Andreas Moritz (1768 - 1831)Eichstetten befindet sich in der glücklichen Lage, schon früh einen Dialektdichter hervorgebracht zu haben - einen der ersten des neuzeitlichen Alemannischen überhaupt. Johann Peter Hebel brachte seine Alemannischen Gedichte 1803 heraus. Diese Gedichte wurden, entgegen seinen Erwartung, schnell weit bekannt und sehr beliebt, selbst Goethe schrieb eine begeisterte Rezension. In den evangelischen Gemeinden muß dieser Ruhm des 1806 zum „großherzoglich-badischen Kirchenrath“ berufenen Hebel besonders gegolten haben. Hebel hatte im Vorwort zu seinen Gedichten davon gesprochen, daß selbst „Einheimische ... in der Sprache ihrer Landsleute nur eine Entstellung und Mißhandlung des gutdeutschen Ausdrucks finden.“ Diese so verkannte Sprache aufzuschreiben war daher ganz ungewöhnlich. Dies wird in Eichstetten nicht anders als in Hebels Heimat, im Wiesental und in Basel, gewesen sein. Durch den Erfolg des Kirchenrats dürfte aber ein alteingesessener Eichstetter ermutigt worden sein, Gedichte in örtlicher Mundart zu schreiben. Dieser Mann hieß Andreas Moritz. Von diesem Schuhmacher und Dichter sind noch 10 alemannische Gedichte überliefert, und zwar durch Wilhelm Frégonneau und Pfarrer Ernst Issel.[i] Drei der alemannischen Gedichte sind datiert; das früheste um 1814, eines um 1820, das dritte um 1822. Damit ist der Mindestzeitraum abgesteckt, in dem Moritz schrieb. Moritz schrieb und dichtete auch hochdeutsch - er beherrschte das Amtsdeutsch tadellos, zumindest beim Schreiben - damals durchaus nichts Selbstverständliches. Manchmal schlägt das Hochdeutsche auch in seinen Gedichten durch. Um so sicherer dürfen wir sagen, daß er Dialekt nicht mangels anderer Möglichkeit schrieb, sondern er entschied sich positiv, aus einer Wertschätzung heraus, dafür. Der 1768 geborene Schuhmacher verstarb 1831, der Dichter lebt durch sein Werk weiter. Die Behandlung der Gedichte durch Frégonneau 1871 in seinem handschriftlichen Buch über Eichstetten läßt erkennen, daß ihnen auch damals noch ein gewisser Wert beigemessen wurde. Er stellt sie einigen weiteren, hochdeutschen Gedichten des Schusters voraus; die Niederschrift von Frégonneau ist sorgfältig und vermutlich nahe an den Originalen von Moritz. Die Gedichte zeichnen sich, so Frégonneau, „theils durch einen unverwüstlichen Humor, theils aber auch durch ein tief religiöses Gefühl aus.“ Pfarrer Issel berichtet in seiner 1906 im Druck erschienenen Eichstetter Chronik: „Eine Reihe von Gedichten sind theils handschriftlich, theils im Druck als Zeitungsabschnitte vorhanden. Das Humoristische gelingt ihm am besten; doch hat er auch Ernstes gedichtet.“ Vom Wortschatz her bezeugen die Gedichte von Moritz etliche alte, zum Teil nicht mehr oder kaum mehr gängige Eichstetter Ausdrücke. Im Lautlichen hat Moritz seine Gedichte dem Dialekt der oberen Markgrafschaft angenähert, mithin der Sprache Hebels. Sie ist vom Hochdeutschen her leichter verständlich. Eine Auseinandersetzung mit der nicht ganz lautgetreuen Aufzeichnung des Eichstetter Dialekts durch Moritz findet sich über die Startseite (Eichstetter Kaiserstühlerisch im 19. Jahrhundert). Dort sind auch zwei weitere Gedichte unseres ältesten Kaiserstühler alemannischen Dichters aufgeführt. Bei den unten aufgeführten Gedichten handelt es sich um buchstabengetreue Abschriften aus Frégonneau und Issel. Orginalhandschriften von Moritz sind mir nicht bekannt. [i] Frégonneau, Wilhelm: Der Marktflecken Eichstetten in seiner Vor- und Jetztzeit. Handschrift, Eichstetten 1871; Issel, Ernst: Eichstetten am Kaiserstuhl einst und jetzt. Weinheim, im Selbstverlag 1906, S. 116ff. Harald Noth Zuerst veröffentlicht in: Eichstetten - Die Geschichte des Dorfes. Band II. Hg. Thomas Steffens. Eichstetten 2000 |
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Die
Kur
Der
Doctor:
Hallo,
so
ganz
allein?
