Alemannisches Dialekthandbuch vom Kaiserstuhl und seiner Umgebung

Eichstetterisch um 1820

Für das 19. Jahrhundert können wir auf geschriebenes Kaiserstühler Alemannisch zurückgreifen und es direkt mit dem heutigen Dialekt vergleichen.

Vom ersten Viertel des 19. Jahrhunderts liegen Texte in Eichstetter Mundart vor, die in einer Ortsbeschreibung von Pfarrer Ernst Issel 1906 veröffentlicht wurden. Es handelt sich um einige Gedichte des Eichstetter Schuhmachers Andreas Moritz (1768 - 1831). Moritz schrieb die Gedichte im Dialekt seines Heimatorts - vielleicht angeregt durch die 'Alemannischen Gedichte' seines Zeitgenossen Johann Peter Hebel. Hören wir zunächst Andreas Moritz in einem Gedicht anläßlich der Vogtswahl 1822. Zuerst geht's um Geld und Schulden, dann fährt Moritz fort:

I red just nit vun dere Zit,
Denn wirkli hen die meiste nit,
Un z' Eichstett simmer alle glich,
S'het kein kei Geld, der Arm un Rich.
Doch wenn is Gott nur G'sundheit schenkt,
Un d' Rebe mit sim Sege tränkt,
Denn wemmer zahle, Jesisjo!
Will's Gott, mer sieht jo d' Sämli scho

('Sämli' (Seemá) sind die Fruchtansätze der Trauben vor der Blüte. Auf 'denn wemmer ...' kommen wir S. 85 zu sprechen.)

Die Sprache dieser Gedichte unterscheidet sich ein wenig vom heutigen Dialekt. Die Abweichungen betreffen meist das Lautliche und gehen dann in Richtung Hochdeutsch oder Markgräflerisch. Dies dürfte aber auf die Verschriftung zurückzuführen sein. Moritz (oder Pfarrer Issel oder der Verleger?) hat sich an der hochdeutschen und wohl auch an der Hebelschen Rechtschreibung orientiert.

An das Markgräflerische, mithin an die Sprache Hebels, gemahnt zum Beispiel 'füri' für víírí (nach vorn), 'Glück' für Gligg, 'hühle' für hiilá (weinen). Dies 'hühle' reimt Moritz aber auf 'ziele' (zielen) (siehe unten). Man darf daher annehmen, daß Moritz das 'hühle' geschriebene Wort hiilá gelesen hat - sonst hätte es sich nicht auf 'ziele' gereimt. Man muß annehmen, daß auch andere derartige ü's im Text keine lautgetreuen Schreibungen sind, sondern damals wie heute i oder í gesprochen wurden.

Ebenfalls an das Markgräflerische gemahnt das geschriebene ö in 'könnt', 'dört', 'döhne' (tönen, klingen) und in weiteren Wörtern. Das Verslein mit 'döhne' lautet:

Hum, denkt der Bock in Judestall,
Was git's, wiel d'Gloge döhne?
Denk wohl e Liecht e Truerfall,
I will's doch au go sehne.

('Liecht' (Lííchd) bedeutet 'Beerdigung'.)

'Döhne' und 'sehne' reimt sich nicht. Dagegen würde dheená und sehná noch annehmbar klingen. So wird es Moritz wohl auch gelesen haben. Man sagt wohl sáhná in Eichstetten. Aber gerade in Eichstetten fällt eine Übertreibung in Richtung e nicht sehr auf, dort haben etliche Wörter e, bei denen man vom westlichen Kaiserstuhl aus gesehen á erwarten würde, so zum Beispiel Fehler, Ghees (Käse), Reedlí (Rädchen), schdrehlá (kämmen). Eine solche Neigung zum e haben noch weitere Ortschaften am östlichen und südlichen Kaiserstuhlrand, in der angrenzenden Ebene und am Tuniberg (vgl. Klausmann).

Durch den Reim verraten sich noch weitere "Ungereimtheiten", Abweichungen gegenüber dem heutigen Dialekt, als bloße "Schreibfehler", als nicht lautgetreue Schreibung. Ein letztes Beispiel: Moritz reimt 'Freud' auf 'Kleinigkeit', also dürfte er 'Freud' wohl Fráid ausgesprochen haben.

