Oktober 2020
Wie die Pengus von ihrem Plateau
verschwanden
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Das ist die Geschichte der Pengus. Etwaige Ähnlichkeiten mit Personen
der Mengus sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Die Pengus besiedelten seit Jahrtausenden ein riesiges Felsenplateau im
Süden von Feuerland und zogen da ihre Jungen auf. Man kannte diese
großen Vögel an ihrem weißen Brustgefieder und ihrem schwarzen Frack.
Zur Zeit der Paarung, des Eierlegens, des Brütens und der Aufzucht
drängelten sich tausende auf der Felsenplatte. Sie waren ausgezeichnete
Schwimmer, sie verstanden es, hochwertige Fischarten ihrer Umgebung mit
komplizierten, gemeinschaftlichen Fangmethoden zu erhaschen. So konnten
sie ihre Brut gut versorgen, sie vermehrten sich stark und es entstand
immer wieder Platzmangel auf dem Plateau. Im Streit um die Nistplätze
wurden viele Eier, Küken und Elterntiere über den Rand der Felsenplatte
gestoßen. Sie zerschellten dann auf den weiter unten liegenden Klippen.
Man nannte das Krigu. Einmal wurde eine ganze Gruppe hinuntergeworfen,
die anders trompetete und viel Platz in Anspruch genommen haben soll.
Jedes erwachsene Weibchen legte in jedem Sommer ein Ei. Bei den Pengus
brüteten auch die Vatertiere. Sie wechselten sich mit den Weibchen beim
Wärmen des Eis und später bei der Fütterung des ausgeschlüpften Kükens
ab. Denn auch den Männchen war der Bruttrieb angeboren. Es gab seit
Anbeginn der Zeit auch eine sehr kleine Zahl von Pengu-Männchen, die
sich mit anderen Männchen verbanden, man nannte sie Schwugus. Dem
Bruttrieb folgend brachten einige von denen fremde Eier an sich und
brüteten sie aus. Wir hören später noch einmal von ihnen. So bestand die
Brutkolonie durch die Jahrtausende fort. Nur wenige Male wurde die
Population durch Klimaschwankungen dezimiert. Das war in Kaltzeiten, als
viel Packeis in der Nähe der Brutkolonie den Fischbestand ausdünnte und
den Fischfang erschwerte. Der abschüssige Teil des Felsenmassivs
vereiste stark und war nicht mehr zum Nisten geeignet. In den folgenden
Warmzeiten wuchs das Pengu-Volk jedes Mal wieder zu seiner alten Größe
an.
Unter den Pengus gibt es auch Wissvögel und diese fanden Verblüffendes
heraus: Der Verzehr des Pillu-Fisches in den Tagen um die
Winter-Sonnenwende führt dazu, dass das Weibchen im folgenden Sommer
kein Ei bekommt. Viele Pengu-Frauen fanden Gefallen daran - sie konnten
nun das ganze Jahr wann und wo sie wollten kopulieren und sich ansonsten
ausschließlich dem eigenen Jagen und Fressen widmen. Sie mussten keinen
Kampf um den Platz auf dem Plateau führen, kein Ei legen, kein Küken
füttern, sich dabei mit keinem Männchen abschnäbeln - sie schwammen
vielmehr unbeschwert durch die Weiten des Meeres, folgten dem Golfstrom
bis in die Tropen und lernten dort fremde wohlschmeckende Fische kennen.
Das gefiel auch vielen Pengu-Männchen, sie schwammen mit. Man nannte die
Viel- und Weitschwimmer Reisgus. Einige Weibchen fanden dann heraus,
dass es sich besser ohne männliche Begleitung lebt; die ständige
Inanspruchnahme durch Pengu-Machos, wie sie es nannten, kann die Penguin
sich sparen, so war das neue Motto. Die folgenden Jahre auf dem Plateau
waren sehr nett: Der Streit um den Platz hörte auf, denn es wurden immer
weniger Eier gelegt und Küken aufgezogen. Viele der Großvögel wollten
sich erst einmal verwirklichen und schoben das Eierlegen auf das Ende
des mittleren Lebensabschnitts hinaus. Viele Pengu-Frauen lebten
alleine, man nannte sie Singus.
