Alemannisches Dialekthandbuch vom Kaiserstuhl und seiner Umgebung

Die Beständigkeit des Alemannischen in den letzten Jahrhunderten

Allgemeine Vorbemerkung   gang ani!
Konkrete Untersuchungen:
Eichstetterisch um 1820
Inhalt: Richtungsadverb 'nii' oder 'iini'?; Monophthong in 'Frind', 'frindli')
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Seit 1843 - Alemannisch in Venezuela gang ani!
Die Erhebung des Deutschen Sprachatlas um 1887 
Lautung: 'Füür' oder Fiir?; Fruuchd oder 'Korn'?; "diese Nacht"; "Nicht sehr hoch"; "geh nur!"; "der braune Hund"; "dann"; "aufhören zu schneien"; "sei so gut"; "Zungenspitzen-r" oder "Zäpfchen-r"?)
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Die Mundart von Sasbach um 1900 

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Im späten Mittelalter entstanden durch nördliche, fränkische Einflüsse zunächst eine ganze Reihe sprachlicher Unterschiede, Nord-Süd-Gegensätze - wir sprachen im Kapitel "Die Nord-Süd-Staffelung des oberrheinischen Alemannisch" darüber.

Friedrich Maurer führt das leichte Eindringen der von Norden kommenden Formen auf das "Fehlen einer alles beherrschenden zentralen Kraft" (also wohl eines politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Zentrums) zurück. Weiter schreibt er:

"Aber dann kommt (...) doch ein Zeitpunkt, wo das Oberrheingebiet abwehrt. Als z. B. die neuen Zwielaute von der Pfalz einzudringen versuchen ('Haus', 'Eis', 'Leute' statt 'Hus', 'Is', 'Lüte'), da gelingt es ihnen nicht; sie bleiben am Nordrand des Elsasses liegen (...). Die Zeit des 15. und 16. Jahrhunderts, in der das Oberrheingebiet nicht geneigt ist, seine eigenen Formen für andere aufzugeben, ist eine Zeit höchster eigenständiger Blüte und ausstrahlender Kraft des Südwestens auf allen Gebieten der Kunst und Wissenschaft. Es ist die hohe Zeit des Humanismus am Oberrhein; es ist die Zeit der Hochblüte oberrheinischer Kunst in der Spätgotik. Es ist zugleich auch die Zeit einer wirtschaftlichen Hochblüte besonderer Art. Man kann gut begreifen, daß jetzt der Oberrhein selbstbewußt bei seiner sprachlichen Eigenart beharrt und kraftvoll das Fremde abwehrt. Ähnlich steht es wohl mit anderen Erscheinungen, die als sprachliche Neuerungen abgewehrt worden sind, etwa mit den neuen vom Niederrhein her kommenden Einlauten in 'Bruder', 'Brüder', 'lieb', an deren Stelle der Oberrhein mit dem gesamten Süden bei den alten Zwielauten 'brueder', 'lieb', 'müed!' bleibt." (Maurer, 1942)

 Aber im 16. Jahrhundert kommt die neuhochdeutsche Schriftsprache auf verbreitet sich in bestimmten Gegenden Deutschlands. Sie wird einmal verschiedene deutsche Dialekte verdrängen und auch dem Alemannischen hart zusetzen. Im Lauf der Jahrhunderte wird es auch zu immer schärferen staatlichen Trennlinien zwischen den Alemannen auf der Schweizer, auf der elsässischen und auf der badischen Rheinseite kommen. Die Sprache der Elsässer und der Südbadener wird in Unbedeutendheit versinken.

Dies alles, wie es geschehen ist, mag dazu beigetragen haben, daß das oberrheinische Alemannische bis in unser Jahrhundert keine großen, neuen Entwicklungen mehr durchgemacht hat. Schon gar nicht kam es zu einer neuen Vereinheitlichung der alemannischen Sprache: Dazu hätte es wiederum eines stärkeren alemannischen Gemeinschaftsbewußtseins, eines kulturellen Zentrums oder einer kulturellen Bewegung und regen kulturellen Austauschs bedurft.

