und zu offensichtlich gegen die Kirche mobil.“33 Woran sie diese direkte und zu offensichtliche Mobilmachung gegen die Kirche festmacht, bleibt ihr Geheimnis – es gibt sie nicht in diesem Stück. Wahrscheinlich hätten alle Christen in Deutschland sich glücklich geschätzt, wenn solche Stücke unter Hitler auf die Bühne gekommen wären. In "Krist vor Gericht" transportiert Burte immerhin das Wirken Jesu in die moderne Welt.
    Panse meint auch, Burte habe die Handlung ins Saarland verlegt – auch das ist völlig aus der Luft gegriffen. Der Gerichtssaal, in dem das Stück abspielt, kann überall in Deutschland sein.

    Prof. Dr. Barbara Panse schafft es hier, durch schlichte Falschmeldungen aus dem tiefreligiösen, zeitkritischen Einakter eines Deutschnationalen ein antiklerikales, braun durchwachsenes Bubenstück zu machen, das in der konkreten politischen Lage angeblich sogar dem Propagandaminister zu weit ging.

    Im Februar 1936 teilt Burtes Verlag dem Reichsdramaturgen mit, dass seitens des Staatstheaters Danzig und weiterer Häuser „ein gewisses Interesse an diesem Einakter“ vorhanden sei. Burtes Verleger, Herr Sorgenfrey vom Haessel-Verlag, fragt vorsichtig an, „ob heute Aufführungen des „Krist vor Gericht“ erwünscht sind“.34  Die Saarabstimmung war längst zugunsten des Deutschen Reiches abgeschlossen. Aber der Reichsdramaturg verweigerte die Zustimmung. „Das Stück durfte weder vertrieben noch inszeniert werden.“35 Dass dies aus Rücksicht auf die Katholische Kirche oder Bevölkerung geschehen wäre, ist so unwahrscheinlich, wie dass Burtes „Versgeklingel“ den Unmut von Goebbels und Göring erweckten. Vielmehr war auch der Inhalt des „Krist vor Gericht“ den Nazioberen „weltenweit fern“.

    Selbstverständlich konnte auch ein weiteres Stück Burtes im Dritten Reich nicht zur Aufführung kommen – das Drama „Simson“. Es spielt in der alttestamentlichen jüdischen Gesellschaft und entstand schon im Ersten Weltkrieg; Burte publizierte es 1917; 1918 wurde es uraufgeführt.

Revolutionärer Impetus

    Die nur rudimentären Kenntnisse Kathrin Peters’ über den zu verurteilenden Mann werden zum Schluss ihrer Arbeit noch einmal deutlich, wenn sie moniert, dass Burte nach dem Zusammenbruch des Nationalsozialismus „nach nur neun Monaten [...] mit einem milden Urteil aus der Haft entlassen wurde.“ Sie hält die neun Monate also für ein „mildes“ Urteil – welcher Richtspruch angemessen gewesen wäre, erfahren wir nicht. Rudolf Blaschek, eine Quelle, die Peters benutzt und mehrfach zitiert, hatte 1945 in seiner Anklageschrift gegen Burte „lebenslängliche“ Internierung gefordert, verbunden mit dem Zwang, „produktive Arbeit zu leisten“.36 Sie fährt fort: „Um ein reguläres Entnazifizierungsverfahren kann es sich dabei nicht gehandelt haben.“37 Ihr wissenschaftlicher Betreuer, Professor Düsterberg, glaubt ihr das. Er schreibt, die „Entnazifizierung“ der sieben im Nationalsozialismus verstrickten Autoren könne nur als „Groteske“ bezeichnet werden und meint, „gegen Burte wurde offenbar überhaupt kein Spruchkammerverfahren eröffnet“38. Doch wir finden selbst in einer von der Autorin an neun Stellen angegebenen Quelle die Tatsache bestätigt, dass die „Entnazifizierung“ Burtes stattgefunden hat: „1949 Einstufung als ‚Minderbelasteter’ vor der Spruchkammer Freiburg, Verbot politischer Betätigung“. Es handelt sich bei dieser Quelle um einen zweiseitigen Faltprospekt des Hermann-Burte-Archivs, eine tabellarische Werk- und Sündenaufzählung Burtes, verantwortet von Dr. Ulrike Falconer. Die Germanistin zitiert diese Quelle auch an dieser Stelle (Fußnote 109), scheint aber den Inhalt nicht verstanden zu haben.

