Zum Volkstrauertag 2018 in Oberrotweil
Das
Gefallenehrenmal in Oberrotweil war bisher ein einzigartiger Platz im
Dorf - man konnte an diesem kleinen Park ruhen, sich besinnen. Jetzt
musste er vorerst einem Rathaus-Anbau weichen - ist dieses
Weichen-Müssen Symbol einer Veränderung der Einstellung der jungen
tonangebenden Generation zum Soldatentum in Deutschland? Die Leistungen
der Soldaten der Weltkriege werden tendenziell nicht mehr als Heldentum,
sondern als Mitläufertum in ungerechten Kriegen angesehen. Dieses Bild
wurde von der Geschichtsschreibung der Jahrzehnte nach dem Zweiten
Weltkrieg aufgebaut; es kann an dieser Stelle nur pauschal und ohne
detaillierte Begründung zurückgewiesen werden. Hoffentlich wird nahe
des alten Platzes eine neue Lösung gefunden, in der unserer gefallenen
Väter und Großväter ebenfalls ehrenvoll gedacht wird. Im Zentrum des
Ensembles hatte ein Kreuz mit der Statue einer Soldatenwitwe gestanden,
dahinter Tafeln mit den Namen der Gefallenen beider Weltkriege.
Diese Statue ist
gewagt gestaltet, eine trauernde Frau, Kopf gesenkt, jung, dünnes Kleid,
Sichel und Ährenbündel im Arm. Einigen politisch überwachen Betrachtern
erscheint dies als typische Nazikunst - ist es aber nicht. Der
Kriegerverein, in dem die Kriegsveteranen organisiert waren, hatte das
Kreuz mit Witwe bereits in den 1920er Jahren aus Entwürfen ausgewählt.
Damals gab die katholische Zentrumspartei im Dorf den Ton an; die Statue
wurde, als sie 1934 endlich aufgestellt werden konnte, in der Kapelle
Maria-Ablesig platziert, die der Familie von Gleichenstein gehört -
Vater Alfred von Gleichenstein war bis 1918 Abgeordneter der
Zentrumspartei im Badischen Landtag gewesen und bis zu seinem Tod 1929
Mitglied im Kriegerverein. Unter dem Sockel der Kriegerwitwe ist "AVE
MARIA" ( = Gegrüßet seist du, Maria) eingemeiselt - Hinweis auf die
katholisch geprägte Vorstellungswelt im damaligen Dorf und auf die
christliche Gesinnung der Kriegsveteranen. In den 50er Jahren wurde das
Kreuz und die Statue weiterverwendet, die zuvor seitlich zugestellten
niedrigen Stelen mit Stahlhelmskulpturen weggelassen. Die Anlage, wie
sie noch vor Kurzem stand, drückte Empfinden und Willen der Mehrheit der
Männer der 20er und der 50er Jahre aus. Die junge Generation sollte sich
hüten, das abzuräumen, was den Alten teuer war. Es muss erhalten
bleiben, insbesondere auch das Kreuz mit der trauernden Witwe, das 84
Jahre fast ohne Unterbrechung das Dorfbild mitprägte.
Eine Öffnung des Gedenkplatzes zur neuen Zeit fand schon statt, als
vor Jahren eine Stele mit zwei Friedenstauben auf einer Seite des
Platzes eingefügt wurde - gegenüber einer großen Soldatenstatue, dem
Siegesdenkmal aus dem Krieg 1870/71. Das reicht aber nicht allen; das
Kreuz mit Soldatenwitwe soll weichen oder zurücktreten und es soll jetzt
auch der Opfer des Nationalsozialismus und der Helden des Widerstands
gedacht werden. Das wäre akzeptabel, wenn alle Opfer gezeigt würden - im
Dorf leben auch Nachkommen der Opfer der alliierten Bombenangriffe auf
Freiburg und Breisach und anderer Städte sowie Heimatvertriebene, es gab
Vergewaltigungen durch Marokkaner im französischen Militärdienst. Diese
Frauen, Männer und Kinder dürfen nicht zu Opfern zweiter Klasse
degradiert und vergessen werden.
19. November 2018, Harald Noth
Aus:
Lueg ins Land
ohne
Scheuklappen - Der
Blog von Harald Noth
www.noth.net/lueginsland/blog.htm
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