Edwin
Röttele
Die
Herren
waren
bei
Laune
Es war der dritte Sonntag im Oktober 1718, Kirchweihtag. Am Königschaffhauser Tor trafen sie sich wie ausgemacht: der Cameranus des kirchlichen Landkapitels Endingen samt seinem Bruder Vikar und der neue Pfarrherr von St. Peter. Die beiden ersteren kamen mit einer leichten Kutsche von Sasbach, der vor wenigen Wochen erst eingesetzte Endinger Herr hatte die paar hundert Meter zu Fuß zurückgelegt. Pünktlich um elf Uhr wie ausgemacht schlugen sie nach kurzer Begrüßung miteinander den nahen Weg nach Wyhl ein. Dort hatte Pater Jakob um die gleiche Zeit das Kirchweihamt beendet, war die fünf Sandsteinstufen aus der Sakristei in den Kirchhof hinabgestiegen und ging nun durch die Reihen der Verstorbenen; viele von ihnen hatte er gekannt: Kinder, Männer und Frauen im blühenden Alter und auch ein paar Hochbetagte, und beim Sinnieren über Leben und Tod legte sich ein wenig seine Unruhe. Er erwartete Gäste, nicht unbedingt erfreuliche, aber unvermeidliche, nämlich die schon genannten drei geistlichen Kollegen. Das Verhältnis von Lehensherrschaft und Lehensuntertanen war nicht nur im weltlichen Bereich seit Jahrhunderten gespannt, sondern auch in den kirchlichen Beziehungen. Die geistlichen Herren des Landkapitels Endingen beanspruchten seit ein paar Jahren das Visitationsrecht über die Kirche in Wyhl, und der Bischof von Konstanz und seine Verwaltung unterstützten sie dabei; das Kloster St.Märgen aber, seit 1324 Grundherr der Gemeinde und zugleich für die Seelsorge im Ort zuständig, wehrte sich gegen diesen Versuch, die Endinger Lehenshoheit gleichsam auch auf den kirchlichen Bereich auszudehnen. Man lebte also in gespannten Verhältnissen, doch einen Krieg wollte man auch nicht; also hatte Pater Jakob seine drei Mitbrüder aus dem Kapitel zum Mittagessen und einem nachmittäglichen Umtrunk eingeladen. Auch wenn er sich beim Gang durch die Reihen der Gräber wieder gefaßt hatte, die Unruhe blieb.
Unterdessen
waren
die
drei
Geladenen
nach
Wyhl
unterwegs.
Das
Wetter
war
gut,
seit
Tagen
hatte
es
nicht
geregnet,
der
Weg
staubte
sogar
ab
und
zu,
es
war
wirklich
ein
goldener
Oktobertag,
und
die
Laune
der
drei
war
ausgezeichnet.
Schon
von
weitem
konnte
man
sie
deutlich
voneinander
unterscheiden:
der
Linke
war
klein
und
dünn,
der
Rechte
lang
und
schmal,
der
Mittlere
aber
war
die
beherrschende
Figur:
groß
und
breit,
heischte
er
schon
von
seiner
Statur
her
besonderen
Respekt;
gleichsam,
um
dies
zu
unterstreichen,
trug
er
auch
eine
Schußwaffe.
Er
sagte,
die
Wyhler
hießen
ja
bei
den
Nachbarn
die
Wölfe,
also
sei
es
geraten,
sich
auf
diese
Bestien
einzustellen.
Die
Herren
schritten
tüchtig
voran,
kamen
am
Roten
Kreuz
vorbei,
passierten
den
Bannstein
zwischen
Endingen
und
Wyhl
und
sahen
schon
lange
dessen
Kirchturm.
Die
Felder
waren
weithin
abgeerntet,
nur
auf
ein
paar
Äckern
mußten
die
Rüben
noch
in
Erdmieten
geborgen
werden,
sonst
schien
bereits
alles
auf
den
Winter
zu
warten.
Links
neben
dem
Weg
saß
ein
großer
Schwarm
Krähen,
und
der
Lange
versuchte
einen
Scherz:
„Schaut
mal,
unsere
armen
schwarzen
Schwestern!“
Und
der
Dicke
sekundierte
ihm:
„Die
haben
das
ganze
Jahr
Fastenkost,
nur
Körner
und
Gemüse;
die
Endinger
müßten
mal
wieder
einen
an
den
Galgen
hängen.
