Alemannisches Dialekthandbuch vom Kaiserstuhl und seiner Umgebung
Altalemannisch als hochdeutscher Dialekt
 
Die Dialekte der mitteleuropäischen nichtromanischen Stämme entfernten sich bis ins 8. Jahrhundert durch stammesspezifische Entwicklungen immer weiter vom Germanischen. Dennoch hatten sie immer noch einen gemeinsamen Grundwortschatz (und haben ihn heute noch), den sie vom Germanischen ererbt haben. Über die stammesspezifischen Entwicklungen hinaus zerfielen diese Dialekte zwischen dem 5. und 8. Jahrhundert in zwei auffällige, große Hauptgruppen und diese in mehrere Untergruppen. Bestimmte p-, t- und k-Laute in germanischen Erbwörtern und in Lehnwörtern verschoben sich in den Dialekten der südlichen und mittleren Stämme.
Diese sogenannte “Hochdeutsche Lautverschiebung“ erfolgte im Alemannischen am konsequentesten. Walter Mitzka und andere Sprachwissenschaftler halten es für wahrscheinlich, daß diese Lautverschiebung im Alemannischen aufgekommen ist und dann das Altbairische erfaßt hat. Sie breitete sich mit abnehmender Stärke auch nach Norden aus; einige Dialektlandschaften wurden erst Jahrhunderte später erfaßt.
Es folgen einige Wortbeispiele für diese Lautverschiebung; als neuentstandene Formen sind nicht die altalemannischen, sondern die heutigen, neualemannischen angegeben. Eingehende Beschreibungen finden sich in den sprachwissenschaftlichen Literatur. Hier nur so viel:
In bestimmten Stellungen im Wort und in bestimmten Lautverbindungen verwandelten sich bestimmte
 
 p-Laute zu pf oder f
Das germanische *appla wurde dadurch zu ‘Apfel‘ oder Ebfel (zur Schreibung der Kaiserstühler alemannischen Wörter siehe hier.) Germanisch *saippion wurde im Alemannischen zu Sáibfá (Seife). Das lateinische ‘pulvinus‘ (Polster, Kissen) muß schon vor der Lautverschiebung ins Alemannische gekommen sein und ist dann zu Bfulgá geworden. Das Wort Schnübbá kann dagegen erst nach der Lautverschiebung eingedrungen sein, sonst müßte es “Schnübfe“, ähnlich wie das schriftsprachliche ‘Schnupfen‘ heißen. Ein altes, im Süden noch verbreitetes alemannisches Wort für ‘Schnupfen‘ ist Bfnüüsel.
Das schriftsprachliche Wort ‘schleppen‘ ist in Norddeutschland daheim und ist mit ‘schleifen‘ verwandt, das eine ähnliche Bedeutung hat (“über den Boden ziehen“). Der alemannische Verwandte dieser Wörter heißt schláibfá.
 
t-Laute zu s oder z
Der Verschiebung dieses Lautes haben wir es zu verdanken, daß der germanische Göttername *Ti(wa)s im alemannischen Wort für ‘Dienstag‘ zu Zis- geworden ist - Zischdig. Darauf ist es auch zurückzuführen, daß der “Gänsewein“, der im Englischen und an der Waterkant noch ‘water‘ oder ‘Water‘ heißt, im Süden zu ‘Wasser‘ geworden ist.
 
k-Laute zu ch
So wurde zum Beispiel das germanische *ik zu ‘ich‘. Das im Englischen noch als ‘(to) make‘ erhaltene Wort heißt jetzt im Süden ‘(zu) machen‘. Ein lateinisches Wort, das im Englischen und Französischen als ‘park‘ bzw. ‘parc‘ erhalten ist, wurde im südlichen Deutschen zu ‘Pf erch‘ und bedeutet ‘umzäunter Platz‘. Der galloromanische Name ‘Brisiacum‘ wurde zu Briisach, das mittellateinische ‘tractarium‘ zu Drááchder (Trichter).
 
