Alemannisches Dialekthandbuch vom Kaiserstuhl und seiner Umgebung

Das Herzogtum Schwaben und die nachfolgenden Territorien

Bei vielen Archäologen und Geschichtsschreibern endet die "alamannische Zeit" im Jahre 505, wo die Alamannen den Franken unterlagen. Die Alamannen verschwinden von da an im Dunkel der Geschichte - etwa wie uns auch die Hunnen oder die Hethiter in anderen geschichtlichen Räumen verschwunden zu sein scheinen. Zumindest lassen viele Archäologen und Geschichtsschreiber den unterlegenen Stamm fortan ohne Gesicht und Namen. Für sie beginnt jetzt die "fränkische Zeit", die "merowingische Zeit", die Geschichte von Königen, Kaisern und anderer adliger Herrscher. Andere Schreiber lassen die Alamannen erst 746 abtreten, als sie erneut von den Franken unterworfen werden. Die heute lebenden Nachfahren der Alamannen werden über die folgenden Zeiträume in ihren Geschichtsstunden, durch ihre Geschichtsbücher mit einer komplizierten Vielfalt von Herrschaftsverhältnissen konfrontiert, in denen die Alamannen oft nicht vorkommen. Es muß (und soll?) ihnen scheinen, als hätten sie keine eigenen Wurzeln im hiesigen Gebiet. In diesem Buch wollen wir auf der Spur der Alamannen bleiben. Allerdings können auch wir nicht von einer Einheit und einer Selbstbestimmung der Alamannen berichten, es gab sie nur in Ansätzen. Die Geschichte der Alamannen ist die meiste Zeit die Geschichte eines gespaltenen und beherrschten Volkes.

Das alte alamannische Herzogtum war also in der Mitte des 8. Jahrhunderts zerschlagen worden. Erst über eineinhalb Jahrhunderte später kam es auf dem Siedlungsgebiet der Alamannen zur Bildung eines neuen Herzogtums, dem 'Herzogtum Schwaben'. Das Elsaß war mit diesem jedoch nur zeitweise vereint.

Das schwäbische Herzogtum entstand um 915 in einem Kampf einheimischer Adelsgeschlechter gegen den fränkischen König Konrad I. und den mit ihm verbündeten Bischof von Konstanz. Als erster schwäbischer Herzog setzte sich der Adlige Burchard der Jüngere durch. In der Folgezeit gelang es den Königen, auch Franken und Sachsen als "schwäbische" Herzöge einzusetzen. Freilich suchten diese Herzöge durch Heirat mit der Witwe bzw. den Nachkommen Burchards den Anschein von Legitimität zu gewinnen.

Anders als bei den Bayern oder Sachsen konnte sich bei den Alamannen kein Herzogengeschlecht länger als vorübergehend etablieren. Gerade in der späteren Phase traten aber im Herzogtum Schwaben und speziell auch am Oberrhein noch mächtige Herrschergeschlechter auf, die alamannischen Ursprungs waren oder die in den alamannischen Adel eingeheiratet hatten und hier seßhaft wurden. Zu ihnen gehören die Zähringer, die von der Baar stammen und dort begütert waren, sie erwarben auch im Breisgau und in der Schweiz großen Besitz an Boden und Macht. Ihnen wurden die Staufer zu Konkurrenten. Sie stammen eigentlich aus Österreich, erwarben Besitztümer im nordöstlichen Schwaben und heirateten auch im Unterelsaß ein. Zähringer und Staufer führten zeitweise beide gleichzeitig und gegeneinander den Herzogentitel.

Von 1138 an erlangten Staufer Königs- und später auch Kaiserwürden. Unter ihnen gelangte das Herzogtum Schwaben, das Herzogtum Elsaß und das Amt des Königs und Kaisers für wenige Generationen in eine Hand. Als der letzte männliche Zähringer 1218 starb, sorgten die Staufer für die Zersplitterung des Machtbereichs ihrer zähringischen Konkurrenten. Dies war ein Leichtes, denn einer der Ihren, Friedrich II. von Hohenstaufen, war im Amt des Königs und bald auch des Kaisers. Karl S. Bader schreibt: "Das Jahr 1218 bedeutete tatsächlich für das staufische Haus und sein schwäbisches Herzogtum eine ungeahnte und die letzte Möglichkeit, das Streben nach einem einheitlichen, großschwäbischen Raum Wirklichkeit werden zu lassen."

Daß Adlige aus Schwaben (= Alamannien) zum König wurden, bedeutet nicht, daß dies ein Königtum der Alamannen oder für die Alamannen gewesen wäre. Der höhere Adel war seinem Stamm entfremdet; mit seiner Heirats- und Besitzpolitik griff er auch im Gebiet anderer Stämme nach jeder passenden Gelegenheit, wie jene auch ins Alamannengebiet griffen. Das alamannische Dorf, die Stadt oder die Landschaft, die heute ehrerbietig zu ihrem Herrn aufblickte, konnte von diesem morgen als Mitgift verschenkt werden. Ganze Landstriche wurden verlehnt, verkauft, verpfändet oder im Tausch verschachert. Einschließlich der dort lebenden Menschen, versteht sich.