Da
geht
es
uns
zum
Glück
besser,
und
heute
werden
wir
den
Pater
Augustiner
kräftig
schröpfen!
Keine
französischen
Mordbrenner
seit
vier
Jahren,
auch
keine
kaiserlichen
Diebesbanden,
dazu
ein
gnädiger
Himmel
mit
Regen
und
Sonne
zur
rechten
Zeit:
den
Wyhler
Bauern
geht
es
gut,
also
auch
dem
klösterlichen
Confrater,
und
das
werden
wir
heute
nutzen!“
Dabei
rieb
er
sich
die
Hände,
und
seine
dunklen
Augen
unter
den
dicken
Brauen
funkelten
vor
Vergnügen.
Inzwischen
hatten
sie
die
kleine
Anna-Kapelle
unweit
des
Dorfes
erreicht
und
damit
auch
schon
fast
den
Ortsetter,
und
von
dort
aus
sahen
sie
dann
bald
unter
ein
paar
Linden
das
Kreuz
im
Oberdorf,
wo
alle
Wege
in
den
Dorfplatz
mündeten.
Schräg
links
gegenüber
stand
das
stattliche
Fachwerkhaus,
das
die
Gemeindestube
barg,
sie
aber
wandten
sich
nach
rechts
zur
Breiten
Gasse,
kamen
nach
kurzer
Zeit
zum
Widumhof
und
zur
Kirche,
stiegen
die
kurze
Treppe
zum
Kirchhof
hinauf
und
standen
wenig
später
vor
der
Pfarrhaustür.
Auf
dem
ganzen
Weg
durch
das
Dorf
hatte
sie
kein
Mensch
gegrüßt;
wer
draußen
vor
dem
Haus
oder
im
Garten
war,
hatte
sich
bei
ihrem
Näherkommen
schnell
verdrückt
-
die
drei
wußten,
daß
sie
in
Wyhl
nicht
willkommen
waren.
Nun
standen
sie
also
vor
der
Tür;
der
kleine
Dünne
zog
an
der
Glockenschnur,
und
fast
im
gleichen
Augenblick
öffnete
Pater
Jakob
die
schwere
eichene
Pforte
und
begrüßte
sie.
„Salvete,
fratres!“
sagte
er
höflich,
und
die
drei
antworteten
ebenso
höflich:
„Salve,
frater!“1
Der
Pater
führte
seine
Gäste
in
den
schönsten
Raum
des
Hauses,
dessen
Fenster
nach
Südwesten
den
Blick
auf
die
Kirche
und
den
davorliegenden
Teil
des
Gräberfeldes
freigaben,
während
man
durch
die
Fenster
auf
der
Südostseite
eine
große
Grasfläche
vor
der
Zehntscheuer
und
rechts
daneben
Dachgiebel
aus
der
Märgener
Gasse
und
als
Abschluß
den
Komplex
des
Widumhofes
sah.
Die
Gäste
waren
sichtlich
beeindruckt
von
Raum
und
Ausblick,
und
der
Dicke,
den
die
anderen
nur
„Reverendissimus“
nannten,
weil
er
als
Kämmerer
des
Landkapitels
großen
Einfluß
besaß,
der
also
faßte
sich
zuerst
und
sagte:
„Respekt,
Respekt,
Pater,
hier
kann
auch
Euer
Vater
Abt
speisen,
wenn
er
Euch
besuchen
wird,
und
wie
man
hört,
will
er
nicht
nur
das
Kloster
im
Schwarzwald
wieder
aufbauen,
sondern
auch
öfters
Wyhl
als
Refugium2
nutzen,
wenn
es
ihm
demnächst
in
St.
Marienzelle
zu
kalt
oder
in
Freiburg
zu
unruhig
wird.“3
„Wenn
Vater
Andreas
unser
Kloster
im
Schwarzwald
wieder
erstehen
läßt,“
gab
Pater
Jakob
zur
Antwort,
„werden
wir
alle
glücklich
sein.
Wir
Chorherren
nach
der
Regel
des
heiligen
Augustinus
sind
zwar
der
Seelsorge
verpflichtet,
aber
wir
brauchen
auch
die
besinnliche
Ruhe,
wie
sie
uns
Marienzelle
bieten
würde;
ich
hoffe,
er
kann
das
begonnene
Werk
vollenden.“
Inzwischen
hatte
Sophie,
die
Wirtschafterin
und
Köchin,
die
festtägliche
Nudelsuppe
auf
den
Tisch
gebracht
und
in
die
Teller
geschöpft.