Die Dialekte, die keine dieser Lautveränderungen mitgemacht haben, nennt man ihrer geographischen Höhenlage entsprechend Niederdeutsch. Sprachgeschichtlich zählen auch Holländisch und Flämisch dazu. Das Niederdeutsche im späteren Deutschland wird auch Plattdeutsch genannt.
 
Im Niederdeutschen lebt bis heute ein recht altertümlicher Sprachzustand fort. Der folgende Vers ist ein kleines, plattdeutsches Textbeispiel. Wenn Sie einen Teil der p-, t- und k-Laute entsprechend der angegebenen Möglichkeiten verschieben, erhalten Sie eine Sprache, die dem Alemannischen gar nicht so unähnlich ist. Selbst das Wort ‘lütje‘ war im Alemannischen früher nicht unverständlich, es kommt heute noch in alemannischer Form im Namen des Sasbacher Lidzelbárg (kleiner Berg) vor; verwandt ist auch das englische ‘little‘.
Das Verslein stammt aus ‘Plattdeutscher Hebel. Eine freie Übersetzung der Hebel‘schen alemannischen Gedichte von Johann Meyer‘, 3. Auflage, Hamburg 1879.
 
De lüttje Hex
Ick sett mi op de Snidbank hin,
um blots föer Tidverdriv to sni'n,
Dar keem en lüttje Hex un seggt:
"Gott hölp!" un "snitt dat Mess ock recht?"
 
Die Dialekte nun, die die erwähnte Lautverschiebung teilweise oder ganz mitgemacht haben, nennt man - wiederum nach ihrer geographischen Lage - die hochdeutschen Dialekte.
Der Begriff ‘Hochdeutsch‘ ist, dem Etymologischen Wörterbuch zufolge, im niederdeutschen Sprachbereich, in Holland aufgekommen. Und in diesem Hochdeutschen ist nichts höher als im Niederdeutschen, es sei denn der Taunus, der Schwarzwald, die Alpen und einige weitere Gebirge.
Auf die moderne Schriftsprache, die man heute in falscher Vereinfachung “Hochdeutsch“ oder, noch falscher, “Hochsprache“ nennt, kommen wir weiter unten zu sprechen. Derzeit, also im 8. Jahrhundert, ist davon weit und breit nichts zu sehen.
Die hochdeutschen Dialekte werden wiederum in mittel- und oberdeutsche Dialekte unterteilt. Die Dialekte, die es beispielsweise noch von *ik zu ‘ich‘ gebracht haben, aber nicht mehr von ‘Appel‘ zu ‘Apfel‘, nennt man Mitteldeutsch. Sie beginnen in Lothringen mit dem Rheinfränkischen und gehen über das Moselfränkische bis nach Köln; östlich schließen sich das Thüringische, das Obersächsische und - früher wenigstens das Schlesische an.
Die Dialekte, die alle Veränderungen mitgemacht haben, nennt man Oberdeutsch - wiederum ein an die Geographie angelehnter Begriff. Dazu zählt das Ostfränkische, das sich von Nordbayern mit einem Südwestzipfel bis nach Karlsruhe an den Rhein hinzieht. Sodann das Bairische (mit dem Österreichischen) und das Alemannische (einschließlich dem Schwäbischen).
 
Ein weiteres Merkmal des Oberdeutschen sei hier eingeschoben. Die Verkleinerungsform enthält hier den Laut l (el). Zu ‘Kätzchen‘ sagt man daher im Oberdeutschen etwa ‘Kätzlein‘, ‘Kätzle‘, ‘Kätzel‘ oder Ghádzli. Die Verkleinerungssilbe ‘-chen‘ dürfte in Zeiten vor der Verdrängung des Giilerli durch das ‘Hähnchen‘ einmal ziemlich unbekannt gewesen sein. In meiner Umgebung sagten wir als Kinder Roodghelchli; das deutet darauf hin, daß wir ‘Rotkehlchen‘ nicht als Verkleinerungsform von ‘Rotkehle‘ erkannten. Die korrekte Verkleinerung von ‘Rotkehle‘ (Roodgháhlá) heißt Roodgháhlili. Ein alterer alemannischer Name für diesen Vogel ist übrigens Roodálá.
 