    Doch fügt sich dieses Missverständnis gut in die Dramaturgie des Artikelschlusses ein: Die geistigen Täter des Nationalsozialismus werden mit Samthandschuhen angefasst, Burte bleibt verbohrt bis zu seinem Tod, immer noch halten ihm Freunde in seiner Heimatregion die Stange, sogar eine Straße ist noch nach ihm benannt, und:

„Eine hinreichende, historisch angemessene Auseinandersetzung mit Hermann Burtes Rolle im ‚Dritten Reich’ steht noch aus. Mit der Eröffnung des Archivs und der Publikation einiger differenzierter Artikel scheint sich jedoch auch in der Heimatregion Burtes eine kritische Rezeption abzuzeichnen, die sich der Historie stellt. So konnte [...] eine Ausstellung präsentiert werden, die das Thema ‚Hermann Burte und der Nationalsozialismus’ zum Gegenstand hatte. Dennoch tun sich viele Menschen dort schwer, der Wahrheit die Ehre zu geben. So konnte noch 2005 verhindert werden, dass ein kritischer Aufsatz über Burtes eigene Art, mit seiner NS-Vergangenheit umzugehen, publiziert wurde.“39

    Die Publikation eines „kritischen Aufsatzes“ über Burte verhindert! Nur zwanzig oder dreißig solcher Aufsätze oder Lexikoneinträge sind in den vier Jahrzehnten seit den rebellischen Jahren um 1968 veröffentlicht worden, er wäre der einundzwanzigste oder einunddreißigste geworden! Es gibt also auch 2005, und dies im 7. Jahr der rotgrünen Regierung, noch eine Macht, die die Publikation eines antifaschistischen Artikels verhindern kann! Die junge Wissenschaft mit ihrer kritischen Burte-Rezeption rennt nicht etwa offene Türen ein, sondern hat gegen reaktionäre Widerstände zu kämpfen, hat die „hinreichende, historisch angemessene Auseinandersetzung mit Hermann Burtes Rolle im ‚Dritten Reich’“ erst noch zu leisten (ein kleiner, mutiger Beitrag dazu der Artikel von Kathrin Peters). Der „revolutionäre Impetus“ ist immer noch vonnöten in dieser Gesellschaft, die ächzt in ihrem schweren „Kampf gegen Rechts“.

    Um wieviel leichter hatte es da Burte im Dritten Reich!

„Die oppositionelle Literatur der Weimarer Zeit“ wandelte sich „zur ‚Hofliteratur’ des ‚Dritten Reichs’ [...]. Ihrer ursprünglichen Intention, den politischen Wechsel mit herbeizuführen, entledigt, erstarrten die antidemokratischen Dichter in ihrer neuen Rolle. Sie waren nicht länger Kunstschaffende mit revolutionärem Impetus, sondern lediglich Propagandisten für den nationalsozialistischen Staat.“40 

    Wandlung oppositioneller Literatur zu Hofliteratur? Erstarrung? Wie gut, dass es so etwas in einem demokratischen Staat nicht geben kann!