Die
vier
Herren
sprachen
gemeinsam
ein
lateinisches
Tischgebet,
dann
bat
Pater
Jakob
seine
Gäste,
Platz
zu
nehmen.
Diese
löffelten
genüßlich
ihre
Teller
leer,
und
die
Sorge
des
Hausherrn
legte
sich
etwas.
Sophie
ließ
die
Suppenteller
abtragen
und
das
Hauptgericht
bringen:
Schweinebraten
mit
Rosenkohl
aus
dem
Pfarrgarten
und
Klöße.
Peter,
der
Hausknecht,
hatte
einen
großen
Krug
Wein
aus
dem
Keller
geholt
und
schenkte
nun
ein
in
die
schönen
böhmischen
Gläser,
die
der
Pater
erst
vor
wenigen
Wochen
von
einem
alten
Freund
aus
Wien
als
Geschenk
durch
einen
Kurier
zugestellt
bekommen
hatte.
„Pater
Jakob“,
sagte
der
Reverendissimus,
„in
solche
Gläser
paßt
aber
kein
Wyhler
Hohrainer;
ich
hoffe,
Ihr
habt
uns
einen
Kiechlinsbergener
aus
den
bekannt
guten
Lagen
Eures
Klosters
einschenken
lassen!“
Pater
Jakob
lächelte
und
antwortete:
„Ich
wußte
ja,
was
für
Weinkenner
heute
meine
Gäste
wären.
Es
ist
zwar
schwer,
mit
dem
Sasbacher
Roten
oder
dem
Endinger
Engelberg
zu
konkurrieren,
aber
probiert
ruhig.“
Das
taten
die
drei
auch,
und
zwar
so
kräftig,
daß
Peter
gleich
zweimal
nachschenken
und
dann
den
Krug
neu
füllen
mußte.
Pater
Jakob
aber
wurde
die
Sache
etwas
unheimlich;
er
sah,
wie
die
Gesichter
seiner
Gäste
allmählich
rot
anliefen,
und
ihre
Äußerungen
wurden
auch
immer
unbeherrschter.
Doch
der
Reverendissimus
kam
nun
erst
richtig
in
sein
Element;
jetzt
sollte
es
lustig
werden,
und
zwar
mit
Gesang.
Er
fragte
also
seine
Kumpane:
„Was
singen
wir?
Den
Schwabenreim?“
Und
die
antworteten
feixend:
„Ja,
den
Schwabenreim!“
Also
hob
der
Dicke
an:
“Mir
dingge
nur,
wo's
nix
koschd,
mir
dringge
nur,
wo's
nix
koschd.“
Und
die
zwei
anderen
grölten
mit
ihm
zusammen:
„Ja,
wenn
das
so
ischd,
ja,
wenn
das
so
ischd,
ja,
wenn
das
so
ischd,
dann
Proschd!“
Sie
fühlten
sich
immer
mehr
in
ihre
Studentenzeit
zurückversetzt,
und
alle
Lumpereien
und
aller
Schabernack,
den
sie
da
getrieben
hatten,
fielen
ihnen
wieder
ein.
Der
gute
Pater,
der
in
der
strengen
klösterlichen
Zucht
aufgewachsen
war
und
lockere
Studentensitten
nie
erlebt
hatte,
stand
diesem
Ausbruch
fassungslos
gegenüber.
Seine
Gäste
aber
gerieten
noch
mehr
in
Fahrt,
und
ihr
Ziel
wurde
immer
deutlicher
der
Gastgeber:
„Ein
Prosit,
ein
Prosit,
ein
Prosit,
ein
Prost,
und
wenn
es
dem
Pater
sein
Pfarrhäusle
kost,“
so
hörten
Wirtschafterin
und
Hausknecht
in
der
Küche,
und
auch
Verwalter
und
Personal
vom
benachbarten
Widumhof
wurden
auf
den
Lärm
im
Pfarrhaus
aufmerksam.
Michel,
der
Ochsenknecht,
sagte:
„Bim
Paadr
isch
woll
dr
Deifl
los!“
„Drei
Deifl,
ich
haa
si
gsaana,“4
sagte
der
Verwalter.