Einigen Männchen gefiel es nicht, dass viele Weibchen abweisend waren
und keine Küken mehr großfüttern wollten. Doch sie klagten höchstens mit
vorgehaltenem Flügel darüber. Denn wer den neuen Lebensstil kritisch
sah, wurde als Anhänger der finsteren alten Zeit verklappert.
Andererseits fanden auch paarungswillige Weibchen keinen Mann mehr, weil
viele der Kerle verschüchtert waren, gar nicht mehr auf dem Plateau
erschienen, sondern sich in der See zu Männercliquen sammelten und sich
vergnügten oder langweilten. Viele trösteten sich mit dem Genuss von
Algu-Krebschen, die einen Zustand wohltuender Verwirrtheit auslösen.
Einige Pengu-Weibchen schwammen weit hinaus bis an die Küste von
Perustan und freundeten sich dort mit Musgos an. Die Musgos haben vorne
ein golden scheinendes Gefieder, sie kennen den komplizierten Fischfang
nicht, sondern jagen erst bei großem Hunger und sind mit dem zufrieden,
was sie dann gerade erhaschen. Die lockere Lebenseinstellung der Musgos
gefiel auch einigen Pengu-Frauen. Manche mochten auch, dass Musgo-Männer
sehr direkt zur Sache gehen und die verschüchterte, selbstverleugnende
Art der neuen Pengu-Männchen nicht kannten. Einige Penguinnen nahmen
solche Männer mit auf das Plateau, noch mehr kamen von alleine hinterher
- mit oder ohne eigenem Weibchen. So begann sich die Platte wieder zu
füllen: Die Musgos vermehrten sich gut und sie nahmen oft Pengu-Frauen,
während sie eifersüchtig über ihre eigenen Töchter wachten und niemals
eine an Pengu-Männchen vergaben. Die Musgos blieben zwar in eigenen
Parallelkolonien unter sich, versuchten aber dennoch jedem anderen Vogel
den eigenen Gesang aufzuzwingen. Da aber die Pengu-Männchen nun einmal
den Bruttrieb hatten, versorgten sie auch Küken der Musgo-Kolonien mit
Fisch - und Alte fraßen mit. Es gab Plätze auf dem Plateau, wo die Musgos
gar nicht mehr fischten, sondern ihre Jungen und sich selbst von den
Pingus versorgen ließen. Das lockte immer mehr dieser Perustan-Vögel an.
Das Plateau änderte sich allmählich: es wurde bunter, man sah jetzt viel
gelbes Gefieder, ja, es kamen sogar Ningos und das täglich mehr. Das
sind welche mit schwarzen Federn nicht nur auf dem Rücken, sondern auch
vorne an der Brust. Die Pengus wurden weniger.
Ja, doch, es wurden schon auch noch Pengus gelegt und großgefüttert,
doch sie wurden verwirrt. Das Leben ohne Küken in fremden oder nahen
Meeren war jetzt große Mode und wurde von den Leitvögeln täglich laut
geschnattert. Den Küken wurde schon im Nest empfohlen, als Reisgu, als
Schwugu oder als Singu zu leben, das Eierlegen sei nur einer unter
vielen Lebensentwürfen und noch lange nicht der Beste. Manchmal wurden
Küken-Mütter sogar als verbitterte Heldinnen der alten Zeit geschmäht.
Die Aufzucht von Küken durch Mutter- und Vatertier wurde somit eher die
Ausnahme - außer natürlich bei den Musgos. Es gab zwar nur wenige
Schwugus, aber sie waren täglich in aller Schnabel - besonders bei den
Polgus, die einen beträchtlichen Einfluss hatten. Diese größten der
Pengus wohnten auf dem oberen Teil des Felsenmassivs. Das Penguland
besteht nämlich aus einem riesigen, schief abfallenden Teil, auf dem man
aufpassen muss, dass die Eier nicht abrollen. Der Nestbau ist hier
schwierig. Ein kleiner Teil der Felsenplatte ist aber eben und liegt
höher. Dort saßen die Polgus. Diese gingen kaum mehr auf die Jagd,
sondern ließen sich den Fang von den unteren Pengus bringen. Dafür gaben
sie von da oben Vorstellungen, sie trompeteten und schnatterten und
vollführten manche irre Schau. Wenn sie nicht mit Fische-Herschaffen
beschäftigt waren, schauten viele, ja, fast alle Pengus auf der schiefen
Platte gebannt nach oben oder ließen sich erzählen, was gerade von oben
ausgegeben wurde. Dafür gab es Schnattertruppen, die überall
herumwatschelten und das Neueste von oben klapperten.