Schluss

    Es wäre falsch, jungen Wissenschaftlern vorzuwerfen, dass sie noch nicht Kompetenz und Reife erreicht haben, die ihren Jahrzehnte im Beruf stehenden Kollegen eigen sind oder sein sollten. Andererseits ist es bedauerlich, wenn junge Akademiker nicht um ihr Anfängertum wissen, sondern in falscher Sicherheit zu Würfen ansetzen, die ihre Kräfte übersteigen und die Schädigung von Menschen nach sich ziehen. So darf ein junger Chirurg nicht Operationen durchführen, für die er nicht kompetent ist und auch ein junger Germanist sollte sich nicht zu Schnellschüssen auf politischem Gebiet hinreißen lassen, wenn er die Materie oder den zu behandelnden Dichter nicht ausreichend kennt. Doch ist die Verlockung zu Schnellschüssen groß, wenn sie politisch korrekt sind und daher mit dem Wohlwollen, ja der aktiven Förderung durch Professoren und mediale Öffentlichkeit rechnen dürfen. Wenn der besprochene Dichter dann noch im Nationalsozialismus verstrickt war und somit heute schutzlos ist, ist ein Schnellschuss völlig ungefährlich für den Schützen, auch wenn sein Ergebnis an Rufmord grenzt.
    Eine Schieflage bei der Darstellung eines Dichters kann nicht nur durch sachliche Fehler entstehen, sondern auch durch Moralisieren und das Messen mit zweierlei Maß, à la ‚quod licet Brecht, non licet Burte’ – was dem kommunistischen Dichter erlaubt ist, darf der deutschnationale oder nationalsozialistische noch lange nicht. Wenn ein Kommunist die demokratische Republik kritisiert, ist es höchste Literatur, tut dies ein deutschnationaler Dichter, trifft ihn die Moralkeule.

    Die meisten Fehler Kathrin Peters’ sind nicht selbstgemacht, sondern schon in der von ihr benutzten Sekundärliteratur angelegt. Wenn alle die selben Irrtümer und Unausgewogenheiten kolportieren, entsteht ein einheitliches Bild, ein Trugbild von Wahrheit. Jeder neue Aufsatz oder Lexikonbeitrag, der dieses Bild bestätigt, verfestigt das Trugbild, das auch von Lehrkräften hinausgetragen und via Wikipedia und Medien popularisiert wird. So wird aus Burte ein 150-prozentiger Nazi. Aufgabe der Germanistik müßte es sein, solche tendenziösen Darstellungen kritisch wahrzunehmen, statt sie in immer neue Höhen weiterzutreiben.

Harald Noth, 2010

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Schreiben Sie an meinung@noth.net!

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Anmerkungen

(1) Kathrin Peters: Hermann Burte – der Alemanne. In: Dichter für das »Dritte Reich« – Biografische Studien zum Verhältnis von Literatur und Ideologie“, im Jahr 2009 herausgegeben von Rolf Düsterberg, S. 18 - 47
(2) Rolf Düsterberg: Vorwort. In: Dichter für das »Dritte Reich« – Biografische Studien zum Verhältnis von Literatur und Ideologie“, im Jahr 2009 herausgegeben von Rolf Düsterberg, S. 9
(3) Katrin Peters, ebenda, S. 32
(4) Siehe etwa die entsprechende Anschreiben des DNVP-Ortsvereins Mannheim vom 26. 10. 1924 und des Ortsvereins Karlsruhe vom 13. 12. 1924 im Hermann-Burte-Archiv, Maulburg, Ordner Korrespondenz-Politik.
(5) Kathrin Peters, ebenda, S. 33f. Sie zitiert aus dem Brief Burtes an Hans Grimm vom 4. 11. 1932 nach: Werner Mittenzwei: Der Untergang einer Akademie oder Die Mentalität des ewigen Deutschen. Berlin 1992, S. 218
(6) Kathrin Peters, ebenda, S. 34
(7) Der Markgräfler - Freie deutsche Zeitung für das schaffende Volk in Stadt und Land, 31. 1. 1931: F. v. Reichenau: Der Nationalsozialismus
(8) Der Markgräfler, 1. 10. 31, Robert Michels: Der Aufmarsch des Fascismus
(9) Erwiderung von Hermann Burte Strübe auf Anklagen, Vorwürfe und Beschuldigungen (1947), Hermann-Burte-Archiv Maulburg, S. 8
(10) Kathrin Peters, ebenda, S. 36
(11) "Zuck-aus-der-Luft", Der Spiegel, 1. April 1959 sowie 
Schreiben der Fraktion die Grünen im Kreistag Breisgau-Hochschwarzwald (gez. Peter Philippen) an Landrat Dr. E. Schill mit „Auszügen meiner Burte-Lektüre“ (= eine Sammlung denunziatorischer Zitate). Siehe auch Badische Zeitung, Breisgau-Hochschwarzwald, 27. 7. 1988
(12) Eine Widerlegung im Netz speziell dieses Artikels erfolgte am 15. April 2009.
(13) Wolfgang Heidenreich, "DER BURTE" - Neuvermessung des alemannischen Dichters, Redners und Malers Hermann Burte - Texte, Analysen, Gespräche. (Südwestfunk, Landesstudio Freiburg, 1978) S. 8 
(14) Rolf Düsterberg, ebenda, S. 9
(15) Kathrin Peters, ebenda, S. 26
(16) Mehr zu dieser Geschichte siehe hier: Hermann Burte, Sekretär Ernst und Hanns Ludin
(17) Norbert Meklenburg: Erzählte Provinz. Regionalismus und Moderne im Roman. Königstein 1982, S. 96 und S. 100
(18) Otto Borst: Dichtung und Literatur. In: „Das Dritte Reich in Baden Württemberg“, Otto Borst (Hg.), 1988, S.187
(19) Otto Borst, ebenda, S. 184
(20) Kathrin Peters, ebenda, S.30
(20a) Kathrin Peters, ebenda, S. 34. [Bemerkung vom 24. 8. 2013: Woher Peters nimmt, dass Burte in die Akademie aufgenommen wurde, hält sie geheim. Immerhin gibt sie zu, dass Burte wegen seiner "Angriffe auf Hitler" für die Akademie nicht in Frage kam. Sie meint, er sei dann doch aufgenommen worden.] 

