Bernard
Wittmann: Die Geschichte des Elsass - Eine Innenansicht
Morstadt-Verlag, Kehl 2010. 395 Seiten, 90 Abbildungen, Hardcover. ISBN/EAN: 978-3-88571-350-0 |
Volker Kempf www.volker-kempf.de Wahre Geschichten auf dem BüchertischBreisach versucht Besuchern Literatur nahe zu bringen, etwa mit Schildern auf dem Eckartsberg. Sehr abwechslungsreich ist das für die Bürger allerdings nicht, da die Inhalte nicht wechseln. Anders verhält es sich mit dem Büchertisch auf dem Breisacher Recyclinghof, der manch lesenswertes Buch vor dem Reißwolf rettet. Kürzlich etwa „Die Schleife in Stalins Bart“ von Erika Riemann. In diesem vor zehn Jahren erstveröffentlichten Buch berichtet eine Überlebende des von den Kommunisten 1945 befreiten und dann von ihnen weiterbetriebenen Konzentrationslagers Sachsenhausen, wie sie nach Kriegsende als Mädchen mit 14 Jahren inhaftiert wurde. Das Vergehen: Sie hatte auf einer Abbildung Stalins an dessen Bart mit Lippenstift eine Schleife gemalt. Die Haftzeit währte bis 1954 und war von brutaler Erniedrigung, Vergewaltigung, Hunger und Krankheit gezeichnet. Für die NS-Verbrechen der Deutschen werde sie büßen müssen, sagten Bewacher und inszenierten in einem Duschraum des Speziallagers eine Scheinhinrichtung. Aus dem Lager einmal als gereifte Frau entlassen, lebte sie fortan in Hamburg. Im Fernsehen sah sie Dokumentationen über das Leid jüdischer KZ-Häftlinge und deren Schicksale. Das fand Riemann gut und dachte, nun seien bald auch die Opfer des Stalinismus dran. Doch deren Leidensgeschichte interessierte nicht. Das kränkte sie. Ihre unangenehmen Erinnerungen zu Protokoll zu geben, was soll das bringen? Aber Riemann ließ sich darauf im Rahmen eines von der Friedrich-Ebert-Stiftung geförderten Projekts dann doch ein. Es wurde ein Bestseller. Riemann warnt seither immer wieder davor, die Verbrechen des Stalinismus zu verharmlosen und erhielt im November 2009 das Bundesverdienstkreuz am Bande der Bundesrepublik Deutschland. Die Geschichte von
Konzentrationslagern hat es oft auch die Zeit nach dem Krieg betreffend
in sich. Man muß Was lehrt das? Im Informationszeitalter lebt man mehr denn je von Informationen aus zweiter Hand. Darauf kann man sich nicht immer verlassen. Die Informationsflut aus Fernsehen, Zeitungen und Internet verdeckt oft gerade relevante Informationen. Manchmal stößt man durch Zufall auf neue, relevante Aspekte, manchmal an einem Büchertisch des Recyclinghofes, manchmal in einer Buchhandlung oder Bücherei. Es ist wie mit Edelsteinen: Wer mit offenen Augen durchs Leben geht, findet sie, oft gerade in Momenten, in denen man damit gar nicht rechnet. Das Unglaubliche der Wirklichkeit blitzt in solchen Momenten auf und versetzt einen ins Staunen. Auch Wittmann hätte einen Preis seines Landes verdient; „weitreichenden Anklang“ soll er mit seinem Buch schon gefunden haben. Mehr zu Bernard Wittmann: "Die Geschichte des Elsass" siehe hier. |