Eichstetterisch im 19. Jahrhundert

Im Band II der Chronik von Eichstetten haben wir den Dialekt meist in der Form betrachtet, in der er uns heute entgegentritt. Im Laufe der Jahrhunderte und Jahrzehnte entwickelte er sich dahin, wo er heute steht. Die vergangenen Stufen der Mundart sind im Allgemeinen sehr schwer zu greifen, weil sie normalerweise nicht aufgeschrieben wurden. Eichstetten befindet sich aber in der glücklichen Lage, einen Dialektdichter hervorgebracht zu haben - einen der ersten des neuzeitlichen Alemannischen überhaupt.

Johann Peter Hebel brachte seine Alemannischen Gedichte 1802 heraus. Diese Gedichte wurden, entgegen Hebels Erwartung, schnell weit bekannt und sehr beliebt, selbst Goethe schrieb eine begeisterte Rezension dieser Gedichte. In den evangelischen Gemeinden muß dieser Ruhm des 1806 zum „großherzoglich-badischen Kirchenrath“ berufenen Hebel besonders gegolten haben. Hebel hatte 1802 im Vorwort zu seinen Gedichten davon gesprochen, daß selbst „Einheimische ... in der Sprache ihrer Landsleute nur eine Entstellung und Mißhandlung des gutdeutschen Ausdrucks finden.“ Diese so verkannte Sprache aufzuschreiben war daher ganz ungewöhnlich. Dies wird in Eichstetten nicht anders als im Wiesental und in Basel gewesen sein. Durch den Erfolg des Kirchenrats dürfte aber ein alteingesessener Eichstetter ermutigt worden sein, Gedichte in örtlicher Mundart zu schreiben.

Dieser Mann hieß Andreas Moritz. Er wurde 1768 geboren und war ein Urenkel des Dorfpropheten Benedikt Kunz. Dieser Urgroßvater kam aus dem Bernbiet nach Eichstetten, vielleicht auch die Urgroßmutter Margarete Ringler. Weitere drei Urgroßeltern sind in Eichstetten geboren, bei einer ist der Geburtsort nicht bekannt. Nur zwei Urgroßeltern lebten nie in Eistett, sondern in Malterdingen. Johann Thomas Herzog, Großvater von Moritz, zog von dort zu.[i] Damit ist Moritz Eichstetter Urgestein und wird das Dorf auch sprachlich repräsentieren.

Von diesem Schuhmacher und Dichter sind noch 10 alemannische Gedichte überliefert, und zwar durch Wilhelm Frégonneau und Pfarrer Ernst Issel.[ii] Drei der alemannischen Gedichte sind datiert; das früheste um 1814, eines um 1820, das dritte um 1822. Damit ist der Mindestzeitraum abgesteckt, in dem Moritz schrieb. Moritz schrieb und dichtete auch hochdeutsch - er beherrschte das Amtsdeutsch tadellos, zumindest beim Schreiben - damals durchaus nichts Selbstverständliches. Manchmal schlägt das Hochdeutsche auch in seinen Gedichten durch. Um so sicherer dürfen wir sagen, daß er Dialekt nicht mangels anderer Möglichkeit schrieb, sondern er entschied sich positiv, aus einer Wertschätzung heraus, dafür. Der Schuhmacher verstarb 1831, der Dichter lebt durch sein Werk weiter.

Die Behandlung der Gedichte durch Frégonneau 1871 in seinem handschriftlichen Buch über Eichstetten läßt erkennen, daß ihnen auch damals noch ein gewisser Wert beigemessen wurde. Er stellt sie einigen weiteren, hochdeutschen Gedichten des Schusters voraus; die Niederschrift von Frégonneau ist sorgfältig und vermutlich nahe an den Originalen von Moritz. Die Gedichte zeichnen sich, so Frégonneau, „theils durch einen unverwüstlichen Humor, theils aber auch durch ein tief religiöses Gefühl aus.“

Pfarrer Issel berichtet in seiner 1906 im Druck erschienenen Eichstetter Chronik: „Eine Reihe von Gedichten sind theils handschriftlich, theils im Druck als Zeitungsabschnitte vorhanden. Das Humoristische gelingt ihm am besten; doch hat er auch Ernstes gedichtet.“

Wir stehen nun vor der Aufgabe, zu beurteilen, wie treu die Gedichte von Moritz die wirklich gesprochene Mundart widerspiegeln. Wenn man die Verse mit der heutigen Mundart vergleicht, fällt ein noch stärkerer Markgräflerischer, mithin Schweizerischer Einschlag auf, als ihn der Dialekt heute hat. Immerhin hatte Moritz Vorfahren aus der Schweiz. Aber hat das Dorf, oder wenigstens die Familie von Moritz, um 1820 wirklich so gesprochen? Moritz schreibt, nach Frégonneaus Niederschrift zu urteilen, verschiedene Laute genau so, wie sie in der Oberen Markgrafschaft, also im Raum Lörrach-Schopfheim, aber auch in der Schweiz, gesprochen werden. Beispiel:

E Schlang hebb’s Evli b’redt,

Sell isch e alti Sag!