Sie
klagt
sich
wie
ich
hör!
Stark
über
Hitz
und
Augenpein?
Hat
sie
noch
Hitz
und
etwas
mehr?
Der
Fehler
kommt,
mein
gutes
Weib,
Von
selbst
erzeugter
Hitz
im
Leib.
Die
Frau:
Sinn
ihr
der
Dokter?
Helf
is
*)
Gott!
Wie’s
in
den
Auge
brennt!
Des
isch
e
Plog,
des
isch
e
Noth!
I’ha’sie
gar
nit
kennt.
Mi
Mann
meint,
s
kum
vum
Hihle
**)
her
-
I’gib’m
Recht,
was
glaube
Ihr?
Der
Doctor:
Ach
nein
vom
Weinen
kommt
es
nicht,
Bei
ihr
kommt
es
vom
Wein.
Läßt
sie
den
nicht,
wird
ihr
Gesicht,
Bald
ganz
verdorben
sein.
Dies
ist,
womit
ich
helfen
kann,
kein
ander
Mittel
schlägt
sonst
an.
Die
Frau:
Des
blizt,
Herr
Dokter,
helf
is
Gott!
Des
funklet,
o
des
brennt!
Es
zieht
uf
d’Bruscht,
es
macht
mi
dod,
I
wott
***)
es
nehm
en
End`.
Derf
i
denn
‘s
Dags
kei
Gläßli
meh
-
Herr
Jesis
Gott,
jetz
wird’s
mehr
weh!
Der
Doctor:
Nicht
so,
wir
wollen
weiter
seh’n,
Was
ich
erlauben
kann.
Vor
Allem
müßt
ihr
mir
gesteh’n
Und
pünktlich
geben
an,
Wieviel
Ihr
sonst
gewöhnet
seid
Vom
Wein?
Gebt
ordentlich
Bescheid.
Die
Frau:
E’Morge
früeh
des
Stützli
voll
E’sisch
zwe
Schoppe
groß,
-
(Es
haltet
kum
e
Mooß,)
Au
nimmi
zwei,
denn’s
g’schmeckt
mer
wohl,
Un
bin
derbi
1)
kei
Froß.
2)
Doch
noch’m
Esse
trink
i
meh’,
Un
selde
bring
i’s
über
Zeh’.
Der
Doctor:
Potz
Tausend,
kann
es
möglich
sein,
Weib,
dieses
ist
gar
viel.
Bedenkt
Euch
wohl!
Denn
fünf
Maaß
Wein
Dies
ist
kein
Kinderspiel.
Mein
kurzer,
bester
Rath
wär’
der,
Vier
Wochen
gar
kein
Tropfen
mehr.
Die
Frau:
Jez
isch
er
furt,
‘s
isch
mer
Leid;
Ei,
Ei,
was
soll
i
thue?
-
Doch
wenn
er’s
mein’m
Hans
nit
sait,
Er
müech
der
Keller
zue.
Zuer
Vorsicht
will
i
weidli
noh
die
große
Hääfe
fülle
goh.
*)
is
=
uns;
**)
Hihle
=
Heulen,
Weinen;
***)
wott
=
ich
wollte;
1)
derbi
=
dabei;
2)
Froß
=
Vielfraß
(Nach
einem
wirklichen
Vorfall
gedichtet
im
Jahr
1814.)
(einschließlich Fußnoten und Bemerkung - nach Frégonneau) |
||
Der
Bock
bei
der
Leiche.
Hum,
denkt
der
Bock
im
Judestall,
Was
git's,
wiel
d'Gloge
döhne?
Denk
wohl
e
Liecht
e
Truerfall,
I
will's
doch
au
go
sehne.
Was
soll
i
bi
der
Raufe
sto
Un
no
de
Halme
ziele?