So nutzten auch die Staufer diese "letzte Möglichkeit" der politischen Vereinigung aller Alamannen schlecht: Das Herzogtum Schwaben blieb Stiefkind neben ihrer Reichspolitik und ihrer Eroberungspolitik in Italien. Mit dem staufischen Königtum - der letzte Staufer wurde 1268 in Italien enthauptet - endete auch das Herzogtum Schwaben.

Nichtsdestoweniger ist es unter der Herrschaft der Staufer zu einem Aufschwung der Kultur und dabei auch zu einer literarischen Blüte des Alemannischen, der Sprache, die im Stammland von König und Kaiser gesprochen wurde, gekommen. Davon handelt das Kapitel "Alemannisch als höfische Literatursprache".

Nach dem Herzogtum: Vielfalt von Territorien

Nach den Staufern wurden die Habsburger im Südwesten reich und mächtig. Ihr Ursprungsgebiet lag im unteren Elsaß; zu ihrem ältesten Besitz gehörte auch die Limburg bei Sasbach am Kaiserstuhl. Sie herrschten vor allem im Oberelsaß und am Hochrhein bis tief in den Schwarzwald und in die Schweiz hinein. Mit dem Grafen Rudolf von Habsburg machten die Wahlfürsten des Reiches 1273 erneut einen Vornehmen aus Alamannien zum König. König Rudolf versuchte, erneut ein Groß-Schwaben, ein neues Herzogtum Schwaben herzustellen. Der Versuch scheiterte; Rudolfs Nachkommen wurden schließlich in Österreich mächtiger als in Schwaben. Das Zentrum der Habsburger verlagerte sich damit nach Österreich; ihre oberrheinischen Besitztümer wurden dadurch zu einer österreichischen Randprovinz. Dieses 'Vorderösterreich' bekam eine eigene Regierung mit Sitz im elsässischen Ensisheim.

Unter den kleineren Herrschaften am Oberrhein sind die Markgrafen von Baden hervorzuheben. Sie waren Seitenverwandte der Zähringer; ihre Territorien gehen auf alten zähringischen Besitz zurück. Ihre Nachkommen haben nach einer wechselvollen Geschichte erst in neuerer Zeit große Bedeutung erlangt - als Großherzöge von Baden. Im Kaiserstuhlgebiet waren vorderösterreichische und badische (baden-durlachische) Herrschaft ineinander verzahnt.

Schließlich sind auch die vor allem im Elsaß entstandenen Reichsstädte als neuer Machtfaktor zu nennen. Aus ihnen ragen aber die älteren Städte Basel und Straßburg weit hervor. Diese alten Bischofstädte wurden zu Freien Städten, indem ihre Bürgerschaften die bischöflichen Herren verdrängten. Von diesen Städten gingen grundlegende wirtschaftliche und kulturelle Entwicklungen für das Oberrheingebiet aus. Von den sprachlichen Entwicklungen handelt der Abschnitt "Das Kaiserstühlerische erhält seine heutige Gestalt", besonders das Kapitel "Die 'elsässische Färbung' des Kaiserstühlerischen".

Aus der Erbmasse des Herzogtums Schwaben gingen neben den obengenannten noch etliche weitere Territorien und fürstenunabhängige Städte hervor. Sie entwickelten sich zu staats- ähnlichen Gebilden innerhalb des Reiches; der Kaiser wurde ihrer kaum mehr Herr. Die Fürsten und anderen Herren aber wurden vielerorts des Volkes nicht völlig Herr: Sie mußten sich auf Landtage stützen, in denen der niedere Adel und die Vertretungen von Städten und Gemeinden mitsprachen. Solche Landtage gab es auch in den vorderösterreichischen, den baden-badischen und den baden-durlachischen Territorien am Oberrhein.

Die Vielzahl der weitgehend unabhängigen Territorien und Städte bei den Alamannen des 14., 15. und 16. Jahrhunderts erinnert zumindest äußerlich an die Verhältnisse nach der alamannischen Landnahme, als es mehrere unabhängige Gaufürstentümer gab.

Die Zersplitterung des Alamannenlands wurde durch die fränkische Oberherrschaft und Einmischung im 8., 9. und 10. Jahrhundert angelegt und gefördert und wird von den Alamannen zunächst nicht gewollt gewesen sein. Als aber die Vielstaatlichkeit vollendete Tatsache war, wird sie der ländlichen Bevölkerung des Spätmittelalters weniger schlimm erschienen sein als sie jetzt den Anhängern der deutschen Zentralstaaten des 19. und 20. Jahrhunderts im Rückblick erscheint. Die Masse der Bevölkerung hatte sowieso kaum die Möglichkeit, die Grenze des Dorfes, der Kleinstadt, des Territoriums zu überschreiten. Bis in unser Jahrhundert hat manch einer seine Heimat freiwillig keinen Schritt weit verlassen, sondern wurde allenfalls als Rekrut herausgeschleift oder durch die Not vertrieben.

Zu Anfang des 16. Jahrhunderts kam es in Alamannien noch einmal zu einer Territorien übergreifenden Volksbewegung. Wir sprechen davon im Kapitel "Der Große Bauernkrieg".