Wenn man aber bedenkt, wie selbst heutige Dialektdichter an der hochdeutschen Rechtschreibung kleben, überraschen solche Abweichungen nicht. Man muß die Gedichte von Moritz als Pionierleistung anerkennen. Er hat das Verdienst, als einer der ersten, vielleicht als der erste in der Neuzeit, sich mit Kaiserstühler Dialektdichtung versucht zu haben.

Andere Eichstetter Besonderheiten sind durchaus verzeichnet, so scheibt Moritz 'i ha' (ich habe), 'am Vogt' (dem Vogt), 'Nahrig' (Nahrung). Sein 'brocht' (gebracht) reimt sich auf 'kocht' (gekocht) und ist daher - echt Eichstetterisch - kurz auszusprechen, anders als in der Umgebung, wo man broochd sagt. Sein 'gee' (geben) reimt sich auf 'zwee' (zwei), gee sagt man auch tatsächlich. Eichstetten ist (nach Klausmann) der nördlichste Ort eines gee-Gebiets, zu dem auch Bötzingen, die March, Gottenheim und weitere Tuniberg-Orte gehören. Gündlingen, Munzingen, Niederrimsingen und Waltershofen sagen gej für 'geben'; aber auch diese Sonderform muß aus gee entstanden sein. Westlich und nördlich von Eichstetten heißt 'geben' gáá.

nii oder iini?

Daß der Dialekt seit damals Verluste erlitten hat, dafür könnte der Gebrauch von 'ini' neben 'ni' (hinein) sowie von 'usi' (hinaus) sprechen. Solche Formen sind heute nur noch in der Schweiz, im Markgräfler Land und im südlichen Breisgau in lebendigem Gebrauch. Die Nordgrenze ihres geschlossenen Verbreitungsgebiets bilden heute Gündlingen, Wasenweiler, Gottenheim und Umkirch, sie sind aber in diesen nördlichsten Ortschaften schon am Zurückweichen.

Oder wollte Moritz nur die Stall- oder Tiersprache andeuten? Es gibt ja einige Wörter, die man nur zu Tieren sagt (vgl. hüüf S. 5). Wenn man ein Tier in der Dichtung sprechen läßt, wird es wohl in der Spache antworten, die es durch die Befehle seines Herren kennt. Und vielleicht so läßt Moritz das 'ini' und 'usi' den oben schon zitierten Geißbock sagen, der sich in die Kirche 'ini' schleicht. Der Bock sagt:

Was soll i bi der Raufe sto
Un no de Halme ziele?
I will e weng usi go
Un luge, wie se hühle.

Potz tauset 's könnt e Schnieder si,
I denkt's wiel Schnieder trage,
Jo wenn i' s wüßt, i hühlte gli,
Doch hör i nieme klage.

S lauf t alles zu der Kirche ni;
I will uff d' Schnieder warte,
I schmeck se scho, sie komme gli;
Schmalappes, Kamerade!

Jetz will i gschwind mit ini go,
S'wird ebbe kei verdrieße
Denn will i zwische beidi sto
Un beidi friendli grieße.

(Auf 'i hühlte gli' kommen wir S. 97 zu sprechen.)

Wenigstens den Hühnern ruft man in Eichstetten auch heute noch iini iini!, wenn sie in den Stall sollen. Das 'usi' aber ist gänzlich ungebräuchlich. Daher fällt auch ins Gewicht, daß im Gedichttext bei 'usi' der Rhythmus gestört ist. Statt 'usi go' würde "spaziere go", "ins Gässli go" oder etwas ähnliches besser passen. Sollte das störende 'usi' etwa durch fremde Hand in den Text gelangt sein? Pfarrer Issel lagen die Gedichte "teils handschriftlich, teils im Druck als Zeitungsabschnitte" vor; diese Papiere müssen damals 70, 80 Jahre alt gewesen sein, als er sie in sein Buch über Eichstetten übernahm. Vielleicht waren sie beschädigt; auch andere Möglichkeiten sind denkbar.