Das Fehlen größerer neuer Entwicklungen bestätigt Annelise Meyer: Sie kommt am Ende ihrer Untersuchung über die ältere Sprachgeschichte Mülhausens zum Schluß, daß die Sprache im Raum von Mülhausen ihr heutiges Gesicht im großen Ganzen im 16. Jahrhundert erreicht und abgesehen von einigen Veränderungen im 17. Jahrhundert bis heute beibehalten hat.

Das Kaiserstühler Alemannische ist dem Dialekt der Mülhausener Gegend sehr ähnlich und wir dürfen annehmen, daß auch am Kaiserstuhl und in seiner Umgebung bereits vor 3 - 400 Jahren sehr ähnlich gesprochen wurde, wie die ältere Generation heute noch spricht. Davon ist allerdings der Wortschatz auszunehmen:

Das Kaiserstühlerische hat in diesem Jahrhundert und besonders seit dem Krieg einiges an ursprünglichem Wortschatz eingebüßt; zahlreiche Begriffe aus der Schriftsprache sind eingedrungen und neben oder anstelle von bodenständigen Wörtern getreten. Weiter unten in den Abschnitten über Eichstetten, den Deutschen Sprachatlas und Sasbach führen wir einige Wörter und Formen auf, die in den letzten 170 oder in den letzten 100 Jahren verloren gegangen oder in Gefahr geraten sind.

Was die davorliegenden Jahrhunderte betrifft, hat nach Auffassung von Ernst Ochs selbst die große Zahl von Einwanderern nach dem Dreißigjährigen Krieg keine Veränderung des Dialekts mehr bewirkt.

Zuwanderung nach dem Dreißigjährigen Krieg

Besonders in den Jahren 1632 - 1640 wurde der Kaiserstuhl von den plündernden schwedischen und baden-durlachischen Truppen der evangelischen Seite und den kaiserlich-habsburgischen Truppen der katholischen Seite heimgesucht. Ganze Dörfer wurden niedergebrannt, wer am Leben blieb, floh oder versteckte sich. Nach dem Krieg, so schätzt der Historiker Joseph Rest, hatte die Bevölkerung am Kaiserstuhl um 75% abgenommen. Diese Verluste wurden durch Geburten und eine starke Zuwanderung innerhalb einiger Jahrzehnte wieder ausgeglichen. Dabei sind in die evangelischen Orte vor allem protestantische Einwohner aus den Kantonen Basel, Bern und Zürich zugezogen; in die katholischen Orte kamen nach J. Rest vor allem Katholiken aus den Schweizer Urkantonen (Schwyz, Uri, Unterwalden), aus Schwaben und dem Allgäu.

Sollte tatsächlich nichts aus der sprachlichen Vielfalt im Breisgau, aus den Unterschieden von Ort zu Ort, durch die schweizerische und schwäbische Zuwanderung verursacht sein? Vielleicht gelingt doch einmal ein Nachweis. Aber selbst wenn es Veränderungen durch die damalige Zuwanderung gegeben haben sollte, werden es nicht viele sein, denn die nach und nach zuwandernden alemannischen Nachbarn brachten keine genormte Hochsprache mit, sondern sprachen selbst kunterbuntes Alemannisch, gefärbt je nach der Herkunftsgegend. Sie besaßen kein Bewußtsein sprachlicher Überlegenheit und hatten keine staatliche Kulturmaschinerie im Rücken, die sie in einem solchen Bewußtsein unterstützt hätte. Damit unterscheidet sich die damalige Zuwanderung grundlegend von der heutigen. Die damaligen Zuwanderer werden sich dem hiesigen Sprachgebrauch rasch und weitgehend angepaßt haben.