Doch mengi Schlang, im Bett

Verfüehrt no hüt zu Dag.[iii]

Eine Schlange habe das Evchen beredet,

Das ist eine alte Sage!

Doch manche Schlange im Bett

Verführt noch heutzutage.

Dieses verfüehrt lautet heute vrfhrd, hüt lautet hid. In ähnlicher Weise schreibt er auch süeß (heute: seáß), müed (meád), Trüebsal (Dreábsaal), fülle (fille), mügli (heute manchmal noch: miiglig = möglich, meist schon meeglig) und viele andere. Wo er üe schreibt, sagt man heute , seinem ü entspricht heutiges i. Hat man in Eichstetten zu Moritz’ Zeiten wirklich so gesprochen, wie der Schuhmacher schreibt?

Das Lesen der Lautschriftzeichen

Über seinen Urgroßvater, den Dorfprophet Kuenz, schreibt Moritz:

Erscht wuh di Geischt kei Körber meh bilebt,

Wird g’frogt no dir;

Erscht wuh di Staub in Lüfte schwebt,

Kunsch du der Welt vernünftig für.[iv]

Erst jetzt, wo dein Geist keinen Körper mehr belebt,

Wird gefragt nach dir;

Erst wo dein Staub in Lüften schwebt,

Kommst du der Welt vernünftig vor.

Der Schuhmacher reimt hier dir und für - da er normalerweise recht saubere Reime macht, darf man annehmen, daß er auch hier sich nicht verhauen hat, sondern *diir und *fiir liest. (Wir schreiben die Wörter, die wir so nicht gelesen oder gehört, sondern erschlossen haben, mit Sternchen.) Ein solches fiir (= vor) hört man auch heute noch in fiiri (nach vorn), firschi (vorwärts), seltener in firrnámm (vornehm). Man wird wohl auch sein Lüfte als Lifde (das ist eher hochdeutsch als Dialekt) und vernünftig als vernimfdig lesen müssen.

Moritz ist sehr konsequent, Abweichungen von seiner normalen Schreibung gibt es kaum. Eine der wenigen ist hihle (weinen) - man würde „hühle“ erwarten. [v] Sein „hühle“ kommt in einem anderen Gedicht[vi] tatsächlich als hühle vor - er reimt es aber auf ziele. Wir müssen daraus schließen: Da, wo Moritz ü schrieb, las er i - und wir dürfen und sollten es auch. Beispielsweise sein „Künigi“[vii] (Königin) ist Ghinnigi zu lesen - so, wie man es heute noch sagt.

Auch für die wirkliche Aussprache seines üe findet sich in einem Reimpaar ein Beleg: grüeßt (gegrüßt) steht neben g’nießt (genießt) - es ist als greáßd und gneáßd zu lesen. Im gleichen Gedicht weiter unten schreibt er gleich „grieße“ (grüßen) und reimt es auf „Wiese“.[viii] (Eigentlich sagt man zwischen Hochschwarzwald und Vogesen und im Süden bis ins Wallis „Matte“ für Wiese.)

In gewissen Wörtern, wo man in Eichstetten heute e hat, schreibt Moritz ö: so im Gedicht Dr Rupp schön (scheen). Für Ghärber schreibt er Körber (siehe oben). Im „Rupp“ schreibt er auch: I könnt si Fürbild si. Auch hier verrät ein Reim, daß wohl e gesprochen wurde.[ix] Wir dürfen also lesen: I ghennd si Fiirbild sii.

Nicht anders ist es beim eu des Dichters: man findet neu, reue, freut usw. vor, im Reim steht dem eu aber ei gegenüber - so in reue - kneie (räije - gnäije), freut - keit (fráid - ghäid).[x] (kneie = knien, keit = gefallen).

