Alemannisches Dialekthandbuch vom Kaiserstuhl und seiner Umgebung Hoffnung isch sin Namme gsin Ist das Alemannische im
Breisgau noch zu retten? Wenn Du, junger alemannisch sprechender Leser, einmal als alter Mann oder alte Frau von den Kindern verstanden werden willst, mußt Du vielleicht in die Schweiz fahren. Im Breisgau wirst Du vielleicht mit Alemannisch nicht mehr weit kommen. Wenn im Breisgau jetzt schon nur noch ca. 52% der Menschen Alemannisch sprechen und der Rückgang dieser Sprache weitergeht wie in den Nachkriegsjahrzehnten, dann wird Mitte des nächsten Jahrhunderts die Situation auch bei uns so sein wie jetzt schon im Elsaß. Wir wollen aber nicht alle Hoffnung fahren lassen und uns noch einmal den Bedingungen zuwenden, unter denen der Dialekt zurückgeht - oder auch nicht. Der Zuzug von Dialektfremden und die Veränderungen der Erwerbsstruktur haben, wie wir sahen, negativ auf den Dialekt in Breisach und Umgebung gewirkt. Diese Wirkfaktoren konnten von der alemannischen Sprachgemeinschaft nur in engen Grenzen beeinflußt werden, im wesentlichen wurden sie ihr von außen, durch allgemeine Entwicklungen in Staat und Gesellschaft aufgezwungen. Auch in Ortschaften, wo der
Dialekt sich bislang noch gut hält, kann es durch solche äußere Faktoren zu
einem beschleunigten Dialektverfall kommen. Denkbar wäre zum Beispiel ein
Dialektrückgang durch
"Kommt Zeit, kommt Rat!" In den Nachkriegsjahrzehnten konnten äußere Wirkungskräfte das Alemannische zum Teil erheblich zurückdrängen. Dabei spielte der Krieg selbst und die darauf folgende europäische Flurbereinigung in Kultur und Wirtschaft eine große Rolle. Die Menschenströme und der Strukturwandel wären ohne Nationalsozialismus, Krieg und ohne die nachfolgende Vereinigung des (west)europäischen Wirtschaftsraums wohl viel langsamer vonstatten gegangen. Das Alemannische hätte mehr Zeit gehabt, sich auf neue Bedingungen einzustellen. Auf der anderen Seite ist nicht zu erwarten, daß das jetzige europäische Wirtschaftsimperium mit seiner Neigung zu kultureller Gleichmacherei 1000 Jahre währt. Alle bisherigen Reiche der Menschheit sind früher oder später untergegangen. Wer diese Lehre nicht schon aus der älteren Geschichte zieht, dem müßten wenigstens die unerwarteten, tiefgreifenden Entwicklungen der letzten Jahre zu denken geben:
Während die alten Regime im Osten das Glück verlassen hat, scheint denen im Westen verstärkt die Sonne zu scheinen. Niemand im Osten und im Westen konnte diesen raschen Niedergang des sozialistischen Systems voraussehen. Doch wenigstens theoretisch durfte man es nie für unmöglich halten. Bertold Brecht schrieb 1943 eine Formel, die wohl für alle Reiche, unabhängig von Zeit und Ort, gilt:
Wenn man auch nie weiß, was kommt und wann es kommt, so muß man doch annehmen, daß Bedingungen entstehen können, unter denen es noch schlechter für Dialekte wie das Alemannische steht. Es können aber auch äußere Bedingungen eintreten, unter denen eine regionale Sprache leichter gedeiht. Sie können in 5, in 10, in 100 Jahren oder später eintreten. Eine solche Situation war zum Beispiel beim Zusammenbruch des Römischen Reichs gegeben. Zunächst hatte das Lateinische andere Sprachen bedrängt oder zerstört (z.B. das Keltische). Doch dann verlor es seine Bedeutung als Volkssprache, die neuentstandenen romanischen Sprachen nahmen seinen Platz ein und auch alte Sprachen erlangten neue Freiheit.