Pater
Jakob
versuchte
auf
die
Gäste
mäßigend
einzuwirken:
„Meine
Herren,“
wandte
er
sich
an
sie,
„meine
Herren,
mir
scheint,
wir
sollten
den
Umtrunk
beenden,
denn
gleich
muß
ich
zur
Vesper.
Ich
lade
Sie
gerne
dazu
ein.“
Doch
da
brauste
der
Dicke
auf:
„Pater,
wir
sind
keine
Klosterknaben,
sondern
Herren,
und
wenn
du
uns
schon
einmal
eingeladen
hast,
dann
sei
nicht
unhöflich,
sondern
laß
uns
trinken,
solange
wir
wollen
und
können,
und
Vespern
können
wir
noch
viele
feiern,
heut
haben
wir
frei!“
Und
zum
kleinen
Dünnen
gewandt:
„Kaplan,
der
Herr
Cameranus
und
der
Herr
Oberpfarrer
der
Lehensherrschaft
Endingen
geben
dir
den
Auftrag,
für
einen
weiteren
Krug
Wein
zu
sorgen
in
diesem
gastlichen
Haus!“
„Fiat
voluntas
tua,
Reverendissime,“5
sagte
der
Kaplan,
und
der
Dicke
nahm
die
Anspielung
auf
das
lateinische
Vaterunser
mit
breitem
Grinsen
zur
Kenntnis,
während
der
Pater
sich
wegen
dieser
Blasphemie
heimlich
bekreuzigte;
er
ging
mit
bedrängter
Seele
in
seine
Kirche.
Unterdessen
zog
der
Kaplan
mit
dem
leeren
Krug
zur
Küche,
aber
Peter
weigerte
sich,
ihn
ohne
Auftrag
des
Paters
noch
einmal
zu
füllen.
Er
ging
also
mit
dem
Kaplan
zurück,
fand
aber
den
Pater
Jakob
nicht
mehr
vor.
Stattdessen
erklärte
der
Reverendissimus:
„Einen
vollen
Krug
haben
wir
befohlen,
Kerl!
Ab
in
den
Keller!“
Peter
verharrte
einen
Augenblick
unschlüssig,
drehte
sich
dann
langsam
zur
Tür,
und
wenig
später
stand
der
zum
dritten
Mal
gefüllte
dickbauchige
Krug
auf
dem
Tisch.
Der
Knecht
verschwand
schleunigst,
doch
der
Kaplan
übernahm
die
Rolle
des
Mundschenks.
Die
drei
Gäste
führten
sich
nun
auf
wie
eine
Truppe
nach
erfolgreichem
Sturm
auf
die
feindliche
Festung.
Bevor
der
Kaplan
einschenkte,
sang
der
Dicke
im
Ton
einer
Litanei:
„Wir
armen
Stinker“
-
und
alle
drei
antworteten:
„Wir
bitten
dich,
erhöre
uns!“
Darauf
schüttelten
sie
sich
vor
Lachen.
Inzwischen
war
die
Vesper
zu
Ende,
und
die
Leute
kamen
aus
der
Kirche,
und
viele
suchten
die
Gräber
ihrer
Verwandten
auf
dem
Kirchhof
auf,
und
Pater
Jakob
war
mitten
unter
ihnen.
Der
Reverendissimus
und
seine
Kumpane
aber
stellten
sich
in
eines
der
Fenster
zum
Kirchhof
hin
und
urinierten
in
aller
Öffentlichkeit
heraus.
Die
Menschen
auf
dem
Kirchhof
begriffen
den
Spott
und
Hohn,
und
vor
allem
die
Männer
hätten
die
drei
am
liebsten
am
Kragen
gepackt,
aber
sie
wussten
aus
bitterer
Erfahrung,
dass
sie
gegen
solches
Pack
im
schwarzen
Frack
nicht
ankamen.
Sie
ballten
also
in
ohnmächtiger
Wut
die
Fäuste
und
hofften
auf
eine
spätere
Gelegenheit.
Den
Pater
Jakob
nahmen
sie
aus,
der
war
ein
Opfer
wie
sie,
das
wussten
sie,
und
er
tat
ihnen
leid.
Als
der
in
das
Pfarrhaus
zurückkam,
waren
die
Gäste
verschwunden.
Sophie
berichtete
ihm,
sie
hätten
zuerst
mit
dem
restlichen
Wein
sie
und
den
Peter
bespritzt
und
gesagt,
sie
wollten
sie
noch
einmal
richtig
taufen;
danach
seien
sie
durch
den
Pfarrgarten
ins
freie
Feld
verschwunden.