 

Eichstetterisch im Briefwechsel der Horneckers

Wir meinen, nun die wirkliche Aussprache der besprochenen Schreibungen von Moritz erschlossen zu haben. Wenn es nach diesen Erörterungen noch eines Beweises bedürfte, wäre dieser leicht aus den Briefen beizubringen, die von der Familie Hornecker erhalten sind. Bei dieser Familie handelt es sich ebenfalls um Eichstetter Urgestein, die Urgroßeltern sind alle in Eichstetten geboren, nur eine Uroma kam aus Bötzingen.[xi] Der Waisenrichter, Gemeinderat und Säcklermeister Johann Georg Hornecker und seine Frau Maria Magdalena (geb. Jößlin) schrieben zwischen 1838 und 1850 etliche Briefe an ihre Söhne.[xii] Sie wimmeln von Alemannismen, genauer: von Eichstetter Eigenheiten. Die Horneckers wollen Hochdeutsch schreiben, es gelingt ihnen aber weit schlechter als zwanzig und mehr Jahre zuvor dem Andreas Moritz. „Schreibe du Uns Vor oder Nach den Feuertagen, wen du wolest, wen du alles in Ornüng bekommst, wir grüßen dich freundlich ...“ heißt es 1841. Feuertage (Fiirdig), Ornüng (Ordnig) - mit dem hochdeutschen eu und dem ü haben der Säckler und seine Frau Probleme - warum wohl? Weil es ein eu in der angestammten Sprache der Eichstetter damals so wenig wie heute gab, ebensowenig gab und gibt es ein ü an der Stelle, wo das Hochdeutsche es hat. Man ist sich - wie die hiesigen Schulkinder noch vor wenigen Jahren, ja, manchmal heute noch, nicht sicher, wo eu und ü hinkommen. Bei Feuertage kam erschwerend hinzu, daß Feuer und Feier im Dialekt gleich heißen: Fiir. 1844 lesen wir: „Die Reise durchs Münsterthal ist merkwirtiger als über der Hauenstein, den da hat es ungeheiere Steinfelsen. ... Die Kornerntte ist auch vorbei und ist ganz reichlich ausgefallen, nur hette die Wüterung etwas besser sein können. Die anderen Früchten stöhn auch schöhn, nur hat man jetz halber Furcht wegen der nassen Wieterung.“ „Merkwirtig“, „Wüterung“ und „Wieterung“ - wieder Probleme mit i und ü. „Schöhn“ (scheen) als Vorbild für „stöhn“ (schdehn) - man hat geschlossen: wenn scheen „schöhn“ heißt, muß schdehn „stöhn“ heißen.[xiii] Im selben Brief heißt es auch „... ein klein wönig helfen ...“ und „anköhren“. Man nennt dieses Darüberhinausschießen wie in Ornüng, Wüterung, wönig usw. „hyperkorrekte Schreibung“.

Nicht hyperkorrekt, sondern ganz nah am Eichstetterischen sind die unterstrichenen Wörter:

1845: „... es griest dich deine Eltern...“. 1846: „Mir Grüsen dich Herzlich ...“; „Glück zum neien Jahr ...“; „... es seien dort nur Uhrenmacher u. fil deitsche u. sprechen nicht gut französchis ...“. „Deitsch“ ist die typische kaiserstühlerische Verhochdeutschung von didsch; ähnlich gebildet ist Leit (Lid). 1848: „... mir haben ja doch nur Fremdeleite um uns ...“

1849: „... die Preisen haben wohl lehre Faß getrunken aber nichts davier bezahlt ...“; „Herr Lehrer Spohn in Lerach ...“; 1850: „... Kriegszustandt ... die Heger Hiete zu tragen verboten ...“. Das ie in „griest“ und in „Heger Hiete“ (Heckerhüte) ist zu lesen.

Die Abweichungen zum Eichstetterischen hin in den Briefen der Horneckers sind unbeabsichtigt - außer im ältesten Stück der Sammlung. 1838 schreibt ein A. Meyer nach Schopfheim an Martin Hornecker, einen Sohn des Säcklers: „... deine Mutter steht neben mir u. dictiert: ‘Ob es so ark gsi isch wege den 8 Tage Ferien, wo er noch hätt könne do sy?’ ... Deine Mutter dictiert weiter: ‘Schribe si: deine Eltern sin au uf der (??) gisi u. hen ne Fischkasroll gekauft, damit sie deine silbernen Löffel aufheben kennen ...“ Einmal könne, einmal kennen - die Mutter wird wohl ghenne gesagt haben.

Im Lautlichen, so zeigen diese wenigen, aus einer großen Zahl ausgewählten Beispiele, war das Eichstetterische 20, 30 Jahre nach Moritz durchaus auf dem Stand, auf dem es heute noch ist. Es wird wohl schon zu Moritz’ Zeiten so gewesen sein. Bevor wir zu ihm zurückkehren, noch eine kleine Lese spezieller Dialektwörter aus den Briefen der Horneckers:

1841: „... die bonen sind bei den Krügen im Kraten ...“ (Grade = heute: spezieller Korb zum Kirschen-Pflücken).

