3. November 2024 Alemannisch als europäische Sprache
In den 70er Jahren war die große Neuzeit des
Alemannischen im Elsass und in Baden, man sprach von einer Renaissance
des Dialekts. In der Bewegung gegen das Bleichemiewerk in Marckolsheim
(Elsass) und gegen das Kernkraftwerk im benachbarten Wyhl (Baden) wurde
die regionale Volkssprache den Paragraphensprachen aus Bonn, Stuttgart
und Paris entgegengesetzt. „Wi ä hämmers denn? Ka mer eso schwätze, wiä mer do schwätzt normalerwiis? Ich mein, ebis brofidiäre mr doch bi däm ganze Griäg, wu iber uns goht. Mr sähne wider emol, dass mr zämme ghere. Un mid nit anders bringe mr des besser zuem Üsdruck wiä mit unsere eigene Sproch, mit ere Sproch, wu sälli in Paris nit vrstehn, wu si in Bonn nit vrstehn un wu sälli in Minche au nit vrstehn, aber wu mir üs em alemannische Raum alli vrstehn …“
Das war eine echte europäische Bewegung - keine
erwürgende Bürokratie und keine Gleichmacherei aus Brüssel, sondern der
grenzüberschreitende Kampf der Elsässer, Badener, ja auch der Schweizer,
die durch den Bau des KKW Kaiseraugst auf den Plan gerufen waren. Die
enge Verwandtschaft der Volkssprache in den drei Ländern ist ein uraltes
Band, das dem gemeinsamen Kampf förderlich war. Doch halt! Es gibt noch gegenläufige Bewegung! Im Elsass werden oft die Namen der Ortschaften und von Straßen zusätzlich auf Elsässisch ausgeschildert. Auch ab und zu im Badischen, etwa in Endingen. Im Elsass gibt es einen Kampf um die Pflege des Dialekts in Kindergärten und in Schulen - da gibt es Erfolge, die aber zahlenmäßig nicht ins Gewicht fallen. Da ist besonders A.B.C.M Zweisprachigkeit zu nennen, die Kindergärten, Schulen und Klassen organisiert, in der die halbe Zeit französisch und die halbe Zeit auf Hochdeutsch und Dialekt gespielt und unterrichtet wird. Es handelt sich um 11 Schulen mit 120 Beschäftigten, über 750 aktiven Familien und 1.200 Kindern zwischen 3 und 11 Jahren. Der Kampf ist nicht einfach, es ist schon schwierig, Lehrkräfte zu finden, die überhaupt das elsässische Alemannisch beherrschen. Und: Deutsch ist selbst unter den Funktionären der elsässischen Sprachbewegung nicht sehr lebendig; sie sprechen unter sich französisch und publizieren inzwischen auch ganz überwiegend auf Französisch. Im Elsass gibt es auch noch kurze Dialekt-Sendungen auf Radio Bleu Alsace und im Regionalfernsehen (France 3 Grand Est) – auch das nur Tropfen auf den heißen Stein. Immer noch sehr beliebt sind die elsässischen Theaterstücke, die besonders im Winter in verschiedenen Ortschaften einstudiert und vorgeführt werden. Die fulminante Liedermacherszene der Kampfzeit im Elsass (70er Jahre) ist etwas verstummt, es ragen nur noch Roland Engel und Robert-Frank Jacobi heraus, bis vor Kurzem auch der große René Egles. Die elsässischen Rockbands Flexmachine, OKKO und D‘ Assoiffés sind sogar noch unterhalb des Rentealters, es fehlt ihnen aber Publikumsmassen, die den Dialekt noch verstehen. In Baden gibt es Lippenbekenntnisse von Politikern zum Dialekt, sonst aber fast gar nichts, nicht einmal etwas in Radio oder TV. Die Rockbands Fisherman’s Fall (Bild 4) und Luddi sind sehr beliebt, sprechen auch Jüngere an und haben einen treuen Fan-Kreis, es gibt auch noch einige andere. Die Muettersproch-Gsellschaft mit über 3000 Mitgliedern organisiert wacker Dichterlesungen und andere Events; der Widerstandsgeist der Dialektszene der 70er Jahre geht ihr aber völlig ab. Sie ist politisch korrekt. Da geht es ihr wie der ehemaligen Anti-AKW-Bewegung in ihrer heutigen Verfassung. |