Pater
Jakob
atmete
fürs
erste
auf,
aber
er
ahnte,
dass
das
Unheil
noch
nicht
vorbei
war.
Und
seine
Ahnung
trog
ihn
nicht,
denn
als
es
zu
dämmern
begann
und
der
Gänsejunge
eben
auf
der
Wiese
bei
der
Zehntscheune
seine
Herde
sammelte
und
in
den
Stall
treiben
wollte,
fielen
ein
paar
Schüsse,
und
der
Bub
rannte
entsetzt
ins
Haus
und
schrie:
„Si
schiaßa
unseri
Gans
dood!“
Was
nun
folgte,
war
wie
ein
Stück
aus
dem
Tollhaus.
Der
Reverendissimus
hatte
tatsächlich
im
Nu
drei
Gänse
erlegt.
Nun
packte
er
eine
davon
am
langen
Hals,
hielt
sie
vor
den
Bauch
und
sang:
„Schwupps,
ich
hab
‘ne
Gans
gestohlen,
geb
sie
nimmer
her,
geb
sie
nimmer
her,
soll
mich
eh‘r
der
Teufel
holen
mit
dem
Scheißgewe-he-her!“
Die
beiden
Begleiter
machten
es
ihm
nach,
und
zu
dritt
tanzten
sie
im
nun
schon
schwachen
Abendlicht
hintereinander
her
und
sangen
ihr
Gänselied;
es
war
eine
gespenstische
Szene,
die
drei
schwarzen
Gestalten
mit
den
weißen
großen
Tieren
vor
dem
Bauch
-
wahrhaftig,
in
Pater
Jakobs
Garten
waren
die
Teufel
los.
Nach
einer
Weile
stapften
sie
wieder
ins
Haus
und
brachten
die
toten
Tiere
in
die
Küche,
legten
sie
auf
den
großen
Tisch,
und
der
Reverendissimus
sagte,
sie
hätten
nur
für
einen
ordentlichen
Kirchweihbraten
sorgen
wollen;
der
käme
zwar
etwas
verspätet,
aber
so
eine
Gans
schmecke
auch
am
Werktag
gut.
Dann
gingen
sie
in
das
Empfangszimmer
zurück,
der
Kaplan
füllte
die
Gläser,
der
Dicke
zählte
:
eins
-
zwei
-,
und
bei
drei
warfen
sie
die
vollen
Gläser
mit
„Prosit!“
hinter
sich;
dabei
gingen
nicht
nur
die
schönen
Gläser
zu
Bruch,
sondern
auch
zwei
Fensterscheiben.
Damit
schienen
sie
sich
ausgetobt
zu
haben;
sie
zogen
in
die
Küche
und
befahlen
der
verängstigten
Sophie,
der
Knecht
solle
sie
zum
Vogt
führen,
und
zwar
sofort.
Den
brauchte
die
Köchin
nicht
zu
rufen,
er
hatte
im
Flur
alles
gehört
und
schon
eine
Laterne
gerichtet,
denn
draußen
war
es
jetzt
dunkel.
Peter
ging
voraus
und
leuchtete
den
drei
bedenklich
schwankenden
Gestalten
auf
dem
Weg
durch
den
Kirchhof,
dann
die
Treppe
hinunter
und
schließlich
zum
Hof
des
Vogts.
Dieser
war
alles
andere
als
erfreut
über
den
unerwarteten
Besuch,
und
er
sah
auch
mit
einem
Blick,
in
welchem
Zustand
die
unliebsamen
Gäste
waren;
außerdem
wusste
bereits
das
ganze
Dorf,
was
im
Pfarrgarten
passiert
war.
Aber
zurückweisen
konnte
er
die
geistlichen
Herren
auch
nicht;
er
fragte
also
nach
ihrem
Begehr.
Nach
der
Schießerei
im
Garten
hatte
Pater
Jakob
es
nicht
mehr
ausgehalten
im
Haus.
Er
war
verzweifelt
in
die
Kirche
geflüchtet
und
hatte
alle
Türen
verschlossen;
nun
lag
er
lang
ausgestreckt
vor
dem
Altar,
und
aus
dem
hundertfach
wiederholten
Stoßgebet
„Hilf,
Herrgott,
hilf!“
wurde
allmählich,
ganz
allmählich
eine
Klage,
in
der
er
Gott
sein
Herz
ausschüttete.