1845: „... wir haben wirglich vil Feldarbeiten ...“ (wirglig = zur Zeit)

1846: „... ein Essen wo Göttin und Gottinnen dabei gewäsen sind, Herr Pfarr und die Lehrer ...“ (d Geddi un d Goddine = die Patenonkel und die Patentanten; Bfaar sagt man noch in einigen Kaiserstuhlorten, in Eichstetten heute Bfaarer - in den Briefen drei mal als „Pfahrer“ belegt.); „Es blangert uns bis wir dich wieder einmal in unserer Mitte sehen.“ (s blangered uns = wir warten sehnsüchtig (darauf))

1847: „Hochzeiter“ (Hochzider = Bräutigam)

1849: „... Holz nach Hause zu schaffen, was Taugen gäben sol.“ (Dúúge - Dauben, Bretter fürs Faß)  

1849: „... man mangelt der Großherzog nicht ...“ (mer hed di gmangled - man hat dich vermißt, du hast uns gefehlt).

 

Eichstetter Brocken bei Andreas Moritz

Die Frage ist nun, warum Andreas Moritz sich beim Schreiben ans Obere Markgräflerische (und damit automatisch an das ähnlich gelautete Schweizerische) angelehnt hat. Das Vorbild von Hebel hat da sicher eine Rolle gespielt - Moritz schreibt, der Überlieferung von Frégonneau zufolge, auch wie Hebel ue für den Laut, der in Eichstetten öe klingt („dueth“ (tut) für döed, „Schuesterei“ für Schöeschderäi usw.) Im Druck (Chronik Issel) sind auch üe und ue weitgehend getilgt: Dort heißt es „duht“ (tut), „Schusterei“ usw., statt „vergnüegt“ steht „vergnügt“, an Stelle von „zuckersüeß“ lesen wir „zuckersüß“ usw. Die stärkere Verhochdeutschung der Gedichte bei Issel dürfte an einer Bearbeitung durch Issel selbst oder durch den Setzer liegen.[xiv]

Der Grund für die vom Eichstetterischen wohl auch damals abweichende Schreibung von Moritz könnte sein: Es ist so vom Hochdeutschen aus gesehen leichter zu lesen und zu verstehen. Moritz hat wohl auch auf Leser außerhalb von Eichstetten abgezielt. Das scheint ihm gelungen zu sein, wenn, wie Issel berichtet, auch Gedichte in Zeitungen erschienen sind.

Wenn aber Moritz nahe am Hochdeutschen sein will, so fallen einige schwere Brocken, aber auch einige unauffällige Wortteile in seinen Gedichten besonders auf, die vom Hochdeutschen her unverständlich sind. In der Aufzeichnung von Frégonneau sind diese Wörter meist durch Fußnoten übersetzt - vielleicht stammen sie von Moritz selbst. Sicher ist aber, daß Frégonneau mitdachte - er macht auch Bemerkungen, die nicht von Moritz sein können.

Beim Bestreben von Moritz, verständlich zu sein, darf man die schwierigen Mocken für echtes Eichstetterisch halten. Er wird nicht Wörter, die weder die „Hochdeutschen“ noch die Eichstetter kennen, in seine Gedichte eingebaut haben. Diesen Eistetter Möcken wenden wir uns jetzt zu.

 

Ár meách: Über seinen Urgroßvater Benedikt Kunz hören wir von Moritz weiter:

Einscht het mer dich verachtet un verkennt;

Doch lebdisch 1) no,

Wursch 2) überall der Klüegschti g’nennt,

Mer ließ di nit verächtli stoh.

1) lebtisch = lebtest du; 2) Wursch = würdest du

Einst hat man dich verachtet und verkannt;

Doch lebtest du noch,

würdest du überall der Klügste genannt,

man ließe dich nicht verächtlich stehen.

Die Wörter mit Fußnote - von Frégonneau ans Ende des Gedichts geschrieben und übersetzt - waren also damals schon nicht jedermann (außerhalb Eichstettens) bekannt. Es handelt sich um Konjunktiv-II-Formen (Möglichkeitsformen). Sie wurden vermutlich *lábdisch, *wuursch gesprochen, auch *leáß (ließe) gehört zu diesem Typ. Einmal schreibt Moritz: „Er müech der Keller zue“[xv] (das muß *meách ausgesprochen worden sein) - er würde den Keller zumachen. Von der Nachtigall schreibt Moritz:

O könnt i ihr Stückli! Sell wer mer e Freid

I singd is in Freide, i pfifft is in Leid.[xvi]

O könnte ich ihr Stücklein! Das wäre mir eine Freude

Ich sänge es in Freude, ich pfiffe es in Leid.

Das ungekürzte Gedicht

Hier schreibt Moritz - zutreffender - „Freid“ (gewöhnlich aber „Freud“). „Könnt i“ (*ghenndi) und „wer“ (*wáár) verstehen sich von selbst, „i singd is“ und „i pfifft is“ sind wieder alte Formen. Dieses "is" könnte man mit "uns" übersetzen, also "ich sänge uns". Aber wir werden es wohl als *i sigdi-s und *i bfiffdi-s interpretieren müssen - das oben zitierte "labdisch" heißt in der dritten Person nämlich auch ziemlich sicher *lábdi. 

