Globalisierung und regionale Kultur

Alternative zur Globalisierung - Regionalisierung

Wenn viele Menschen die Globalisierung zumindest in bestimmten Aspekten begrüßen, so ist doch nicht zu übersehen: die Entwicklung hat auch viele Aspekte, die den Hoffnungen und dem Lebensgefühl der meisten Menschen widersprechen. Man liebt den Wein, aber den Kater nicht. Viele kämpfen, bewusst oder unbewusst, in irgendeiner Form dagegen an. Sie widersetzen sich der herrschenden Erwartung. Immer noch weigern sich welche, in der Welt oder im Land herum zu flippen, wie es der moderne Arbeitsmarkt verlangt. Sie begnügen sich mitZirkus-AG von Lehrer Bender an der Hauptschule Oberrotweil bescheideneren Einkommen und leisten sich dafür den "Luxus" einer Familie. Manche betreiben ökologischen Landbau und "menschliche" Viehhaltung, andere kaufen ihre Produkte. Manche bauen oder renovieren ihr Haus mit traditionellen Materialien statt Beton. Sie bleiben im Ortskern anstatt die Landschaft zu zersiedeln. Andere oder dieselben produzieren Sonnenkollektoren und Fotovoltaikanlagen. Einige nehmen sich Zeit für Kinder, haben einen Garten mit Blumen und eigenem Gemüse statt einem dicken Schlitten und fahren Rad und Bahn. Diese und jene engagieren sich öffentlich für regionale Belange, sei es im Verein, in Gremien, in der Politik - betreffend Kultur, Wirtschaft, Sport usw. Andere oder dieselben setzen sich für soziale Belange in der Gewerkschaft, für soziale und geistige Belange in der Kirche ein. Manche setzen sich mit der Geschichte auseinander, um zu lernen - sie wollen nicht einfach glauben, dass das heutige Leben in jeder Hinsicht das beste aller Zeiten ist. Viele reden bewusst den Dialekt, lernen Französisch oder andere nahe und ferne Sprachen statt immer nur Englisch. Nicht wenige geben viel Geld aus für weniger, aber besser.

Die Katastrophen der Gegenwart und der Zukunft - amerikanische Kreuzzüge, islamische Dschihads, Stürme, Überschwemmungen, Trockenheit, Entsolidarisierung und Auseinanderfallen der Gesellschaft werden noch mehr Leuten zu denken geben und diese Bewegung verbreitern.

Der Kampf gegen die Globalisierung, wie er spontan und instinktiv geführt wird, gleicht aber oft dem Schwimmen gegen einen übermächtigen Strom. Man setzt Sonnenkollektoren auf sein Dach, die Industrie exportiert die Technik von Kernkraftwerken. Frau hilft Alten, Bedürftigen, Asylanten; die Regierung - egal welcher Farbe - beteiligt sich an Kriegen und gestattet Rüstungsexport. Vernünftige Eltern und Lehrer versuchen, die Kinder zu kultivieren; die Massenmedien, die Freizeitindustrie versuchen, sie zu Konsumaffen abzurichten. Oft existiert der Widerspruch auch in unserer eigenen Brust: Wir sammeln das ganze Jahr Joghurt-Deckel fürs Alu-Recycling und fliegen im Urlaub dann auf andere Kontinente. Um gegen diesen Strom um uns und in uns anzukommen, bedarf es struktureller Änderungen - der Regionalisierung.

Für die Regionalisierung zu sein, heißt nicht, sich in einem engen Raum abzusperren, überall Grenzen zu errichten, im eigenen Mief ersticken zu wollen. Der Weltfriede, der europäische Friede wie auch regionale Kultur und Wohlstand sind nur mit Wandel und Handel möglich. Es wäre zum Beispiel segensreich gewesen, wenn schon in früheren Jahrzehnten das Dreyeckland - die Nordwestschweiz, Südbaden und das Elsass - eine grenzüberschreitende Wirtschaftsregion hätten bilden können. Um die alemannische Kultur würde es hüben und drüben besser stehen; die Wirtschaftsentwicklung hätte harmonischer sein können.

Der freie Handel und Wandel über weite Räume - gewollt von den Regierungen der reichsten Länder - führte zum obwaltenden globalen Wirtschaftssystem, zu einem ungeheuren Rohstoff- und Energieverbrauch, zu den globalen Verkehrsströmen und zementiert diese. Die Zerstörung unserer Lebensgrundlagen hat im ungebremsten globalen Handel eine entscheidende Ursache. Dieser globale Handel bedarf bedarf daher einer sanften Bremsung.

So sinnvoll es ist, dass benachbarte Regionen, auch über bestehende oder ehemalige Grenzen hinweg, miteinander handeln, wandeln und wirtschaften, so unsinnig ist es, dass die Alemannen in Stadt und Land holländische Eier und südafrikanische Äpfel essen, mit polnischen Zwiebeln würzen und den regionalen Bauernstand zu Grunde gehen lassen. (Der in Holland, Südafrika und Polen wurde bzw. wird durch die Globalisierung nicht minder dezimiert.) So unsinnig ist es, dass die Schwarzwälder Bauerstochter, der sizilianische Hirte und der Hamburger Werftarbeiter die gleiche Blue Jeans tragen müssen, die in einem belgischen oder einem philippinischen Industriezentrum unter amerikanischer Lizenz hergestellt werden, während die einheimische Textilproduktion hier wie da stirbt.