Und
je
länger
er
ihm
das
Ungeheuerliche
erzählte,
das
diese
wahrhaft
unwürdigen
Mitbrüder
angerichtet
hatten,
umso
ruhiger
wurde
er.
Und
nun
schien
auch
draußen
alles
still
zu
sein.
Der
Pater
ging
in
die
Sakristei
und
lauschte
eine
Weile;
dann
sah
er
den
Peter
mit
der
Laterne
zurückkommen
und
schloss
die
Sakristeitür
auf,
und
als
er
sie
wieder
zusperrte,
stand
der
Peter
schon
an
der
Treppe
und
leuchtete
ihm
dabei.
Er
erzählte,
was
zum
Schluss
noch
passiert
war
und
dass
die
drei
jetzt
den
Vogt
heimgesucht
hätten.
Den
Pater
schmerzte
es
zwar,
dass
drei
der
schönen
und
als
Freundesgabe
ihm
besonders
kostbaren
Gläser
mutwillig
zerstört
worden
waren,
und
auch
die
zwei
Fenster
hatte
er
vor
kurzem
erst
neu
verglasen
lassen,
aber
im
Innersten
war
er
gefasst
und
entschlossen,
dem
Vater
Abt
einen
ausführlichen
Bericht
zu
schicken.
Dass
diese
drei
„Herren“
sein
Pfarrhaus
nicht
mehr
betreten
durften,
das
stand
für
ihn
fest.
Vogt
Johannes
hatte
die
unverhofften
Gäste
in
die
Stube
geführt
und
sie
am
großen
Esstisch
Platz
nehmen
lassen.
Nachdem
sie
ihm
schon
am
Hoftor
gesagt
hatten,
sie
wollten
mit
Speis
und
Trank
versorgt
werden
und
dazu
auch
Musik
haben,
überließ
er
die
Sorge
für
das
Essen
seiner
Frau,
schickte
Adam,
den
Altknecht,
zum
Widumhof
mit
der
Bitte,
der
Michel
solle
kommen
und
seine
Bassgeige
mitbringen,
und
die
Anna
möge
beim
Bedienen
helfen;
und
Stefan,
den
Jungknecht,
schickte
er
mit
einer
großen
Kanne
in
den
Weinkeller
unter
dem
Walmen
in
der
Scheune
und
schärfte
ihm
ein,
er
solle
vom
Neuen,
vom
Federweißen
holen.
Die
Hausfrau
hatte
in
einem
Strohkörbchen
Brot
und
in
einem
anderen
Nüsse
auf
den
Tisch
gestellt
und
große
Gläser
aufgesetzt,
Stefan
brachte
die
volle
Kanne
und
schenkte
ein,
der
Vogt
setzte
sich
mit
an
den
Tisch,
drückte
mit
seinen
Händen
immer
zwei
Nüsse
gegeneinander,
dass
die
Schalen
zerbrachen,
und
schob
die
geknackten
Kerne
den
Herren
hin.
Dann
kam
der
Michel
mit
der
Bassgeige
in
die
Stube,
und
Anna
ging
in
die
Küche.
Michel
und
Anna
waren
Knecht
und
Magd
auf
dem
Widumhof,
und
sie
„gingen
miteinander“,
wie
man
im
Dorf
sagte,
wenn
ein
Bursche
und
ein
Mädchen
befreundet
waren
und
vorhatten
zu
heiraten.
Stefan
spielte
ganz
ordentlich
Geige,
und
er
sorgte
oft
bei
Familienfesten
mit
Michel
zusammen
für
die
Musik,
und
so
sollte
es
nach
des
Vogts
Wunsch
auch
heute
sein.
Die
drei
Gäste
verhielten
sich
ungewöhnlich
ruhig,
klaubten
die
Nusskerne
aus
den
Schalen,
aßen
einen
Bissen
Brot
dazu,
und
nach
dem
ersten
Glas
Wein
hatten
der
Kleine
und
der
Lange
Mühe,
die
Augen
offen
zu
halten.
Michel
und
Stefan
fingen
an
zu
spielen
und
begannen
mit
einem
bekannten
Marsch.
Der
Reverendissimus
versuchte
auf
dem
Tisch
den
Takt
zu
klopfen,
aber
so
richtig
klappte
es
nicht,
der
Federweiße
tat
seine
Wirkung;
Vogt
Johannes
registrierte
es
mit
Befriedigung.
