Gegen AfD und „die Deutschen“:
Götz Alys Philippika im Thüringer Landtag

    Der Historiker Götz Aly hielt am 25. Januar 2019 vor dem Landtag in Thüringen eine Rede zum Tag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau. Dabei setzte zu einem Rundschlag an, bei dem niemand verschont blieb: Die AfD, namenlich Höcke und Gauland nicht, die Wehrmacht nicht, die deutschen Protestanten nicht und überhaupt die „vielen Zehnmillionen Deutschen“ blieben nicht verschont, die ein „Werk des Hasses, der Zerstörung und Selbstzerstörung“ vollbracht hätten. „Sie hatten Hitler gewählt, bejubelt oder geduldet und für ihn gekämpft.“ Selbst „hochgeblidete, feinsinnige Männer und Frauen“ seien „aus freien Stücken zu Helfern und Exekutoren der Barbarei“ geworden. 18 Millionen Deutsche Männer seien von der Wehrmacht mobilisiert worden, „um zerstörend, raubend und mordend über Europa herzufallen“.
    Im Grunde hängt der Historiker hier den Deutschen einmal mehr die Kollektivschuld an. Denn er erwähnt buchstäblich keinen einzigen nichtjüdischen Deutschen, der irgendwie nicht mitgemacht hätte und sich nicht in Schuld verstrickt hätte. Auch wenn der Holocaust-Gedenktag unmittelbar bevorsteht: Darf man so schwarz-weiß malen?
    Seine Rede über die Schlechtigkeit der Deutschen und namentlich auch der Wehrmacht wird dem Gastgeber, Ministerpräsident Bodo Ramelow, gefallen haben. Götz Aly beklagt auch die hohen Opferzahlen bei der Roten Armee, neben den Gefallenen seien „mehr als zwei Millionen (…) in deutscher Gefangenschaft vorsätzlich ermordet worden, zumeist mit dem Mittel des Hungers“.
    Die Demagogie der politisch Korrekten arbeitet seltener mit offenen Lügen, doch auch das gibt es: So bei der „Wehrmachtsausstellung“, in der den deutschen Streitkräften Bilder untergestellt wurden, mit denen sie nichts zu tun hatten. Weit häufiger wird selektiv mit den Tatsachen umgegangen: Was passt, wird hervorgezogen und überhöht, was nicht passt, wird verschwiegen. Das geschieht nicht nur bei der Beschreibung, besser: Verschleierung heutiger Ereignisse, sondern auch bei historischen Erörterungen.
    So muss man angesichts der Verluste, die die Wehrmacht der Roten Armee beibrachte, wissen, dass Stalin in den Jahren 1937 und 38 einen Großteil der sowjetischen Armeeführer wegen „Hochverrat und Spionage“ hinrichten ließ. Selbst die linkslastige Wikipedia gibt zu: „Die Rote Armee verlor in den beiden Jahren der ‚Säuberungen‘ etwa doppelt so viele Generäle wie im gesamten Zweiten Weltkrieg.“ Die sowjetische Armee war beim Kriegsbeginn durch den stalinschen Terror erheblich geschwächt; die jungen, nachrückenden bzw. neu ernannten Offiziere ohne Erfahrung. Der kommunistische Terror wütete auch nach Kriegsbeginn weiter gegen die eigenen Soldaten: Stalin ging mit einem System aus Kontrolle und Terror unbarmherzig gegen „Deserteure“ und „Verräter“ vor. Berthold Seewald schriebt in der Welt: „Alle Soldaten, die sich ergaben oder gefangen genommen wurden, galten als ‚Vaterlandsverräter‘“. (Ihnen drohte, wenn sie nicht in deutscher Gefangenschaft umkamen, sondern wieder in sowjetische Gewalt gerieten, die Erschießung, HN). „Offiziere, politische Leiter und Rotarmisten, deren Einheiten an der Front eingekreist und vernichtet worden waren und die sich wieder bis zu den sowjetischen Linien hatten durchschlagen können, gerieten in den Fokus. Diese ‚Eingekreisten‘ wurden nicht selten mit dem Vorwurf, die Front dem Gegner geöffnet zu haben, umgehend erschossen.“ Selbst kampferprobte und bis dahin erfolgreiche Generäle und Offiziere hätten in aussichtslosen Situationen lieber ausgeharrt, als sich ohne einen Befehl aus Stalins Hauptquartier zurückzuziehen oder entsprechende Befehle an ihre Leute zu geben. Dies erkläre unter anderem die riesigen sowjetischen Verluste in der Kesselschlacht von Kiew. Es lohnt sich den Artikel von Berthold Seewald ganz zu lesen. In den ersten zwölf Monaten des Krieges sei an gut 150.000 Rotarmisten das Todesurteil vollstreckt worden, das war eine ganze Armee.
    Ich selbst bin einem Betroffenen schon begegnet: Im badischen Dorf, wo ich aufgewachsen bin, gab es im Krieg einen russischen Zwangsarbeiter, der nach 1945 aber nicht heimkehren konnte, weil er fürchtete, es nicht zu überleben. Er blieb da.
    Ministerpräsident Ramelow und seiner Linken-Fraktion im Thüringer Landtag, die in der Tradition der SED steht, wäre das Lachen vergangen, wenn Götz Aly auch darüber gesprochen hätte. Tat er aber nicht. Hätte er es getan, hätte er die deutschen Verbrechen zwangsläufig relativieren müssen; es wäre, wenn schon von Hunger die Rede ist, auch über die Versorgungslage der deutschen Truppe zu reden gewesen.
    Professor Götz Alys politische Laufbahn hatte 1968 an der Freien Universität Berlin begonnen, die freilich damals unter die Räuber fiel; die linken Revolutionäre der Studentenbewegung brachten namentlich das Otto-Suhr-Institut in ihre Gewalt; Aly war einer davon und mitten unter ihnen. Man bedrohte und unterdrückte schon damals Andersdenkende, etwa konservative Professoren, gerade so, wie man es heute wieder macht. Götz Aly hat sich später von der Revolution abgewandt. In seinem lesenswerten Buch „Unser Kampf“ übt er Selbstkritik und der Titel seines Werks über die Studentenbewegung spielt nicht zu Unrecht auf den Titel von Hitlers Buch an. Und doch hat Götz Aly nicht wirklich die Kurve gekriegt; sein „Unser Kampf“ durchzieht derselbe Moralismus, dasselbe Unverständnis und dieselbe Unversöhnlichkeit gegenüber den Generationen seines Vaters und seines Großvaters wie die Rede im Thüringer Landtag. Das hat Professor Aly immer noch mit unzähligen, oft weniger selbstkritischen Teilnehmern der revolutionären Bewegung um und nach 1968 gemeinsam; gemeinsam mit ihnen hat er auch immer noch das sichere Gespür dafür, wo der Brotkorb hängt. In Thüringen hängt er bei der rot-rot-grünen Landesregierung und Aly bediente diese bei seinem Auftritt im Landtag vorzüglich.

2. Fenruar 2019 Harald Noth

Zuerst erschienen auf LUEG INS LAND ohne Scheuklappen