Und jetzt kommt die Sensation: Diese Formen sind im Breisgau eigentlich ausgestorben, lediglich im südlichen Markgräflerland und in der Schweiz hört man sie noch.[xvii] Zu meiner Verblüffung kannten meine Eichstetter Gewährsleute einige davon noch, ja, sie gebrauchen sie noch, wenn auch zum Teil sehr selten. Als Anwendungsbeispiele nannten sie: I leáß d Heáhner rús, wánn-i nid Angschd hádd, si schisse mer im Hoof rum. (Ich würde die Hühner herauslassen, wenn ich nicht Angst hätte, sie verdrecken den Hof.) Ár meáchs, wánner drzid hádd. (Er würde es machen, wenn er Zeit hätte.) Wánn dr di halde deedsch, lábdisch gsinder, no wáárs dr wehler. (Wenn du dich hieltest, lebtest du gesünder, dann wäre es dir wohler.) Dr wuursch di vrlúschdere! (Du würdest eine böse Überraschung erleben!) Dá wuur sich vrlúschdere! (Der würde sich umschauen!) Häufiger sagt man heute - und die Jungen sagen so durchweg - dú deedsch (für dú wuursch = würdest), ich deed mache (für i meách), dú deedsch lááwe (für dú lábdisch).

Das „I wott es nehm en End’“[xviii] (ich wollte, es nähme ein Ende) von Moritz ist in Eichstetten und vielen anderen Dörfern noch gängig als i wodd, s náhm á Ánd.

Auch im Hochdeutschen ist der Konjunktiv-II im Schwinden, „ich sänge“ und viele andere sind nur noch bei sehr gehobenem, fast gekünsteltem Sprachgebrauch üblich.

Wir hörten weiter oben: „E Schlang hebb’s Evli b’redt.“ Eine Schlange habe also das Evchen beschwatzt. Hier haben wir den Konjunktiv I, eine Form, die beim Weitererzählen gebraucht wird. In Eichstetten sind heute noch ár heb oder ár heeb (er habe), mir hewe oder heewe (wir hätten), ár däi (er tue) und ár säi (er sei) gängig. Bei Moritz findet sich noch: „Mi Mann meint, s kum vum Hihle her“ (es komme vom Weinen her - wohl *ghumm gesprochen). Heute würde man sagen: Mi Mann máind, s däi vum Hiile háár ghumme oder: ár máind, s gheem vum Hiile oder sogar nur: ár máind, s ghunnd vum Hiile. Am häufigsten findet der Konjuktiv sich ohne einleitenden Hauptsatz: Si däije schbridze (ich habe gehört, sie würden spritzen (Schädlingsbekämpfung)). Dú hebsch di ufgreggd (es wird erzählt, du hättest dich aufgeregt) usw. Doch auch dieser Gebrauch geht zurück. Die Konjunktiv-I-Formen sind im Schwinden - im Dialekt wie in der Standardsprache. Damit geht ein Stück sprachliche Sorgfalt - eng verwoben mit Sorgfalt des Denkens - verloren: es ist halt ein Unterschied, ob einer Geld hat oder habe: Dr Schadz vu-nere heb verzelld, ár heb á Húffe Gáld. (Ihr Freund („der Geliebte von ihr“) habe erzählt, er habe einen Haufen Geld.) Hier ist die gebotene Vorsicht schon durch den sprachlichen Ausdruck signalisiert, anders, als wenn es heute vielleicht heißt: Ihre Fräind hed vrzelld, ár hed á Húffe Gáld.

 

Amtsbifehl: Moritz schreibt die Vorsilbe, die heute be- lautet, als „bi-“, so wenn er sagt:

Kunnt Amtsbifehl uf Amtsbifehl,

So lugt der Schuldner grus un scheel.[xix]

Kommt Amtsbefehl auf Amtsbefehl,

So schaut der Schuldner graus und scheel.

In zwei Gedichten kommt „bilebt“ bzw. „bilebe“ vor - man sagt heute belábbd und belááwe (belebt; beleben).[xx] Das einzige Wort im Breisgau, in dem noch ein bi- erhalten ist, ist bighumme - dies ist aber in Eichstetten kaum gängig, man sagt hier greáge (bekommen, kriegen). In der Markgrafschaft hört man bi- noch häufig - je näher an die Schweiz, desto mehr.