Der
Kleine
und
der
Lange
lagen
schon
halbwegs
unter
dem
Tisch,
als
die
Musikanten
das
zweite
Stück
begannen.
Es
war
ihr
neuester
Schlager,
und
sie
hatten
ihn
auch
am
Samstagabend
beim
Kilwitanz
gebracht.
Michel
sang
dazu
mit
einer
kräftigen,
angenehmen
Stimme:
„Hidd
isch
Kilwi,
morn
isch
Kilwi,
bis
am
Sunndig
z‘Oowa,
wann
ich
zu
miim
Schatzli
kumm,
no
saag
i
Guadan
Oowa,
guadan
Oowa,
Lissabeed,
zaig
mr,
wu
dii
Beddlaad
schdeed.
Hinderem
Oofa
an
dr
Wand;
Kiachli
bacha
isch
kai
Schand!“6
Das
Stück
gefiel
den
beiden,
sie
wiederholten
es.
Von
den
drei
Besuchern
saß
nur
noch
der
Dicke
am
Tisch,
die
zwei
anderen
lagen
bereits
auf
dem
Boden
und
schnarchten.
Anna
brachte
aus
der
Küche
noch
einmal
Brot;
sie
wiegte
sich
dabei
zur
Musik
leicht
in
den
Hüften
und
machte
ein
paar
Tanzschritte.
Als
Michel
sang:
„zaig
mr
...“
grapschte
der
Reverendissimus
unbeholfen
nach
dem
Mädchen.
Der
Gesang
brach
jäh
ab,
und
Michel
brüllte
voller
Wut:
„Loß
diini
Wixgriffel
vu
dam
Maidli,
oodr
‘s
gidd
Büüragriag
in
daara
Schduuwa.“7
Der
Reverendissimus
verstand
zwar
kein
Wort,
wohl
aber
den
drohenden
Sinn.
Einen
Augenblick
war
es
mucksmäuschenstill
in
der
Stube;
Michel
stand
breitbeinig
hinter
seiner
Bassgeige
und
hielt
mit
der
rechten
Hand
den
Bogen
wie
einen
Knüppel,
Stefan
hatte
Geige
und
Bogen
auf
den
Tisch
gelegt
und
schaute
zum
Vogt
hin,
der
sich
neben
den
Reverendissimus
gestellt
hatte,
und
Anna
war
mit
ein
paar
raschen
Schritten
in
die
Küche
verschwunden.
Der
Reverendissimus
schaute
zunächst
wie
ein
ertappter
Schulbub
vor
sich
hin,
doch
dann
ging
sein
Blick
zur
Küchentür,
und
in
seine
Augen
kam
ein
tückischer
Glanz.
Er
begann
zu
sprechen,
aber
er
lallte
nur
noch;
trotzdem
verstand
Vogt
Johannes
die
wichtigsten
Wörter:
„...
unkeusch
...
Hexe
...
muß
ver-ver-brannt
werden!“
Danach
lag
auch
der
Reverendissimus
am
Boden.
Vogt
Johannes
handelte
rasch:
„Adam,
Michel,
Schdaffa,
pagga
Schdrau
uff
dr
Dillawaaga
un
leega
dia
drei
druff,
aawr
voorsiichdig!
Adam,
schbann
dr
Brüün
aa
un
bring
dia
Härra
uff
Saarschba,
und
düü,
Schdaffa,
nimm
d‘Ladarna
un
faar
midd!“8
Nach
wenigen
Minuten
rumpelte
der
Wagen
vom
Hof
auf
die
Gasse,
und
kurz
darauf
war
nach
einer
Wegbiegung
auch
Stefans
Laterne
nicht
mehr
zu
sehen.
Michel
und
Anna
sagten
den
Vogtleuten
Gute
Nacht;
Michel
trug
in
der
Linken
seine
Bassgeige,
mit
der
Rechten
hielt
er
Anna
umfasst,
und
die
schmiegte
sich
an
ihn,
so
gingen
sie
durch
die
ruhige,
sternklare
Nacht
zum
Widumhof.