"Hilf dir selbst, so hilft dir Gott!" Nun bedarf es keineswegs solch turbulenter Entwicklungen, damit eine alte, unterdrückte Sprache sich neu regen kann. Eine Sprachgemeinschaft kann auch durch ihre eigenen geistigen Einstellungen und kulturellen Leistungen das Schicksal ihrer Sprache beeinflussen. Sie könnten zu einer neuen Stärke des Alemannischen führen. Diese Einstellungen und Leistungen will ich die inneren Faktoren der Sprachentwicklung nennen, sie entscheiden im Zwiestreit mit den äußeren Faktoren das Schicksal der Sprachgemeinschaft. Der jetzige innere Zustand der alemannischen Sprachgemeinschaft im Breisgau ist in den nächsten Kapiteln eingehender behandelt. Aus dieser jetzigen apathischen Verfassung müssen die Alemannen herauskommen, die notwendigen Veränderungen würden ungefähr so oder ähnlich aussehen:
All dies gibt es jetzt auch, doch ist es überall die Ausnahme - an einigen Orten eine häufige, an noch mehr Orten eine seltene. Eltern, Erzieher, Lehrer, Pfarrer, Vereine, Wissenschaftler, Politiker, Unternehmer, Schriftsteller, Dichter, Musikgruppen, Liedermacher und weitere Persönlichkeiten sprechen und fördern den Dialekt. In manchen Gemeinden ist es schon fast Tradition, zum Jahreswechsel alemannische Laientheaterstücke aufzuführen. Etliche Sprecher des Hochdeutschen und anderer Dialekte fördern das Alemannische ebenfalls. Die Muettersproch-Gsellschaft hat sich die Förderung des Dialekts zum Ziel gesetzt. All diese Aktivitäten reichen derzeit aber nicht aus, um einen weiteren Rückgang der Verbreitung und der Qualität des Alemannischen zu verhindern. Einen eigentlichen politischen Kampf um die Rechte der alemannischen Sprachgemeinschaft gibt es im Badischen so gut wie nicht. Anders im Elsaß: dort klagen Sprachgesellschaften wie die René-Schickele-Gesellschaft, die Association Heimetsproch un Tradition und weitere Vereinigungen auch in Paris und bei der regionalen Administration ihre Rechte ein. Sie haben erkannt, daß in einer modernen Gesellschaft ein Dialekt, eine Sprache nicht überleben kann, wenn alle Mittler und Mittel der Kultur gegen sie eingesetzt werden. Daher kämpfen sie um die Rechte der elsässischen Sprachgemeinschaft in Vorschule und Schule, im regionalen Fernsehprogramm, im Rundfunk und in anderen Kulturinstitutionen. Die kulturellen Rechte der regionalen Bevölkerung sind ihnen wichtiger als lobheischendes Wohlverhalten gegenüber den Regierenden. Daß Sprachgemeinschaften in der Geschichte ihre Lage verbessern konnten, ist keine Seltenheit. Wir führen dazu Beispiele aus der neueren Geschichte auf.
Das Aufleben bedrängter und halbvergessener Sprachen Im 17. Jahrhundert ging man an deutschen Fürstenhöfen, aber auch in anderen gebildeten oder sich gebildet meinenden Kreisen dazu über, französisch zu sprechen oder das Deutsche mit französischen Wörtern zu vermischen. Dies hatte solche Ausmaße angenommen, daß Michael Mascherosch, ein Elsässer, sich veranlaßt sah, die folgenden Verse (und noch mehr) zu schreiben:
Der Leser denkt jetzt vielleicht an die heutige Mode, bei allen möglichen und unmöglichen Gelegenheiten Englisch ins Deutsche einfließen zu lassen. Doch das Eindringen des Französischen war damals eine ungleich größere Bedrohung der deutschen Gemeinsprache als es das Englische heute sein kann. Denn eine deutsche Gemeinsprache war ja erst in der Entwicklung begriffen und ihr Weg durchaus umstritten. Es gab auch keinen gemeinsamen deutschen Staat mit einer Kulturhoheit, der die Sprache hätte schützen können und wollen. Die Verdrängung des Neuhochdeutschen konnte dann aber auf gehalten und rückgängig gemacht werden, als sich überall Sprachgesellschaften bildeten, die die Sprache verteidigten und pflegten. Aus ihren Reihen wurden beispielhafte literarische Werke geschaffen. Sie hatten durchaus den Charakter von Bürgerinitiativen, wenn auch ihre Mitglieder weniger Schneider, mehr Höhergestellte waren. Eine bemerkenswerte Renaissance erlebte das Hebräische; es war schon im Mittelalter keine gesprochene Alltagssprache mehr, sondern nur noch Sprache der Literatur und der religiösen Zeremonie. Um 1880 wurde es im Zuge der zionistischen Bewegung erneuert, modernisiert und bald darauf als Unterrichtssprache in Palästina eingeführt. 