Hermann Burtes Drama "SIMSON" (1917) - was sagt es uns heute?

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Im Kriegsjahr 1917 stellte Hermann Burte das Schauspiel "Simson" fertig. Er griff dabei eine Erzählung aus dem Alten Testament auf, schmückte sie aus und lud sie auf. Doch die grundlegende Handlung und Aussage der Bibel blieb dabei unverändert. Die Aussage des Stückes und vieler seiner Bilder und Szenen sind heute, hundert Jahre später, auf beklemmende Weise aktuell. 

Das Drama spielt im alten Israel und im benachbarten Land der Philister. Burte zeigt in seinem Held Simson "das tragische Geschick des Überragenden" (Schlösser); zugleich dient ihm Simson "zum Symbol für Deutschland" (Wittko), er will sich mit der Tragödie in diesen biblischen Kulissen auch mit Schicksal und Charakter des deutschen Volkes auseinandersetzen, das sich durch die Entente umzingelt sah und im Weltkrieg versuchte, diese Umzingelung zu durchbrechen. 

Im Stück ist Israel von den Philistern bedroht. Der Jude Simson ist in seinem Vaterland nicht wohlgelitten, will sein Volk aber dennoch retten. Er

Simsons Rache und Tod. Julius Schnorr von Carolsfeld (vor 1860) 

hat den Auftrag Gottes dazu, Gott wirkt in ihm und durch ihn. Der Wille, die Philister zu brechen, führt ihn in deren Land. Wir haben hier eine Analogie zum Ersten Weltkrieg, wo deutsche Truppen in den Nachbarländern standen. 

Die entscheidende Voraussetzung, um zu siegen und frei zu werden, so kann man aus Burtes Simson herauslesen, ist aber nicht die militärische Stärke, sondern das Gott-in-sich-wirken-Lassen. Erst in unbedingter Gefolgschaft Gottes kann militärische Stärke zum Sieg führen. Dazu ist es unabdingbar, sich des eigenen Gottes zu vergewissern und keinem fremden zu dienen. 
Das legt Burte nahe, wenn er Simson dem Gott der Juden, Eloah, dienen lässt und diesen gegen Dagon, den Götzen der Philister, in zahlreichen Streitgesprächen verteidigt. Der Gottesdienst Simsons geschieht aber nicht ohne Schwanken und Zaudern.

Zunächst kennt der Held seine göttliche Bestimmung nicht, er ahnt sie höchstens. Sein gottähnliches Wesen tritt da schon zutage in seinen übermenschlichen Körperkräften. Der Held vergewaltigt ein Mädchen der Philister und heiratet es. Doch seine Mutter erscheint in Trauerkleidern zur Hochzeit und befiehlt: "Simson, komm heim!" Sie verweigert ihm den Segen zur Heirat mit einer Fremden:
"Nimm den Fluch!
Den Väterglauben, Simson,
Laß dir nie rauben
Von aller Teufel Spuk und Spott!
Die zahmen Bienen,
Lerne von ihnen,
Die wilden Hornissen,
Sie alle wissen,
Die klugen Ameisen
können erweisen:
Wer ohne Volk ist ohne Gott!" 

Seine Braut Michall ist ihm nicht hold, sie verschweigt aus Scham jedoch zunächst die Vergewaltigung. Sie weiß, warum er ihr Gewalt antat, sie sagt:
"Er wollte die Philister ewig schänden
In ihrem reinsten Mädchen."

Das wird ihm später selbst bewußt, er sagt einmal:
"Warum ging ich hinab zu den Philistern?
Warum beging ich Raub am schönsten Weib?
Ich war gewillt, von innen sie zu brechen,
Sie überlisten wollt ich, sie enträtseln,
Gefallen ihnen und sie dann verlachen,
Entwelten, ganz entarten und vernichten
und, - aller Ziele Ziel: entgotten sie.
Fällt erst sein Gott, so fällt ein Volk ihm nach." 

Die Quintessenz dieser Worte ist für alle Zeiten gültig, nicht nur im alten Israel, nicht nur vor hundert Jahren, nein, auch heute, wo die höchsten Bischöfe unseres Landes am Tempelberg zu Jerusalem ihr Brustkreuz vor ihren muslimischen Gastgebern ablegten, wo in christlichen Gottesdiensten der Imam Gast ist und auf arabisch singen darf: "Es gibt nur einen Gott und Mohammed ist sein Prophet!" Wo die Regierungschefin sagt: "Der Islam gehört zu Deutschland!" Und wo sie die Tore öffnet und innerhalb weniger Monate viele hunderttausend junge, wehrhafte muslimische Männer hereinlässt.