 

I láuf wáidli: Moritz erzählt von einer Frau, die zum Arzt ging. Dessen Diagnose: Sie trinkt zuviel. Was würde passieren, wenn ihr Mann es erführe? „Er müech der Keller zue“, sagt die Frau - er würde den Keller zumachen. Dann sagt sie:

Zuer Vorsicht will i weidli noh,

die große Hääfe fülle goh.[xxi]

Zur Vorsicht will ich schnell noch

die großen Töpfe füllen gehen.

Sie will also noch schnell (wáidli) go die großen Töpfe fülle goh - dieses weidli ist fast ausgestorben, es ist nur noch in der Redewendung: ár heerd nid göed, ár siihd ni göed, ár ghaa nid wáidli láufe in Erinnerung.

Die zahlreichen -li von Moritz lauten heute -lig - also verächtli > vráchdlig, mügli > miiglig oder meeglig, natürli > nadiirlig, wirkli > wirglig (zur Zeit), friendli > fräindlig (aus Moritz’ „Frind“ ist inzwischen Fräind geworden), christli > grischdlig, ordli > oodlig, oordlig oder ordendlig usw.

Nur einmal ist die heute am Kaiserstuhl vorherrschende Form mit -lig zu finden. In einem „seiner Exdellenz Hr. Minister v. Andlau“ gewidmeten Gedicht schreibt Moritz:

E müede Schritt soll mi nit reue

Uf Sankt Katherine Schöne Berg,

Dert will i freilig niederkneie

Der Schöpfer griße un si Werk.[xxii]

Ein müder Schritt soll mich nicht reuen

Auf Sankt Katarinen schönen Berg,

dort will ich freilich niederknien,

Den Schöpfer grüßen und sein Werk.

In diesem Gedicht, das er dem hohen Herrn bei einem Besuch vielleicht sogar überreicht hat, kommt es häufig zu Abweichungen zum Hochdeutschen. Vielleicht wurde das „freilig“ mit g als näher beim Hochdeutschen liegend und verständlicher empfunden (zu erwarten wäre *friili gewesen). Wenn auch *oordli usw. damals die Normalform gewesen sein muß, war das g in der gebeugten Form sehr wahrscheinlich präsent: *á oordligi Fráu.[xxiii]

Auch das Alemannische hatte im Hochmittelalter noch die Endung -lich. Mit dem Verschwinden von -ch in -lich geht auch der Abfall von -ch an ich, mich, dich und sich sowie durch und noch einher - es heißt daher im Dialekt i, mi, di, dur und no, ein si im Sinne von sich ist nicht mehr gängig. Moritz schreibt noch grundsätzlich i für ich, si für sich usw. Auch 1887, im Eichstetter Antwortbogen für den Deutschen Sprachatlas, heißt es noch grundsätzlich so. Heute kann man durchaus Formen mit -ch hören, bei Jungen sind sie vielleicht sogar die Regel. Das i wodd nomool dur d Rááwe goh der Alten heißt dann ich wodd noch emool durch d Rääbe goh oder ähnlich. Am häufigsten ist i noch in der Nachstellung (nach dem Zeitwort/Verb) erhalten: Des wodd-i gsáhne haa! („Das wollte ich gesehen haben!“, das glaube ich nicht recht!) Auch: Des wodd-i gsáh haa.

 

weger: Moritz schreibt in einem Gedicht: „Nei schöner’s ka weger uf Erde nit si!“ und in einem anderen: „S’isch weger na kei Kleinigkeit, / E Vogt het wenig reini Freud.“[xxiv] Hebel hat dieses weger in seiner Wörterliste mit wahrlich übersetzt. *wááger ist im Breisgau weit und breit nicht mehr zu hören, wenn es jemals allgemein verbreitet war.

 

iini goh: Moritz schreibt einmal neben ni auch ini - dieses ini war in Eichstetten gewiß einmal gängig - man sagt heute noch zu den Hühnern iini! iini!, wenn sie in den Stall sollen. Ein Gewährsmann erinnert sich, daß sein Vater zur Katze, wenn sie hinaus sollte, noch úsi sagte. Die in der unteren Markgrafschaft gängigen Formen iini, úúsi, aabi, uffi usw. könnten auch einmal am Kaiserstuhl verbreitet gewesen sein. In der oberen Markgrafschaft sagt man iine, úúse, aabe usw. Heute heißen die Richtungsfürwörter in Eichstetten nii, rii, nús, rús, nuf, ruf, naa (hinunter), raa (herunter), hii (hin) und aani (hin), hinderi (nach hinten), viiri (nah vorn), underi (hinunter), riiwer (herüber), niiwer (hinüber) und, eigentlich nur zur Kuh, wenn sie hinüber gehen soll (Platz für den Melker machen soll): gang num! Dies num heißt im Oberland umme.