1948 wurde es Amtssprache Israels. Jüdische Einwanderer müssen es in der Regel erst lernen. Das andere Beispiel ist das Türkische: Es mußte durch Jahrhunderte ein Schattendasein neben dem Arabischen und Persischen führen, obwohl die Sultane des Osmanischen Reiches in Istanbul residierten und Türken waren. Amtssprache war Osmanisch-Türkisch. In den Sätzen dieser Schriftsprache war oft nur das Zeitwort türkisch, der Rest persisch und arabisch. Erst Anfang dieses Jahrhunderts erwachte das Selbstbewußtsein der Türken als Nation und ihre Bauern- und Handwerkersprache mauserte sich seit den Zwanziger Jahren zu einer modernen Staatsprache. Dazu hat es bewußter, systematischer Sprachpflege bedurft - zum einen durch die (staatliche) Türkische Sprachgesellschaft, zum anderen durch die Masse der kulturell aktiven Menschen selbst. Das vierte Beispiel führt uns zu einer Sprache, die bis heute im wesentlichen nur ein gesprochener Dialekt geblieben ist und dennoch in diesem Jahrhundert ihre Lage zunehmend verbessert hat: das Alemannische in der Schweiz. Im 19. Jahrhundert gab es in der Schweiz "einen kräftigen Vormarsch des Schriftdeutschen" (A. Baur). Man befürchtete um die Jahrhundertwende bereits den langsameren oder schnelleren Untergang des Schweizerdeutschen, so etwa Ernst Tappolet. (Andererseits erschien vom preußisch bevormundeten Südbaden aus die Schweiz noch als Vorbild für Treue zum Dialekt: Wir zitieren weiter unten Heinrich Hansjakob in diesem Sinne.) Arthur Baur schreibt: "Wenn man bei Guggenbühl nachliest, was in jenen Jahren vor dem Ersten Weltkrieg in Zürich für ein kulturelles und politisches Klima herrschte (man denke etwa an den Kaiser- besuch), so wundert man sich weniger über Tappolet. Guggenbühl berichtet, daß damals am Züricher Gymnasium viele Lehrer nicht nur in den Pausen, sondern sogar auf Schulreisen, mit den Schülern nur hochdeutsch sprachen; und in der gleichen Stadt gab es Schweizer Familien, bei denen während der Mahlzeit die Mundart ausgeschlossen war. Was er weiter noch erzählt von der totalen Überfremdung sowohl der hohen als auch der trivialen Kultur vom Norden her, mutet uns heute wie eine Sage aus grauer Vorzeit an." (13) Doch die Erfahrung der Weltkriege und des Nationalsozialismus führten zu einer Selbstbesinnung der Schweizer. "Als aus dem Norden der Ruf 'heim ins Reich' erschallte", empfand man "die eigene Sprache als den konkreten Ausdruck des eidgenössischen Selbstbehauptungswillens." Nach dem Zweiten Weltkrieg, als der politische Gegensatz zum nördlichen Nachbarstaat nachließ, setzte sich die Renaissance des Alemannischen in der Schweiz nichtsdestoweniger fort, ja erlangte ungeahnte Ausmaße. Die Volkssprache ist in Stadträte, Kirchen, Universitäten wiedereingezogen, ins Fernsehen ... die Situation ist zu gut bekannt, als daß man sie hier weiter schildern müßte. A. Baur führt unter den Gründen für diese anhaltende Neubelebung auch die "Öffnung nach außen", den "europäischen Zusammenschluß" und die "weltweite Solidarität" auf. "Es hat sich (...) gezeigt, daß gerade diese Öffnung und Ausweitung das Bedürfnis nach Betonung der eigenen Identität geweckt hat. (...) Wieder ist es die eigene Sprache, die als stärkster Ausdruck des nationalen Charakters und wurzelhafte Verbindung mit der Vergangenheit zum Träger dieser aktuellen Haltung geworden ist. Es steckt darin auch ein Protest gegen die uniformierende Gewalt der Technik und den kollektivierenden Trend der verwalteten Welt." (13) Die Hoffnung, so sollte dieses Kapitel zeigen, braucht niemand aufzugeben. Noch isch's Zit, wenn d 'mit wit gehn. Doch einstweilen bläst der Wind noch von vorne. Das Leben im Breisgau gleicht - kulturell gesehen - dem Leben in einem besetzten Land. Das ist das Thema der nächsten Kapitel.
(13) Arthur Baur: Schwyzertüütsch, Winterthur, 8. Auflage 1985 |