Auf dem Hochzeitsfest will Simson die Philister demütigen, indem er ihnen ein unlösbares Rätsel stellt. Er ist seiner Braut verfallen, sie verweigert sich ihm aber und dadurch bringt sie ihn dazu, ihr das Rätsel zu offenbaren. Sie verrät es den Gästen. So verliert er die Wette, muss zahlen und richtet beim Beschaffen des Preises ein Gemetzel unter den Philistern an, flieht und legt Feuer hinter sich. 

Die Philister rächen diesen Frevel mit einem Feldzug gegen Israel und verlangen die Auslieferung Simsons. Daher suchen der Hohepriester und die Ältesten Israels Simson auf. Er begrüßt sie wenig begeistert:
"Da wandeln her die Führer Israels:
Im Munde Gott, im Sinne Tausch und Raub."

Man will Simson dazu bewegen, sich gefesselt zu den Philistern führen zu lassen, denn:
"Du hast die Not verschuldet, tilge sie!
Um deinetwillen brennen unsere Dörfer,
Flammt Weizen auf, vergiftet Aas die Brunnen,
Zerschlagen Jungfraun ihre zarten Brüste
in Scham und Schmach, Lustbeute wilder Tiere,
Gebären Mütter vor der Zeit und säugen
Mit Blut und Tränen statt mit Milch und Küssen.
Die Männer fielen; was am Leben blieb,
Trägt eingebrannt das Dagonzeichen -
Soll deine Heimat eine Wüste werden?"

Simson erwidert: "Ich schulde meinem Volke nichts -" und viele Deutsche würden es heute ebenso sagen. Der Hohepriester antwortet:
"Mann, alles!
Du bist ein Glied am Körper deines Volkes,
im Immen Biene, Tropfen in der Wolke.
Der höchste Stein der Pyramide dankt
den andern allen seinen Platz am Himmel.
Den Wipfel eines Baumes trägt die Wurzel,
Verdorrte sie, so mangeln ihm die Säfte.
Erkenne dich im Haufen deiner Gleichen:
Der Engel schoß euch alle nach der Scheibe,
ist dein Verdienst, wenn du ins Schwarze flogst?"

In diesem Dialog bringt Simson mannigfaltige Kritik an den gesellschaftlichen Verhältnissen in Israel an, von denen einige durchaus an sozialistische Vorwürfe erinnern, so dieser: 
"Wer dang die billigen Leute aus dem Osten
zur Ernte und zum Säen, wer als du?
Weil sie für sieben Silberlinge leisten,
Was Kinder eigenen Stammes nicht für zwölf."

Man darf dies und das Folgende ruhig als Anspielung auf die Realität 1917 verstehen - es passt aber auch 2017! So bemängelt er den Pazifismus, der das Land wehrlos gegen die Philister machte:
"Wer lehrt an allen Schulen
Den Haß des Kriegs und macht die Herzen weich?
Wer sonst als du, Jechonia, Friedenheischer?
Philister werden Herren, wir die Knechte,
Sie legen lachend, ächten Mutes voll,
Ihr Joch auf Israels gebeugt Genick.
Ihr taumelt hin in Ketten, selige Knechte!"

Er frönt dem Glauben, sich vom Vaterland abwenden zu dürfen, weil es kritikwürdig ist - eine durch und durch moderne Haltung.

Die Führer Israels können ihn nicht gewinnen, da erscheint seine Mutter und offenbart ihm, was ihr vorhergesagt wurde, als sie mit ihm schwanger war:
"Der Knabe wird als Mann erlösen
Sein Volk vom anererbten bösen
Gott schändenden Philisterfluch!
Verstehst du nun den dunklen Drang,
Das triebevolle tiefe Stürmen?
In dir ist Gott, ertrag ihn du!"

Die Mutter verschweigt nicht, was das bedeutet: "Du must dich opfern, geh hin und stirb!"