I
will
e
weng
usi
go
Un
luge,
wie
se
hühle.
Potz
tauset
's
könnt
e
Schnieder
si,
I
denkt's
wiel
Schnieder
trage,
Jo
wenn
i's
wüßt,
i
hühlte
gli,
Doch
hör
i
nieme
klage.
Denk
wohl
i
will
dortfüri
go
Un
horche,
wie
se
singe
Un
bliebt
mer
sto,
so
blieb
i
sto,
Un
springt
mer,
will
i
springe.
S'
lauft
alles
zu
der
Kirche
ni;
I
will
uff
d'
Schnieder
warte,
I
schmeck
se
scho,
sie
komme
gli;
Schmalappes,
Kamarade!
Jetz
will
i
geschwind
mit
ini
go,
S'wird
ebbe
kei
verdrieße,
Denn
will
i
zwische
beidi
stoh
Un
beidi
friendli
grieße.
Potz
dauset,
was
der
Hochmut
duht!
Kei
Schnieder
will
mi
liede.
Isch
unsereis
denn
nit
au
gut
Grad
um
Michelis
Ziete?
Was
schnurrt
in
sellem
Kaste
dört?
Ei,
ei,
was
soll
deß
heiße?
Nei,
meint
mer
nit
perfekt
es
plört
Wie
hundertdauset
Geise?
Denk
wohl,
i
will
dort
füri
go
Un
alles
ordli
b'schaue.
O
weh,
der
Stocklima
kunt
scho,
Der
wird
mi
welle
haue!
Barmherzigkeit,
Herr
Bettelvogt!
Ihr
wise's
-
lehn
i
biete
-
Dört
ehne
wär
i
ruhig
g'hockt,
Doch
d'
Schnieder
hens
nit
g'liete.
Nei,
lehn
mi
doch
am
Hörnli
go,
I
kann
jo
kei
Verbreche!
D'
Micheliszit
isch
jetze
do,
Wu
d'
Meister
G'selle
spreche,
Un
wenn
e
G'sell
kei
Meister
hat,
So
lauft
er
gli
go
fechte;
sell
dun
i
nit,
i
ha's
verredt,
I
loß
mi
lieber
schechte.
Nachdem
der
Dichter
dieses
Gedicht
mit
Einsperrung
gebüßt
hatte,
machte
er
folgende
Nachschrift:
So
isch
mers
gange,
jetz
isch
gnu,
Doch
d'
Wohret
darf
mer
wisse:
E
gscheidter
Geisbock
lacht
derzu,
En
Esel
ka's
verdrieße!
(nach Issel) |
||
Die
Lebensuhr
Jetz
will
i
vor
alle
Dinge
Vu
dr
Lebenswunderuhr,
Au
vum
Lauf
der
Zeiger
singe,
Denn
ihr
Triebrad
heißt
Nadur.
2.
Dridet
s
Kind
an’s
Lebenslicht,
Zieht
em’s
Schicksal
d’Uhre
uf.
Bis
ihr
Triebrad
wenkt
un
bricht
Goht
sie
furt,
druf
und
druf.
3.
Doch
es
g’schiet
zue
g’wisse
Zitte,
Daß
dur’s
Mensche
eigni
Schuld,
S
Uhrwerk
großi
Noth
mueß
lide,
Denn
sie
Ufzug
heißt
Geduld.
4.
Zorn
un
Uebermäßigkeit
Hemmt
ihr
sanfte
Lauf
im
Goh,
Wie
dur
übertriebni
Freyd
Blibt
si
vielmohl
plötzli
stoh.
5.
Un
der
Lauf
der
Zeiger
leite,
Uf
unerforschte
Allmachts
Händ,
Ball
uf
Trüebsal,
ball
uf
Freude,
Wechselmäßig
bis
an’s
End.
6.
Wunderbar
sin
dini
Räder,
Wunderbari
Lebensuhr!
Eim
brich’sch
früeh
-
am
Andre
späder
Blued
un
Luft
isch
di
Nadur.
7.
Dini
Lebensräder
laufe
Endli
alli,
alli
ab.
Neui
lehn
si’
keini
kaufe,
Denn
ihr
Lauf
goht
nur
ins
Grab.
(nach Frégonneau) |