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3. November 2020
Persischstunden

    Kürzlich sah ich meinen gefühlt tausendundersten "Nazifilm". Darin wird eine Gruppe von etwa 20 jüdischen Gefangenen, Männer und Frauen, irgendwo in Deutschland im Wald erschossen, doch einer überlebt unverletzt und behauptet, er sei kein Jude, sondern Perser. Das Erschießungskommando gehört zum nahegelegenen Lager, dort stößt der angebliche Perser auf das Interesse des SS-Hauptsturmführers Koch - er ist Küchenchef im Lager, er will Persisch lernen und nach dem Krieg einmal in Teheran ein Restaurant eröffnen. Der überlebende Gefangene nennt sich Reza und muss Koch nun Persisch bebringen. Der belgische Jude hat aber keinerlei Kenntnisse dieser Sprache. Die über 2000 Phantasie-Wörter, die er erfindet und den SS-Offizier lehrt, muss er zuvor auch selbst lernen und beherrschen. Hier durcheinander zu kommen wäre tödlich für ihn. Er muss auch die Liste der Gefangenen führen und entnimmt aus deren Namen Bestandteile, um auf neue Wörter zu kommen - etwa lomo aus Salomon. Es kommen im Film weitere äußerst brutale Szenen vor, darunter eine weitere Massenerschießung und die Arbeit in einem Steinbruch, wo Juden - zeitweise auch Reza - mit leichten Hacken auf Felsbrocken hämmern und Steine auf primitiven Karren transportieren. Koch rettet Reza dann sogar aus einem Deportationsmarsch. Der junge Mann ist ihm längst ans Herz gewachsen. Als Gilles alias Reza in die Obhut der Alliierten gelangt, kann er die Namen von 2840 Juden angeben, die das Lager durchlaufen hatten und deportiert wurden. Die Liste hatten SS-Leute verbrannt.
    Der Regisseur Vadim Perelman ist selbst Jude aus der Ukraine, lebt jetzt in Kanada. Er wollte "die Entwicklung dieser Person [Koch] nachzeichnen, seine wachsende Menschlichkeit und dass gerade eine fremde Sprache ihn befähigt, bestimmte Seiten von sich zu entdecken und zu zeigen, die er in der eigenen nicht erläutern kann". Die Betreiberin des Kinos machte mich schon vor dem Film darauf aufmerksam, es ist auf dem Werbezettel zum Film abgedruckt. Nach dem Film konnte ich ihr bestätigen, dass das ein ergreifendes Werk sei und dass die Intention des Regisseurs darin gut verwirklicht würde. Ich sagte dann, der Film zeige vielleicht trotzdem nicht die ganze Wahrheit. Die Gesprächspartnerin antwortete: "Nein, es war in der Wirklichkeit viel brutaler." Ich sagte: "Ja, gewiss, in Polen und Russland. Aber hat es denn 1942 in Deutschland Massenerschießungen von Juden gegeben? Hat man das Morden nicht vor den Deutschen verbergen wollen und deshalb im Osten ausgeführt?" Die Kino-Betreiberin war verblüfft. Die Frage blieb für sie und mich offen.

Siehe auch:

* Im Fernsehsessel erschlagen: Film "Holocaust" und die Jugend

* Ein rosa Film über eine rosarote jüdische Familie