Simson ist schockiert: 
"Ich will ein Mensch sein, will nichts als Mensch sein,
Mir graut vor seiner Zwienatur!
...
So soll kein Weib
Mit schönen Kindern mein eigen sein.
Nicht Heimat und Herde, nicht Ruf und Recht!
...
Im Zwang der Tiefe, im Drang der Höhe,
nur Last erloste ich, keine Lust."

Die Mutter:
"Genuß im Fleische kennt ein Hund,
Der Dieb vom Osten, ein Moabweib.
Du bist erwählt in Gottes Volk.
Dein Leid wird aller Segen sein."

Simson immer noch bange: "Nun macht mich Angst und Ahnung stumm."
Die Mutter:
"Erwürge sie!
Die Sinne töte, Sinne lügen.
Damit ein Auge Gott erschaue,
Muß es erblinden in der Welt.
Damit ein Ohr den Allklang höre,
Muß es am Lärm des Tags ertauben.
Bevor du kannst vor ihm bestehn,
Mußt du im eignen Blute gehn!"

Schließlich willigt Simson ein. Er lässt sich von den Leuten des Hohepriesters an eine Palme binden. 

Zu seinem Opfer ("Untergang in Gott") kommt es aber erst nach weiteren Verwicklungen. Er gerät in die Arme der Dirne Dalila, doch diese vermag ihn nicht ganz in Besitz zu nehmen, der Dagon-Priester Gallach spottet:
"Im Kühler edle Weine branden und ein Weib
Wie keine lebt, der kühnsten Künste kundig,
In Ungeduld erwartet ihren Gast?
Was treibt ihn hin? Sein namenloser Gott.
Er gibt ihn dir zum Kuß und stiehlt ihn dir.
Du hast in deinen Armen Simsons Glieder.
Sein Denken aber, Fühlen, alle Strahlung
der Seele flügelt heim nach Israel.
Bei dir betäubt er seines Gottes Rufen,
Bei dir ertötet er den Trieb zur Braut,
Bei dir vergessen will er seine Mutter,
Erwürgen jenen Wurm, des Vaters Gram!
Ein Gott ist in ihm, aber nicht der deine.
Der Held ist herrlich, er gehört nicht dir, 
Nicht dir allein, dir stiehlt sein Gott das beste."

In ihrer Verzweiflung schneidet die Dirne Simson im Schlaf die Haare ab - womit er, wie ein Engel seiner Mutter geweissagt hatte, seine übermenschliche Körperkraft verliert. Jetzt reist ihm Michall, die andere, aus Rache die Augen aus. Das Buch Richter des Alten Testaments schildert das sehr knapp: Die Philister "stachen ihm die Augen aus (...) er musste im Gefängnis die Mühle drehen."
Bei Burte freilich füllt die Sklavenarbeit der Mühlenknechte, zu denen Simson nun gehört, einen ganzen Akt. Wieder macht Burte Anspielungen auf die soziale Lage. Simson wird von den Leidensgenossen angenommen:
"Komm, Kamerad!
Wir sind nicht mehr Philister, du nicht Jude,
Sind Knechte; Knechte sind ein Volk für sich!" 173

Wieder kreuzt Simson mit den anderen Figuren die Klinge des Wortes, so, als Gallach, der Dagon-Priester ihm anbietet:
"Schwöre zu Dagon, dem ragenden Gotte,
Herrlich dann steigst du aus diesem Loch -
Simson:
Dagon ist mir ein Gebilde zum Spotte,
Ihm auf dem Nacken anschirr ich das Joch -
Gallach:
Knecht in der Mühle, lasse dein Prahlen,
Mahle denn, bis du selber zermahlen!
Simson:
Priester, du solltest den Müller beneiden!
Herr bin ich nun, ich liebe das Leiden. -
Risset ihr mir die Michall vom Herzen,
Nahmet ihr mir den Trieb zum Weib.
Risset ihr mir mein Volk vom Herzen,
Nahmt ihr mir so die Herde vom Leib.
Risset ihr mir die Augen vom Haupte,
Nahmt ihr mir fort, an was ich glaubte:
Bunten Betrug der dinglichen Welt.
Herr bin ich nun, weil Knecht nur einem,
Aber auf Erden geschworen keinem,
Herr bin ich nun, die Qual entfloh:
Dämmernd empfinde ich reinere Lichter:
Gallach, ich sitze im Stuhle der Richter,
Demut und Leiden erhöhten mich so."