 
Das Alemannische spaltet sich auf
 
Die k-Verschiebung hat auch zu einer Aufspaltung des alemannischen Sprachgebiets geführt, freilich ohne ein Hindernis für die inneralemannische Verständigung zu sein. Im südlichen Alemannisch ist es nämlich über die allgemeine k-Verschiebung hinaus auch am Wortanfang und nach l und r zu einer Verschiebung von k gekommen. Es heißt daher heute im Süden zum Beispiel ‘Chind‘, ‘Wuche‘ und ‘schtarch‘ (Kind, Wolke, stark). Dieses südliche Alemannisch nennt man Hochalemanisch. Dieses Sprachgebiet umfaßt die deutschsprachige Schweiz außer Basel und reicht wie ein Keil ins Oberrheingebiet hinein, wobei die Keilspitze Opfingen am Tuniberg darstellt (vgl. Karte 19, S. 127).
 
Friedrich Maurer und Bruno Boesch nehmen an, daß es früher einmal noch weiter nach Norden ging, sodaß vielleicht auch die Kaiserstuhlgegend einmal hochalemannisch war. In einigen Kaiserstuhlorten sind jedenfalls noch Wörter anzutreffen, die wie im Hochalemannischen nach l und r ein ch anstelle von k haben.
 
Die Wörter Ghalch (Kalk) und Wárchdig (Werktag) sind in allen Gemeinden verbreitet; nur in einem Teil der Ortschaften verbreitet sind Birchá (Birke), Gwilch (Gewölk), málchá (melken) und Marchschdái (Markstein) (nach Hubert Klausmann).
 
Der Kaiserstühler Dialekt wird aber trotz dieser hochalemannischen Spuren zum Niederalemannischen gezählt; zum Niederalemannischen gehört auch der größte Teil vom Breisgau, die Ortenau und der größte Teil des Elsaß. Die Stadtmundart von Basel stellt eine niederalemannische Insel im Hochalemannischen dar.
Karte 19, S. 127 zeigt die Aufgliederung des Alemannischen. Das Niederalemannische, das von den Vogesen bis nach Vorarlberg reicht, wird freilich durch den Schwarzwald in einen oberrheinischen und einen Bodenseetyp aufgeteilt. Ein Erkennungsmerkmal des oberrheinischen Niederalemannischen ist die Mehrzahlendung -e (-á) beim Zeitwort; im Niederalemannischen des Bodenseeraums heißt sie -et. Man sagt also im Westen ‘mr mähe‘ (mr máájá), im Osten ‘mr mähet‘ (wir mähen). Die Grenzlinie -e/-et verläuft im Schwarzwald.
 
 
Ein möglicher Anstoß der Lautverschiebung
 
Die Hochdeutsche Lautverschiebung erfolgte ungefähr zu der Zeit, als die Schweiz von den Alamannen besiedelt wurde. Bruno Boesch meint, daß einer der Anstöße zur Lautverschiebung von der romanischsprachigen Urbevölkerung des Alpenvorlandes kommen könnte. Die neue Sprechgewohnheit kann aufgekommen sein, als die alamannischen Siedler sich mit der Vorbevölkerung vermischten, wobei diese das Alemannische angenommen und lautlich beeinflußt hätte oder wenigstens Anstöße zu Veränderungen gegeben hätte. Von hier aus hätten sich die Lautveränderungen dann ausgebreitet. Die Veränderung, die sich am wenigsten weit ausgebreitet hat, erscheint uns heute am urtümlichsten - der Wandel von k zu ch am Wortanfang und im Inlaut nach l und r.
Wenn das Alemannische noch heute keltische und romanische Wörter und Anstöße wie den beschriebenen enthält, so leistet es damit eine Art Genugtuung an die verdrängten oder auf gesogenen Völker und Sprachen. Aber gerade diese urtümlichen Wörter und Lauterscheinungen sind heute mit als erste von der Verdrängung durch das Hochdeutsche bedroht. Ihre Verdrängung ist Vorbote für die Verdrängung des Alemannischen am Oberrhein überhaupt.

Wäms nonit längt (stoht nit im Alemannische Dialekthandbuech): Dr Ali, dr Alfred  un d Lütverschiäbung