(21) Die Tagebücher von Joseph Goebbels. Teil I, Band 3/II, München 1966, S. 271f
(22) Die Tagebücher von Joseph Goebbels. Teil I, Band 4, München 2000, S. 320
(23) Barbara Panse: Zeitgenössische Dramatik 1933-44. Autoren, Themen, Zensurpraxis. In: Theater im „Dritten Reich“: Theaterpolitik, Spielplanstruktur, NS-Dramatik. Henning Rischbieter (Hg.), Seelze-Velber 2000, S. 534
(24) Abgedruckt als Faksimile in Heinz. H. Stuckenschmidt: Zum Hören geboren. Ein Leben mit der Musik meiner Zeit. München 1979, S. 149, hier zitiert nach Werner Vogel: Othmar Schoeck, Leben und Schaffen im Spiegel von Selbstzeugnissen und Zeitgenossenberichten. Zürich 1976, S. 257
(25) zit. bei Werner Vogel, ebenda, S. 256. Dieser tragische Ausgang war von Burte zunächst nicht vorgesehen gewesen, aber der Komponist der Oper, Othmar Schoeck, bestand gegenüber Burte darauf, dass das Stück wie die Vorlage von Eichendorff tragisch enden solle.
(26) Erwiderung von Hermann Burte Strübe auf Anklagen, Vorwürfe und Beschuldigungen (1947), Hermann-Burte-Archiv Maulburg, S. 6
(27) Chris Walton: Othmar Schoeck. Eine Biographie. Zürich - Mainz 1994, S. 244f
(28) Erwiderung von Hermann Burte Strübe auf Anklagen, Vorwürfe und Beschuldigungen (1947), Hermann-Burte-Archiv Maulburg, S. 8
(29) Barbara Panse, ebenda, S. 544
(30) Nachgedruckt in Der Markgräfler, 16. 2. 1930
(31) Nachgedruckt in Der Markgräfler, 4. 5. 1930
(32) Schreiben Rainer Schlössers an Joseph Goebbels, 1. Oktober 1934, Bundesarchiv, BArch R55/29170
(33) Barbara Panse, ebenda, S. 544
(34) Brief von Sorgenfrey an Schlösser, 9. 2. 1936, Bundesarchiv, BArch R55/20182
(35) Barbara Panse, ebenda, S. 544
(36) Rudolf Blaschek: Bericht über den Schriftsteller Hermann Burte aus Lörrach. Zu Händen der Deutschen Polizei des Landkreises Lörrach; Der Französischen Militärbehörde des Landkreises Lörrach. Lörrach, 13. 8. 1945 (Hermann-Burte-Archiv),  S. 44
(37) Kathrin Peters, ebenda, S. 40
(38) Rolf Düsterberg, ebenda,  S. 14
(39) Kathrin Peters, ebenda, S. 43
(40) Kathrin Peters, ebenda, S. 39