Unter der Binde, die verhindert, dass das immer wieder aus seinem Augenhöhlen tretende Blut das Mehl vertropft, wuchs jedoch sein Haar wieder nach und gab ihm die alte Kraft zurück. Die Lehre zwischen den Zeilen: Die völlige Unterwerfung unter Gottes Willen ist es, die ganze Kraft verleiht. Er lässt es sich einstweilen nicht anmerken. Dalila und Michall streiten, wer ihn zu Fall gebracht hat - diejenige soll im Dagon-Tempel mit einem Standbild aus Gold abgebildet werden. Simson wird zum Tempel gebracht, der blinde Verlierer soll dort der Volksbelustigung dienen. Gallach verlangt von Simson:
"Sage dem Volke als redlicher Richter,
Welches der Weiber dein Wesen zerbrach."
Simson antwortet:
"Keine von beiden!
Mein ist die Schuld, denn mein war die Tat."

Das Volk entscheidet nun selbst und spricht der Dirne Dalila das goldene Standbild zu, doch diese spricht:
"Sim, neige dein lauschendes Ohr herzu:
ich diene dem gleichen Gott wie du!"

Doch auch Michall, seine Braut, bekennt jetzt:
"Mein Sinn ist tot, mein Wesen aufgewühlt;
War es dein Gott, ein Wirker über Allen,
Was hassend, liebend ich in dir erfühlt,
So war ich willenlos ihm längst verfallen."

Wer heute in einem Land, das Gott vor die Tür gesetzt hat, bei so einem Drama noch mitfühlen kann, wird jetzt tief berührt sein. Vergleiche ich den Handlungsverlauf des Dramas mit unserer Zeit, ergibt sich Schmerzliches: Wir haben keinen Simson, der die Frauen des Feindes beherrscht und bekehrt. Wir sind die Philister, wir verehren nur noch den Götzen, viele unserer Frauen wurden in Köln und sonstwo entehrt und andere werfen dem Sieger Teddybären zu - dem islamischen Mann. 

Burtes Drama endet wie die biblische Vorlage: Simson drückt mit seiner wiedergewonnenen göttlichen Kraft die Säule des Tempels um und begräbt unter den Trümmern sich, den Adel und das versammelte Volk des Feindes. Israel ist befreit.

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Hermann Burtes Drama "Simson" erschien 1917 in Leipzig im Verlag des aus Basel stammenden Gideon Karl Sarasin. Erstmals aufgeführt wurde es am Hoftheater in Karlsruhe am 6. November 1918. Die Akzeptanz des Stückes scheint aber begrenzt gewesen zu sein. 
Der Literatukritiker W. Engelbert Oesterring merkt 1926 an: "Die Art der religiösen Problemstellung im Simson (Willst du den Gott in dir entbinden, so muß der Mensch in Stücke gehn) entspricht keineswegs dem mystisch nebulosen, okkultistisch schwärmenden oder mittelalterlich katholisierenden Empfinden unserer Zeit. Der 4. Akt allerdings, Simson in der Tretmühle des Feindes, hat dem geknechteten Vaterland einen Spiegel vorgehalten, in den man nicht ohne Erschütterung blickte."
Paul Wittko nennt 1928 dieses Burte-Werk "die wohl deutscheste Tragödie der letzten anderthalb Jahrzehnte - darum von den Bühnen des heutigen Deutschland gemieden..." 
Freilich war das Stück auch nach 1933 nicht erwünscht und hatte wegen seines biblischen und religiösen Stoffes und seines jüdischen Protagonisten keine Chance, aufgeführt zu werden, während ein Teil der anderen Burte-Dramen wieder aufgegriffen wurde.

Harald Noth

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Rudolf Schlösser: Hermann Burtes neuestes Drama [Simson], in: Konservative Monatsschrift, Juni 1918, 75. Jahrgang, 9. Heft, S. 640 - 646
W. Engelbert Oeftering: Hermann Burte, in: Die Schöne Literatur, Nr. 7, Juli 1926, 27. Jahrgang, S. 289 - 293
Paul Wittko: Hermann Burte, in: Deutsches Volkstum (1928), Heft 7, S. 540 - 548

Karl Berger: Besprechungen 1929 und 1928

Abbildung: "Simsons Rache und Tod" von Julius Schnorr von Carolsfeld (vor 1860)