Ein rosa Film über
eine rosarote jüdische Familie
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Kürzlich sahen wir im Kenzinger Kino den Film "Als
Hitler das rosa Kaninchen stahl". Er bot verschiedene ergreifende Szenen - kein
Wunder, wenn die Hauptrolle von Anna, einem herzigen, braunen, wuschelköpfigen
Mädchen gespielt wird. Diese jüdische Familie
namens Kemper ist in makellosem
Weiß gezeichnet, wie schon die Familie Weiss aus dem
Film
"Holocaust", über die ich letztes Jahr schrieb. Sie ist
hundertprozentig assimiliert und singt an Weihnachten "O Tannenbaum" wie jede
andere deutsche, sogar auch
sozialdemokratische oder kommunistische Familie. Der Vater Arthur Kemper ist
kritischer Journalist, die Mutter begnadete Klavierspielerin. Da gibt es nur
Gutes zu berichten - und von der anderen Seite nur Böses. Die Familie muss
emigrieren, als ein Wahlsieg Hitlers absehbar wird. Die paar nichtjüdischen
Deutschen, denen die Kempers im Exil in der Schweiz im Restaurant oder in Paris
in der Mietskaserne begegnen, sind alle griesgrämige, widerliche Nazis, sogar
auch die französische Consièrge (Hauswartin) ist judenfeindlich. Ausnahme: Die
Haushälterin in Berlin. Die missliche Lage wird aus den Augen des Kindes
betrachtet, das Unheil des Nationalsozialismus wird aus den Gesprächen der
Erwachsenen deutlich, die das Kind nicht versteht. Aber der erwachsene
Filmzuschauer schon.
Solche Schicksale und Familien gibt es zuhauf. Der Film lügt
nicht darin, was er zeigt, sondern darin, was er nicht zeigt. Zur Realität
gehört halt auch das Leben der nichtjüdischen Deutschen, die Hitler gewählt
haben oder ihm reserviert gegenüber gestanden sind. Menschen, vom hohen Offizier
bis zum einfachen Soldat des Ersten Weltkriegs, die am Kriegsende und mit dem
Versailler Vertrag moralisch stranguliert wurden und in der Weimarer Zeit
infolge der Versailler Vertragsbestimmungen furchtbare wirtschaftliche
Verhältnisse erleben mussten - Hunger, Arbeitslosigkeit, in der
Weltwirtschaftskrise Pleiten, politische Stagnation, Straßenkämpfe. Mitbetroffen natürlich Frauen und
Kinder sowie die Alten (die freilich früher als heute wegstarben). Die Juden
waren oft weniger betroffen; sie machten weniger als ein Prozent der Bevölkerung
aus und hatten trotz dieses Chaos einen außergewöhnlichen Erfolg, sie waren in
gehobenen Positionen der Wirtschaft, der Kultur und der Politik erheblich
überrepräsentiert, etwa der Anteil der Juden "unter den Journalisten lag bereits
1881 bei neun Prozent und stieg bis 1930 weiter stark an“ (Sarrazin, Deutschland
schafft sich ab, S. 94). Unter den nichtjüdischen Deutschen könnte man in der
Weimarer Zeit ein Kind, nein, Millionen Kinder mit Kulleraugen finden, denen in
diesen Verhältnissen die unbeschwerte Jugend zerstört wurde, deren Familien in
existenzielle Krisen gestürzt waren. Aber kein Filmschaffender findet sie. Viele
dieser gebeutelten Menschen wurden durch diese Verhältnisse in die Arme Hitlers
getrieben. Den allermeisten Deutschen ging es nach der Machtergreifung Hitlers
wirtschaftlich sehr schnell besser. Es hatte ihn eine Mehrheit gar nicht gewählt
und selbst von seinen Gegnern konnte der Diktator nach dem wirtschaftlichen
Aufschwung und der politischen Totenruhe sehr viele auf seine Seite ziehen -
eine Totenruhe, die nach den Parteien- und Straßenkämpfen der späten Weimarer
Zeit von den meisten als wohltuend empfunden wurde. Diesen Teil der Realität
greift in Deutschland kein Drehbuchautor, kein Regisseur mehr ehrlich auf. Sein
Ruin wäre sonst die Folge.
Wenn man dies weiß und beachtet, ist der Film nach dem
gleichnamigen Roman von Judith Kerr ein nettes Erlebnis. Die meisten der
dreiviertel Million Besucher, die den Film bisher gesehen haben, wissen dies
aber nicht und er wirkt auf sie manipulativ. Ihr vielleicht gebrochenes
Selbstbewusstsein als Deutsche wird einmal mehr gedrückt, die Kinder unter den
Zuschauern einmal mehr gegen ihre Großväter und Urgroßväter aufgebracht. Das
muss der Regisseurin Carole Link gar nicht bewusst sein. Wissen wird sie aber,
dass mit diesem Thema in der Gegen-Rechts-Republik viel Erfolg möglich und viel
Geld zu verdienen ist.
26. 2. 2020 Harald Noth
LUEG INS LAND ohne Scheuklappen,
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