 

Dr Rúbb: „I’bin e arme Rupp / E’Wurm, e Erdegrupp ...“ - über diesen Gedichtanfang bin ich gestolpert, für Nicht-Eichstetter ist er nicht auf den ersten Blick verständlich. „Erdegrupp“ übersetzt Moritz bzw. Frégonneau mit „einer der an der Erde herumkriecht, ein eigenthümlicher Ausdruck des Kaiserstuhls“. Karl Schmidt hält auch eine Herkunft des Wortes Grupp aus grubbere (graben) für möglich.

Das ungekürzte Gedicht

„Der Rupp“ (so lautet die Überschrift) und „e arme Rupp“ ist wiederum eine kleine Sensation. Alle Tiernamen in Eichstetten, die ein weibliches End-’e’ haben können, haben es auch, also z B. d Forálle (die Forelle), d Áágerschde (die Elster), d Oomáise (die Ameise) und weitere, oben schon erwähnte. Alle? Es gibt Ausnahmen, so dr Rúbb (die Raupe). Dieses Tierchen müßte in Eichstetten, wenn es nach der Regel ginge, eigentlich „d Rúwe“ heißen. Aber warum ist dieser Wurm bei Moritz und heute noch im Sprachgebrauch der Alten männlich? Zwei Tierlein, die von den Senioren heute noch dr Schnágg und dr Zágg genannt werden, führen uns auf die Spur. Dem Moritz sein Rúbb ist ein Wort vom gleichen Typ wie der alte Schnágg und Zágg. Sie sind männlich un e-los. Heute sagen die Jungen - nahe am Hochdeutschen - d Schnägge und d Zägge, beide weiblich. Es gibt noch einen vierten im Bunde: dr Grabb. Bei ihm, dem Raben, empfinden Dialektunkundige die Männlichkeit jedoch nicht als ungewöhnlich.

Für „e arme Rupp“ - sowohl Frégonneau als auch Issel schreiben es so - sagt man heute noch á aarme Rúbb. Dementsprechend heißt es auch göede Wii (guter Wein), e beese Böe (ein böser Junge) usw. - immer ohne -r, wie häufig am Kaiserstuhl. Fürwörter wie sáller haben hingegen -r: sáller derd (der da), sáller aarm Drobf (jener arme Tropf), auch: áiner, jeeder, weller (welcher) usw.

 

S Mariili: Moritz erzählt: „E Schlang hebb’s Evli b’redt ...“ Er schreibt hier e Schlang ohne End-e, wie vier meiner fünf Gewährsleute es auch sagen. Eine weitere Ausnahme also. Aber „s Evli“, sächliche Vornamen von Frauen, gibt es z’ Eistett doch nicht? Die Gewährsleute sagten erst einmal nein. Aber dann erinnerte man sich doch an den einen oder anderen Fall, zum Beispiiel s Leáchd Mariili, eine Frau, die die Stromgebühren eingezogen hat, es gab und gibt auch andere Mariili. S Mäili in dr Ghinzge hieß eigentlich d Annemäi (Annemarie). Und s Emiili wird heute noch so genannt, weil man diese Form vielleicht schöner findet als d Emiile (Emilie), was ja fast d Emiilá gesprochen wird (Betonung auf der ersten Silbe). Diese sächliche Benennung beginnt im Mädchenalter, wánn si sich nid währe, hán-sis bis ins Alder. Die Evas heißen heute alle d Eevaa, auch s Dächderli vum Burgemáischder. Wenn wir Moritz glauben dürfen, muß es auch das Evli und sicher weitere sächliche Frauennamen einmal gegeben haben. Ihr großes und dichtes Verbreitungsfeld haben die sächlichen Mädchen- und Frauennamen heute im Elsaß und am westlichen Kaiserstuhl, aber auch Bahlingen und Riegel sagen s Maarii, s Ärnaa, s Eevli usw. Doch für die Eva im Paradies würde man heute in Bahlingen, in Rothweil und sonstwo nicht s Eevli sagen, sondern d Evaa - man nennt nur nahe bekannte Frauen mit sächlichem Artikel. Die Kaiserstühler Alemannisch beherrschende Landwirtschaftsministerin wird nur von ihren Verwandten und Bekannten z Ghinnigschaffhúúse und sonstwo s Gärdii genannt, die anderen sagen d Gärdii (Schdáibliin). Der Druck des Hochdeutschen, auch der Kirchensprache, bewirkt, daß man heute auch am westlichen Kaiserstuhl „E Schlang heb d Eva bred’d“ dichten würde - man ist mit jener Eva halt nicht persönlich bekannt. Daß Moritz „s Evli“ geschrieben hat, läßt auf einen noch starken Gebrauch des sächlichen Frauennamens im Eichstetten von 1820 schließen.