Eine der größten und lautesten dieser Truppen auf dem Plateau nannte
sich DER WASSERSPIEGEL*. Sie klapperte einmal von einem schwulen
Mengu-Paar. Mengus sind viel größer als Pengus und haben kein Gefieder,
sondern verwobenes Pflanzenmaterial um sich gewickelt. Sie legen keine
Eier, sondern Säuglinge, ihre Jungen nennen sie allgemein
Kinder. Der WASSERSPIEGEL klapperte nun, zwei schwule Mengus hätten
einen Säugling adoptiert. Die meisten anderen Truppen zogen mit
ähnlichen Berichten und Meinungsbeiträgen nach. Es wurde geklappert,
besonders in den ersten drei Jahren eines Mengu-Lebens sei es "wichtig,
dass das Baby glücklich und gesund sei und von seinen Eltern gut
gefüttert werde". Das schwule Mengu-Paar erledige "diese Aufgabe
vorbildlich und teile sich die Fürsorge um den Nachwuchs". Die beiden
Mengu-Männlein seien "jetzt schon ganz vernarrt" in den Säugling. Die meisten,
ja, die allermeisten der wasserspiegelsüchtigen Pengus nahmen diese
Neuigkeit mit Flügelzucken auf. So ist es doch auch bei uns, sagten
viele. Nur ein kleiner Kreis stellte Fragen. Wie kann ein Mengu-Männchen
ein Kind großziehen? Wir Pengus legen unser Küken zum Wärmen auf unsere
Füße und bedecken es mit unserer Hautfalte, der Partner fängt derweilen
Fisch. Und wir Weibchen und Männchen wechseln uns ab. Aber bei den
Mengus trinken die Jungen doch Milch! Und die kommt doch aus den Brüsten
der Mütter! Das junge Mengulein verhungert doch, wenn es nicht bei
seiner Mutter lebt und saugt! Und die Mengu-Mutter verhungert und
erfriert doch ebenfalls, wenn nicht das Männchen weggeht und Futter und
Kohle besorgt!
Manche der Ungläubigen meinten, die WASSERSPIEGEL-Geschichte diene dazu,
die Verwirrung unter den jungen Pengus noch zu steigern. Die Verstörung
und die Diskussion bei diesen Querulanten blieb nicht unentdeckt, man
hielt ihnen entgegen, dass das Junge Milch aus durchsichtigen Röhren
trinkt, man verschnatterte sie als Ewig-Gestrige, man trompetete
lautstark, sie wollten das Regime der Weißbrüste zurück und das Bluten
auf den Klippen ...
Heute gibt es kaum mehr Pengus auf dem Plateau. Höchstens einige Fischer
gibt es noch, die Musgos und Ningos mit Nahrung versorgen. Sie trompeten
wie die Musgos und versuchen, nicht aufzufallen.
Aus der Feder des Schriftu
Harald Noth
Zuerst geschnattert im Blog „LUEG AUFS PLATEAU ohne Flügel vor den
Augen“
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*Diese Schnatter-Truppe nennt sich WASSERSPIEGEL, weil ein Spiegel nicht
lügen kann. Wenn bei den Pengus einer schnattert, „du hast große
Nasenlöcher“, dann pickt der so Beleidigte den Schnatterer heftig. Wenn
er die Wahrheit nicht scheut, watschelt er dann an ruhiges Wasser und
lässt sich seinen Schnabel spiegeln. Dann kommt unweigerlich heraus, was
wahr ist. Die meisten Pengus picken die WASSERSPIEGEL-Truppe nicht,
sondern glauben ihr auf den Piep. |