Vogt
Johannes
stand
noch
eine
Weile
im
Hof
und
versuchte
zu
fassen,
was
er
in
den
letzten
zwei
Stunden
erlebt
hatte;
dann
spuckte
er
kräftig
aus
und
sagte
laut
in
das
stille
Dunkel
hinein:
„Härragsindl!"9
Zwei
Eintragungen
zum
Geschehen
1)
Pater
Jacob
Abegg
im
Notabilienbuch:
Den
l6ten
october
(1718)
ist
allhier
Kirchweyhung
gehalten
worden,
meine
Gäste
waren
der
durchgestrichen
vener.
Capituli
Camerarius
durchgestrichen
(Guldinast)
und
seyner
durchgestrichen
und
dan
auch
der
pfahrherr
zu
St.
Peter
in
Endingen
Joan
Baptista
Rieger
(?)
als
dise
3
geistl.
voll
bezecht
waren,
haben
sij
mihr
die
gläser
sambt
dem
wein
an
die
wänd
geworfen,
etliche
scheiben
eingestoßen,
3
gänß
in
einem
schuß
niedergeschossen,
das
hauß
mit
dausent
flüch
und
vermaledeyung
angefüllt.
Viller
anderer
Insolentia
zu
geschweigen
entlich
bey
finsternacht
aus
dem
pfahrhoft,
aber
nit
weiter
als
bis
des
Vogdtshaus
allhier,
allwo
sij
nach
spiehlleuth
beruofen,
und
bis
in
die
finsternacht
verbliben,
damit
der
hiesige
Vogdt
seyner
Ehren
???
abkomme,
hat
Er
lassen
die
roß
einspannen,
alle
zusammen
auf
ein
Karren
geladen
und
nacher
Sasbach
abführen
lassen.
(Notabilienbuch
18.
Jahrhundert,
S.
59,
Pfarrarchiv
Wyhl)
2)
Abt
Andreas
Dilger
(St.
Märgen)
in
seinem
Tagebuch:
Nov
4
(1718)
P.
Simon
von
Wyhl
zurück
„erzählt,
wie
sich
der
H.
Camerarius
des
Endinger
Capitels,
N.
Guldinast,
Pfarrer
zu
Saspach,
dessen
H.
Bruder
Capellanus
allda,
und
der
neye
Pharherr
von
Endingen
an
der
Kirchweyhung
bey
unserem
R.P.
Jacobus
Abegg
so
unfaßlich
verhalten,
benanntlich
habe
Er,
Camerarius,
dem
P.
Jacob
die
Strüppen
versudlet,
ihne
einen
Fauten
gehaißen,
der
Haushälterin
Wein
in
das
Angesicht
gesprizet
2
mal
pp.
Endlichen
in
consputu
populi
post
vesperas
ac
rosarium
ex
ecclesia
euntis,
zu
einem
Fenster
hinaus
mingieret,
auch
wenig
gefehlt,
dass
diese
drey
ihne,
R.P.
Jacobum,
nit
geschlagen,
da
sie
doch
von
ihme
alle
Höflichkeit
und
ein
gar
herrlich
Mittagessen
empfangen
haben“.
(Freiburger
Diözesan-Archiv
119.
Band
1999,
S.
40
f.)
1
Seid
gegrüßt,
meine
Mitbrüder!
-
Sei
gegrüßt,
Mitbruder!
2
Zuflucht-,
Erholungsstätte
3
Marienzelle
ist
der
ursprüngliche
Namen
von
St.Märgen
4
"Beim
Pater
ist
wohl
der
Teufel
los!"
"Drei
Teufel,
ich
habe
sie
gesehen,"
5
Es
geschehe
dein
Wille,
ehrwürdigster
Herr!
6
Heut
ist
Kirchweih,
morgen
ist
Kirchweih,
bis
am
Sonntag
Abend,
wenn
ich
zu
meinem
Schätzchen
komm,
dann
sag
ich:
Guten
Abend,
guten
Abend
Elisabeth,
zeig
mir,
wo
deine
Bettlad
steht.
Hinterm
Ofen
an
der
Wand.
Küchlein
backen
ist
keine
Schand!
7
Lass
deine
Dreckfinger
von
dem
Mädchen,
oder
es
gibt
Bauernkrieg
in
dieser
Stube!
8
Adam,
Michael,
Stefan,
packt
Stroh
auf
den
Dillenwagen
und
ladet
die
drei
drauf,
aber
vorsichtig!
Adam,
spann
den
Braunen
an
und
bring
die
Herren
nach
Sasbach,
und
du,
Stefan,
nimm
die
Laterne
und
fahr
mit!
9
Herrengesindel
|