Der freie Handel muss auch im Interesse der Kultur im engeren und weiteren Sinn sanft gebremst werden. In jeder Region muss ein Produktionskreislauf, der mit den örtlichen Gegebenheiten harmoniert, rentabel bleiben. Die Menschen müssen eine Heimat behalten, in der sie sich durch eigene Arbeit ernähren und ihre Tradition erhalten und entwickeln können. Die menschliche Psyche verlangt nach Einbindung in eine Tradition und eine Gesellschaft; der Mensch ist durch die Jahrtausende so konditioniert. Er ändert sich auch durch 10 oder 100 Jahre europäischen Binnenmarkt und Globalisierung nicht, sondern wird krank, wenn er ausgerissen, verstoßen, zerstreut wird, wenn er heimat- und arbeitslos wird. Das können Schlagworte von multikultureller Gesellschaft, sektenhafte oder szenenhafte Ersatzgesellschaften und materielle und geistige Ersatzbefriedigung nicht überdecken.

Bremsen, aber wie?

Wie könnten die Bremsen aussehen, die der Natur mehr zu ihrem Recht und der Region mehr zu ihrer Geltung verhelfen? Hier wären Konzepte aufzugreifen, die von Ökologen in die Diskussion geführt wurden. Im Zentrum müsste die nationale und die europaweite Verteuerung der Rohstoffe, der (nicht erneuerbaren) Energie und der Verkehrsströme durch Steuern stehen. (Die gegenwärtige rot-grüne Ökosteuer in Deutschland ist dafür kein gut durchdachtes und konsequentes Vorbild.)

 Die Steuern machen die regionale Produktion wieder rentabler. Zugleich muss die Besteuerung der Arbeitskraft gesenkt oder beseitigt werden. Die Produktion und das Betreiben der Maschinen und der Transport werden dadurch teurer, die menschliche Arbeitskraft dagegen wird attraktiver. Der hemmungslosen und grenzenlosen Verdrängung des Menschen durch Maschinen wird entgegengewirkt. Die Exportlastigkeit der Wirtschaft wird herabgesetzt. Freilich müssen diese Bremsen auch nach außen wirken. Es ergibt keinen Sinn, die einheimische Produktion mit Rohstoff- und Energiesteuer zu belegen und aber Waren aus Japan, Amerika usw. frei und unbesteuert den Markt überschwemmen zu lassen. (Die Länder der 3. Welt und ihre Wirtschaft, Landwirtschaft sollten nicht unbedingt durch zollfreie Importe, sondern durch großzügige Entwicklungshilfe - Hilfe zur Selbsthilfe - gefördert werden. Einnahmen durch Zölle auf Waren aus armen Ländern sollten in Entwicklungshilfefonds fließen. Oft genug hungern dort die Menschen, da die Nahrungsmittelproduktion ihrer Länder völlig einseitig und für den Export bestimmt ist. Auch die Länder der Dritten Welt sollen das Recht, ihre eigene Wirtschaft zu steuern, die Einfuhren zu kontrollieren und Zölle zu erheben, zurückbekommen.) 

Durch die Verteuerung der Rohstoffe und der Energie und durch die Abschaffung der Lohnsteuer wird eine Verlagerung von Quantität zu Qualität erfolgen. Handwerk, Kunsthandwerk statt Plastik- und Blechmassen! Wiederverwertung und Reparatur statt ex-und-hopp! Lebensinhalt durch Arbeit und Kultur statt Durchfüttern von Arbeitslosenheeren mit fast food und Billig-Plastk!

Wirtschaft und Kultur stehen  in einem Abhängigkeitsverhältnis. Regionen, die ihre Menschen durch heimische Produktion halten und ernähren können, werden auch kulturell wieder interessant, die regionale Kultur kann aufblühen. Eine blühende regionale Kultur wiederum schafft Identifikation; die Menschen verlangen dann nach regionalen Produkten.

Diese Bremsen sind weltweit, zumindest europaweit anzustreben; zu beginnen wäre im eigenen Land, vor der eigenen Haustür. Um sie durchsetzen zu können, müsste die Europäische Union demokratisiert und regionalisiert werden. Der Witz an diesen Steuerbremsen ist, dass sie ein hohes Maß an Freiheit lassen würden. Die ökologische Steuerreform wäre eine Revolution,  könnte aber schrittweise, ohne Umsturz und Turbulenzen eingeführt werden. Neue europäische Binnengrenzen wären nicht nötig.  Einem solchem regionalisierten Europa würden sich die Schweizer und andere bedenkenlos anschließen. Der kleinräumige Handelsverkehr über die ehemaligen Grenzen würde überall gut gedeihen. Der großräumige Handel würde sich wegen der Transportkosten beschränken; er könnte nur da gedeihen, wo er wirklich notwendig ist, wo die regionale Produktion das Bedürfnis nicht decken kann. Jeder könnte nach wie vor kaufen, was er will - freilich australische Kiwi, amerikanisches Rindfleisch oder japanische Autos nicht gerade billig. Auch wahnwitzige inneralemannische Transaktionen würden teurer: Schnee mit dem Lastwagen aus dem St.-Gotthard-Gebiet in den Schwarzwald zu karren, wie jetzt geplant, würden, wenn nicht aus Vernunft, so doch aus Kostengründen unterbleiben. Schifahren im schneelosen, vom Klimawandel erfassten Schwarzwald wäre "out". Den Austausch von Ideen und den gegenseitigen Respekt zwischen den Regionen Europas und der Welt dagegen behindern diese Bremsen überhaupt nicht.

Eine Regionalisierung schenken uns die Mächtigen in Europa und auf dem Globus nicht; sie lassen sie sich nicht ohne Weiteres gefallen. Auch das Brett vor unseren eigenen Köpfen steht im Weg. So bleibt die Regionalisierung erst einmal eine Utopie. Aber eine Utopie, nach der man greifen muss. Was wäre ein Leben ohne Hoffnung, ohne eine Utopie, um die man kämpft? 

Harald Noth