Der Gebrauch des sächlichen Frauennamens hat in den entsprechenden Ortschaften übrigens keinen diskriminierenden Sinn, so wenig wie s Grooßili (die Großmutter) herabsetzend ist, was man in Eichstetten noch sagt. Im Gegenteil: S Grooßili ist in Eichstetten die einzig vorstellbare Form. Die Eichstetter waren entsetzt, als die im Krieg zu ihnen evakuierten Rothweiler d Grooßle sagten. Mi lengschd Dánggis isch, wu zwee Roodwiiler Gnirbs d Grooßle gsáid hán, sagte Magdalena Höfflin - das gehört also zu ihren ältesten Erinnerungen betreffs der Evakuierung.

Sächliche Frauennamen trifft man nicht nur im Elsaß, sondern, seltener, auch im Markgräflerland und in der Schweiz noch an.

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Vieles, was wir in der von Moritz überlieferten Sprache vorfinden, hat sich wacker gehalten, vieles, zunehmend vieles ist aber auch schon veraltet oder vergessen. Das Alemannische in Baden und auch in Eichstetten verliert an Substanz und wandelt sich zum Hochdeutschen. Das Eichstetterische hat sich zwar wie jede Sprache schon immer gewandelt, in der Folge des Dreißigjährigen Krieges vielleicht sogar turbulent. Durch die zeitweise Flucht der Eistetter, die Dezimierung der Bevölkerung und den Zuzug aus der Markgrafschaft Hochberg, der oberen Markgrafschaft und der Schweiz ist es gewiß zu einer Veränderung des sprachlichen Mosaiks im Dorf gekommen. Die Einflüsse waren aber überwiegend regional, das Mosaik blieb ein alemannisches. Wenn es einmal zu einem Europa der Regionen kommen soll, wenn Südbaden, das Elsaß und die angrenzende Nordwestschweiz zu einer Region zusammenwachsen sollen, braucht das Zusammenleben eine gemeinsame kulturelle Grundlage. Ein Teil davon könnte und sollte die alemannische Sprache bleiben. Durch gemeinsame Sprache wird gemeinsame Geschichte und Kultur sinnlich erfahrbar, die Menschen werden gefühlsmäßig geeint. Man kann zwar auch durch ein Gespräch auf Englisch Gemeinsamkeit erfahren. Im Bezug auf die Region geht es mit Alemannisch wohl direkter und tiefer.



[i] Nach freundlicher Zurverfügungstellung der Daten durch Kurt Heinzmann.

[ii] Frégonneau, Wilhelm: Der Marktflecken Eichstetten in seiner Vor- und Jetztzeit. Handschrift, Eichstetten 1871; Issel, Ernst: Eichstetten am Kaiserstuhl einst und jetzt. Weinheim, im Selbstverlag 1906, S. 116ff.

[iii] Die Schlange, nach Frégonneau

[iv] Einige Blumen auf die Gruft, nach Frégonneau.

[v] Die Kur, nach Frégonneau.

[vi] Der Bock bei der Leiche, nach Issel.

[vii] Aussichten auf dem Katharinenberg und dem Kaiserstuhl, nach Frégonneau.

[viii] Ebenda.

[ix] Erörterung in: Noth, Harald: Alemannisches Dialekthandbuch vom Kaiserstuhl und seiner Umgebung, Freiburg 1993, S. 70.

[x] Aussichten ...

[xi] Nach freundlicher Zurverfügungstellung der Daten durch Kurt Heinzmann.

[xii] Mir lag eine buchstabengetreue Schreibmaschinenabschrift „Briefwechsel Hornecker 1938 - 1850“ von Thomas Steffens vor.

[xiii] „Stöhn“ ist in der Oberen Markgrafschaft gängig, dem entspricht dortiges „löhn“ (lassen). Durch Issel ist jedoch ein „lehn“ belegt (Der Bock bei der Leiche).

[xiv] Zwei der Gedichte sind sowohl bei Frégonneau als auch bei Issel dokumentiert und erlauben den direkten Vergleich.

[xv] Die Kur, nach Frégonneau.

[xvi] D’Nachdigall, nach Frégonneau.

[xvii] zu alten Konjunktiv-II-Formen in Sasbach siehe Noth, Dialekthandbuch, S. 96ff.

[xviii] Die Kur, nach Frégonneau

[xix] Nach Issel, die Vogtwahl betreffend (ohne Überschrift).

[xx] Aussichten ... sowie Einige Blumen ..., nach Frégonneau.

[xxi] Die Kur, nach Frégonneau.

[xxii] Aussichten ... nach Frégonneau.

[xxiii] Dazu Beck, Ernst: Lautlehre der oberen Markgräfler Mundart, Halle/Saale 1926, §208,2; Noth, Dialekthandbuch, S. 77ff

[xxiv] D’Nachdigall, nach Frégonneau; die Vogtwahl betreffend, nach Issel.