Ein meisterliches neues Mundarthandbuch Unter dem sachlich-trockenen Titel Alemannisches Dialekthandbuch vom Kaiserstuhl und seiner Umgebung erschien kürzlich ein fünfhundertseitiges Kompendium, das weit über den Themenkreis einer lokal begrenzten Mundartdarstellung hinaus dem Benützer und Leser eine Fülle von Erkenntnissen und Denkanstössen vermittelt und daher Beachtung im ganzen alemannischen Sprachgebiet verdient. Der Verfasser Harald Noth schildert auf der Grundlage der Mundart von Oberrotweil Struktur und Grammatik des Dialektes in der Gegend um den Kaiserstuhl, jenen vulkanischen Bergstock, der sich östlich von Breisach und nordwestlich von Freiburg im Breisgau aus der Oberrheinischen Tiefebene erhebt und dank seinem Rebbau rühmlich bekannt ist. Er stützt sich dabei auf seinen eigenen Dialekt und seine gründlichen Feldforschungen in gut zwei Dutzend Dörfern (z. B. Ihringen, Eichstetten und eben auch Oberrotweil). Dieser Dialekt gehört zu den niederalemannischen Mundarten, wie sie unter anderem im Elsass und bis zu einem gewissen Grad auch in der Stadt Basel gesprochen werden. Sie unterscheiden sich deutlich von den hochalemanischen, also auch Deutschschweizer Idiomen, etwa dadurch dass sie die Verschiebung des k-Lautes zu ch nicht mitgemacht haben; so entspricht hochalemannischem Chrut und Chabis niederalemannisches (also auch stadtbaslerisches) Grut und Ghaabis. Die eigentliche Grammatik, die «Kaiserstühler alemannische Sprachlehre», bildet den dritten Teil des ganzen Bandes. Sie beginnt mit der Beschreibung der Laute, behandelt alsdann die einzelnen Wortarten samt ihren Formen und ihrer Verwendung im Satzzusammenhang, danach die Nebensatz- und schliesslich die Wortbildung. Sie gleicht in Aufbau und didaktischem Ziel den hierzulande vom Verein Schweizerdeutsch herausgegebenen Grammatiken des Schweizerdeutschen. Auch folgt sie in der Wiedergabe der Laute praktisch den Diethschen Prinzipien, die ja in der deutschen Schweiz schon weitherum Geltung haben. Noth ist ein äusserst aufmerksamer Hinhörer; auch scheinbar unbedeutende Einzelerscheinungen entgehen ihm nicht, so zum Beispiel das unter bestimmten Umständen sächliche Geschlecht von Mädchennamen, selbst wenn diese nicht die Verkleinerungsform aufweisen — ein Phänomen, das unter anderem der (ja immerhin nah verwandte) Altbasler Stadtdialekt ebenfalls aufweist, wo neben d Maaryy bei stärkerer affektiver Bindung auch s Maaryy Berechtigung hat. Erfreulich ist ferner Noths Bemühen, die nicht immer einfachen Sachverhalte allgemeinverständlich darzulegen. So bezeichnet er etwa die indirekte Rede recht plastisch als «Weitererzählform». Die ganze Darstellung basiert auf der soliden Grundlage jahrelanger gründlicher Beobachtungen und Recherchen, zu denen auch mehrere systematische Schülerbefragungen gehörten. Die Ergebnisse, zum Teil auch in sprachatlas-ähnlichen Karten wiedergegeben, kommen nicht nur dem grammatischen Teil zugute, sondern ebensosehr den andern Kapiteln des Buches. Diese andern Kapitel vor allem sind es, die das Werk von den üblichen Mundartgrammatiken abheben und die Lektüre allen an der Mundart Interessierten aufs wärmste empfehlen lassen. Der erste Teil des Buches schildert in vorbildlich geraffter und ungewöhnlich klarer, geradezu fesselnder Weise Entstehung und Entwicklung des Alemannischen vom Indogermanischen her bis hin zu den Ausprägungen des Nieder-, des Hoch- und des Höchstalemannischen (und natürlich insbesondere des Kaiserstühler Dialekts), wobei die Sprachgeschichte stets im engsten Zusammenhang mit der politischen und der Sozialgeschichte gesehen wird; Völkerwanderung, Bauernaufstände und «Kolonisierung» durch fremde Mächte (inklusive Preussen und Nationalsozialismus) erscheinen ebenso als sprachverändernde bzw. -bestimmende Faktoren wie die Industrialisierung, der Rückgang der bäuerlichen Bevölkerung oder die Immigrationsschübe der jüngsten Zeit. Häufige Seitenblicke auf die Situation in der Schweiz und vor allem im Elsass beziehen die Verhältnisse im benachbarten Ausland sinnvoll ein. Im zweiten Teil analysiert Noth scharfsinnig und illusionslos, wenn auch nicht ohne eine gewisse Hoffnung, die heutige Lage des Kaiserstühler Dialekts, ja des Niederalemannischen überhaupt. Er setzt sie nahezu gleich mit derjenigen im Elsass, wo die Mundart ebenfalls unter einer Art von Psychoterror stehe. Nur gerade noch 52% der süd-badischen Einwohner im einst durchwegs niederalemanischen Sprachgebiet sprächen Alemannisch; immerhin seien etwas mehr an dessen Erhaltung interessiert. — In diesem Zusammenhang macht er die auch für uns Deutschschweizer beherzigenswerte Aussage: «Je weniger man unsere Sprache spricht, desto mehr verliert sie an Wert.» — Bei aller Objektivität im Tatsachenbereich verschmäht es der Autor erfreulicherweise nicht, sprachpolitisch eindeutig Stellung zu beziehen, harte Urteile zu sprechen und scharfe Kritik zu üben — Kritik an den Behörden, an den Kulturverantwortlichen, zumal an den elektronischen Medien und natürlich an den allzu timiden Mundartsprechern. Noch ein Wort zur Person des Verfassers: Harald Noth ist gebürtiger Kaiserstühler, arbeitet als Elektromechaniker im Freiburger Spitalbereich und hat sein Handbuch samt dem wissenschaftlichen Rüstzeug als Autodidakt während vieler Jahren neben seiner Berufstätigkeit mit bewundernswertem Fleiss und grösster Hingabe erarbeitet. Diese Hingabe erwuchs ihm aus der Liebe zu seiner Muttersprache und aus der trotz allem Pessimismus nie aufgegebenen Hoffnung, mit einem derartigen Werk zur Rettung der Dialekte beizutragen. — Möge sie erfüllt werden! Rudolf Suter -------------------------------------------------------------------------------- Dr. Rudolf Suter ist der Verfasser der Baseldeutsch-Grammatik, des Baseldeutsch-Wörterbuchs und weiterer Schriften zum Basler Dialekt. -------------------------------------------------------------------------------- Weiter zum Alemannischen Dialekthandbuch: Drücken Sie auf |