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3. November 2024
Alemannisch als europäische Sprache

    In den 70er Jahren war die große Neuzeit des Alemannischen im Elsass und in Baden, man sprach von einer Renaissance des Dialekts. In der Bewegung gegen das Bleichemiewerk in Marckolsheim (Elsass) und gegen das Kernkraftwerk im benachbarten Wyhl (Baden) wurde die regionale Volkssprache den Paragraphensprachen aus Bonn, Stuttgart und Paris entgegengesetzt.
    Am 20. 9. 1974 kam es zu einer Protest-Demonstration von 30.000 Menschen aus der Badische und elsässischen Umgebung von Wyhl - das waren hauptsächlich, Bauern, Handwerker, Hausfrauen usw., unterstützt von Studenten und anderen Städtern aus Freiburg und Emmendingen. Meinrad Schwörer aus Wyhl sagte auf der Kundgebung:

„Wiä hämmers denn? Ka mer eso schwätze, wiä mer do schwätzt normalerwiis? Ich mein, ebis brofidiäre mr doch bi däm ganze Griäg, wu iber uns goht. Mr sähne wider emol, dass mr zämme ghere. Un mid nit anders bringe mr des besser zuem Üsdruck wiä mit unsere eigene Sproch, mit ere Sproch, wu sälli in Paris nit vrstehn, wu si in Bonn nit vrstehn un wu sälli in Minche au nit vrstehn, aber wu mir üs em alemannische Raum alli vrstehn …“

    Das war eine echte europäische Bewegung - keine erwürgende Bürokratie und keine Gleichmacherei aus Brüssel, sondern der grenzüberschreitende Kampf der Elsässer, Badener, ja auch der Schweizer, die durch den Bau des KKW Kaiseraugst auf den Plan gerufen waren. Die enge Verwandtschaft der Volkssprache in den drei Ländern ist ein uraltes Band, das dem gemeinsamen Kampf förderlich war.
    Was ist jetzt, ein halbes Jahrhundert danach, aus der gemeinsamen alemannischen Sprache und dem Zusammenhalt geworden? Zum Alemannischen gehört, nicht zu vergessen, auch der Dialekt im österreichischen Vorarlberg und selbst am italienischen Monte Rosa.
    Da ist nur aus der Schweiz Gutes zu berichten, höchstens noch aus Voradelberg, wie sie dort sagen. Bei den deutschsprachigen Eidgenossen lebt die alte Sprache ungebrochen weiter, leider aber auch die Neigung vieler Schweizer, sich von den Nachbarn im Norden abzugrenzen, wobei der gemütliche Alemanne aus Lörrach oder Waldshut genau wie der zuweilen herrische und arrogante Norddeutsche behandelt wird. Aber auch mancher Badener reagiert wie e gschtochini Soi, wenn mal ein Schweizer auf der deutschen Autobahn ausprobiert, wie schnell sein Auto eigentlich fährt
– daheim darf er das nicht. Im Elsass vermag die wackere Gegenwehr aus den Reihen der Association Heimetsproch un Tradition, des René Schickele Kreises und anderen Vereinigungen den jähen Tod der Sprache nicht wirksam aufzuhalten, der eintritt, wenn sie durch das Französische verdrängt wird. In Baden geht es mit dem Alemannischen gleichwohl bergab, wenn auch langsamer und milder. Hier dringt unmerklich ein standardsprachliches Wort oder eine grammatische Eigenheit nach der anderen in den Dialekt ein und verwässert ihn, da heißt es dann selbst am Kaiserstuhl hit obend, wenn nicht gar heut abend, anstatt des alten hit z Obe. Dass hier ein Stück echtes, gewachsenes Europa zu sterben droht, interessiert die Brüsseler Krake, aber auch die meisten politischen Kräfte hierzulande nicht. In Frankreich wurde der deutsche Dialekt hin und wieder unterschwellig als „Sprache des Feindes“ gebrandmarkt und so zurückgedrängt – ein Wink mit der Nazikeule und die Elsässer stehen stramm, genauso wie die Deutschen. Irgendwann werden die Vorarlberger, die Schweizer, die Elsässer und die Badener sich an der Sprache nicht mehr als Verwandte erkennen können.
    Doch halt! Es gibt noch gegenläufige Bewegung! Im Elsass werden oft die Namen der Ortschaften und von Straßen zusätzlich auf Elsässisch ausgeschildert. Auch ab und zu im Badischen, etwa in Endingen. Im Elsass gibt es einen Kampf um die Pflege des Dialekts in Kindergärten und in Schulen - da gibt es Erfolge, die aber zahlenmäßig nicht ins Gewicht fallen. Da ist besonders A.B.C.M Zweisprachigkeit zu nennen, die Kindergärten, Schulen und Klassen organisiert, in der die halbe Zeit französisch und die halbe Zeit auf Hochdeutsch und Dialekt gespielt und unterrichtet wird. Es handelt sich um 11 Schulen mit 120 Beschäftigten, über 750 aktiven Familien und 1.200 Kindern zwischen 3 und 11 Jahren. Der Kampf ist nicht einfach, es ist schon schwierig, Lehrkräfte zu finden, die überhaupt das elsässische Alemannisch beherrschen. Und: Deutsch ist selbst unter den Funktionären der elsässischen Sprachbewegung nicht sehr lebendig; sie sprechen unter sich französisch und publizieren inzwischen auch ganz überwiegend auf Französisch. Im Elsass gibt es auch noch kurze Dialekt-Sendungen auf Radio Bleu Alsace und im Regionalfernsehen (France 3 Grand Est)
– auch das nur Tropfen auf den heißen Stein. Immer noch sehr beliebt sind die elsässischen Theaterstücke, die besonders im Winter in verschiedenen Ortschaften einstudiert und vorgeführt werden. Die fulminante Liedermacherszene der Kampfzeit im Elsass (70er Jahre) ist etwas verstummt, es ragen nur noch Roland Engel und Robert-Frank Jacobi heraus, bis vor Kurzem auch der große René Egles. Die elsässischen Rockbands Flexmachine, OKKO und D‘ Assoiffés sind sogar noch unterhalb des Rentealters, es fehlt ihnen aber Publikumsmassen, die den Dialekt noch verstehen.
    In Baden gibt es Lippenbekenntnisse von Politikern zum Dialekt, sonst aber fast gar nichts, nicht einmal etwas in Radio oder TV. Die Rockbands Fisherman’s Fall (Bild 4) und Luddi sind sehr beliebt, sprechen auch Jüngere an und haben einen treuen Fan-Kreis, es gibt auch noch einige andere. Die Muettersproch-Gsellschaft mit über 3000 Mitgliedern organisiert wacker Dichterlesungen und andere Events; der Widerstandsgeist der Dialektszene der 70er Jahre geht ihr aber völlig ab. Sie ist politisch korrekt. Da geht es ihr wie der ehemaligen Anti-AKW-Bewegung in ihrer heutigen Verfassung.