20.000 Opfer?
Schulklassen im KZ Struthof

    In vielen badischen, Pfälzer, hessischen Schulen ist ein Besuch des ehemaligen Konzentrationslagers Natzweiler-Struthof im Elsass fester Programmpunkt für die achte, neunte oder zehnte Klasse. Die aufwändige Fahrt nach Auschwitz (Oswiecim) wird – wie in Breisach – nur für Freiwillige organisiert, doch mit dem Struthof kann den Kindern und Jugendlichen auch hier in der Nachbarschaft ein Ort deutscher Schuld präsentiert werden. Neben Schulklassen werden auch kirchliche und andere Jugendgruppen aus Südwestdeutschland und darüber hinaus ins ehemalige KZ in den Vogesen geführt, daneben kommen auch viele französische Gruppen.
    Immer wieder berichteten und berichten Artikel in der Badischen Zeitung und anderen Blättern, dass auf dem Struthof 20 bis 22 Tausend Deportierte umgekommen seien, so zuletzt die Beilage „Freiburger Stadteile“ der Badischen vom 20. 12. 2019. Stimmt das?
    Ich selbst besuchte den Gedenkort 2011. Das dort erhältliche deutschsprachige Faltblatt des „Centre européen du résistant déporté“ legte bei raschem Überschauen ebenfalls nahe, dass dort 52.000 Häftlinge gearbeitet haben und 22.000 umgekommen seien. Diese Zahlen erschienen mir unglaublich. In den auf dem Lagergelände befindlichen Baracken ist eine Ausstellung aufgebaut; Zeichnungen von Häftlingen zeigen, wie ihre Leidensgenossen von SS-Leuten bei der Arbeit furchtbar misshandelt werden. Ich sah mir dann die französischsprachigen Texte auf den Tafeln sehr genau an. Dort fand ich im „Kleingedruckten“ die genaue Aufschlüsselung der Opferzahl: Danach starben im Lager, dessen Gelände den jungen Besuchern gezeigt wird, über 3.000 Menschen, aber keine 22.000. Dem Hauptlager Struthof bei Natzweiler waren aber 70 Außenlager administrativ angegliedert, die sich vor allem in Württemberg und Hessen befanden, einige auch in Lothringen, im Elsass und in Baden. Auf dieses gesamte Lagersystem einschließlich dem Struthof bezieht sich die in der Ausstellung und in der Literatur angegebene Zahl von 52.000 Häftlingen und die Opferzahl von 22.000.
    Die 3.000 Menschen, die nach diesen Angaben an Hunger, Kälte, Erschöpfung und Gewaltanwendung im KZ Struthof sterben mussten, sind immer noch 3.000 zuviel. Und gerade, weil das so furchtbar und niederschmetternd ist, wäre ein sensibler und wahrhaftiger Umgang mit den Zahlen und Fakten nötig. Warum geschieht das nicht? Der gewöhnliche Journalismus und viele Lehrkräfte wissen sich auf einer antideutschen Welle so sicher, dass sie meinen, gar nicht mehr genau hinschauen zu müssen. Viele passen sich einfach dem Mainstream an. Die deutsche Schuld so finster und gewaltig als möglich zu zeichnen ist politisch gewollt.
    Ich halte es für richtig, unsere älteren Schüler einmal intensiv mit den Verbrechen des Nationalsozialismus zu konfrontieren und eine Fahrt zum Struthof, im Unterricht wahrheitsgemäß vor- und nachbereitet, könnte dafür geeignet sein. Dann müsste auch die meist verschwiegene Weiterführung des Lagers 1945 bis 1949 durch die Franzosen behandelt werden. Das „Centre Pénitencier de Struthof“ war ein Straflager, in dem tausende Elsässer, Franzosen und Deutsche Zwangsarbeit leisteten – viele dieser Gefangenen waren beim Kriegsende im Elsass als Kollaborateure denunziert worden. Viele von ihnen waren aus der elsässischen autonomistischen Bewegung, die in den 20er und 30er Jahren gegen die Ausradierung der deutschen Kultur im Elsass durch die Franzosen gekämpft hatte.
    Falsch finde ich unsere jahraus jahrein stattfindende tägliche Berieselung mit der deutschen Schuld in den Medien, in den Schulen, in kulturellen, auch kirchlichen Institutionen, die umso heftiger wird, je länger das verhängnisvolle Geschehen zurückliegt. Die Vermutung, die Martin Walser in seiner Frankfurter Rede äußerte, ist mitnichten abwegig. Er sprach mit Blick auf Auschwitz von einer "Dauerpräsentation unserer Schande". Er glaubte, entdecken zu können, „daß öfter nicht mehr das Gedenken, das Nichtvergessendürfen das Motiv ist, sondern die Instrumentalisierung unserer Schande zu gegenwärtigen Zwecken“.

24. Januar 2020, Harald Noth

Zum französischen Straflager Struthof 1945 - 49 siehe Bernard Wittmann, Die Geschichte des Elsass, Kehl 2007, S. 289ff

Siehe auch "Versuchter Rufmord an einer demokratischen Stimme" - ein Prozess um die Wahrheit bezüglich des Struthofs.

Artikel zuerst erschienen im Blog LUEG INS LAND ohne Scheuklappen - www.noth.net/lueginsland/blog.htm