Bliebe noch das 'ini'. Auch wenn es nur zu den Hühnern gesagt wird, muß man fragen, wie es in die Sprache kommt. Könnte es nicht der Rest aus einer Zeit sein, in der solche Formen gut gebräuchlich waren? (Diese Vermutung bezüglich iini hat schon Klausmann geäußert.) Es gibt dafür etliche Hinweise:

* Wer noch Hühner hat und Alemannisch kann, schickt sie auch in Bischoffingen, Eichstetten, Oberrotweil und Riegel mit iini, iini in den Stall, vielleicht auch noch in weiteren Ortschaften. In Bötzingen sagt man - ausschließlich zu den Hühnern - allaa iini jedz!, zur Katze gang úsi! In Hugstetten, das Klausmann noch zum ini-usi-Gebiet gerechnet hat, habe ich keinen lebendigen Gebrauch dieser Wortformen mehr feststellen können; die Gewährsleute haben dort lediglich bestätigen können, daß iini zu den Hühnern, genau gesagt: zum letzten Huhn (!) gesagt wird oder wurde, wenn es nicht hinein wollte: mach daß iini ghunnsch! Das Bild rundet sich ab, wenn man weiß, daß in Gündlingen ufi, aabi, üsi noch allgemein, wenn auch nicht häufig, zu hören ist. Für 'hinein' sagt man ausschließlich nii - es sei denn zu den Hühnern: da heißt es iiná. (Siehe auch S. 473).

*In Endingen sagt man ausschließlich und ohne Wenn und Aber nii, daher auch zu den Hühnern gehn nii! Dafür gibt es aber nüsi (hinaus), naawi (hinuter), nufi (hinauf) sowie rüsi (heraus), raawi (herab) und rufi (herauf). Hier sind die Wortformen des westlichen und des südlichen Breisgau (vgl. 8. 74) vermischt. Diese Endinger Sonderform ist aber durch die rein westlichen Formen (nüs, rüs usw.) stark bedrängt und aus nicht-häuslichen, nicht-landwirtschaftlichen Themenbereichen bereits weitgehend verdrängt.

*In Schelingen sagt man iini, üsi, aawi, ufi. Doch auch in Schelingen wird diese Wortform eher nur noch von Älteren als von Jüngeren gebraucht. Interessanterweise hat sich in Schelingen der westliche Typ erst zur Hälfte eingebürgert. Das südliche iini kann ja nii und rii bedeuten, üsi bedeutet nüs und rüs usw. (vgl. S. 74). Doch wie die ältere Gewährsperson (geb. 1923) angab, sagt man, zumindest in ihrer Generation, neben den südlichen Formen ausschließlich rii, rüs, raa und ruf; die mit n beginnenden Formen haben sich noch nicht eingebürgert. In Schelingen bedeutet nii daher (wie iini) sowohl 'herein' als auch 'hinein".

Alles in allem finden sich nördlich ihres geschlossenen Verbreitungsgebiets auch heute noch etliche Reste von Formen wie 'ini' und 'usi'. Das deutet darauf hin, daß sie auch in der Kaiserstühler Gegend einmal gut verbreitet waren. Für Sasbach darf man dies als bewiesen ansehen. Dort bezeugt nämlich Josef Dierberger im Jahr 1901 (ich zitiere): "'ufí' (oder 'nuf'), 'aawí' (oder 'naa'), (...) 'iiní' (oder 'nii'), 'üsí (oder 'nüs')". Es haben also auch in Sasbach die südlichen Formen neben den nördlichen existiert, heute sagt man sie nicht einmal mehr zu den Hühnern. (Auf die Arbeit Dierbergers über die Sasbacher Mundart kommen wir weiter unten wieder zurück). In Eichstetten und vielleicht auch in weiteren Orschaften mögen die südlichen Formen zur Zeit von Andreas Moritz schon veraltet gewesen sein.

Frind, frindli

In einem anderen Gedicht des Schuhmachers fallen 'Frind' und 'Find' auf:

Au han i gar kei Frind.
Nei; alles isch mer Find.

Heute sagt man Fräind und Fäind. Beide Worte sind freilich nicht sehr gebräuchlich. Statt Fräind sagt man lieber Ghamraad - das Wort kommt auch bei Moritz vor, wenn er schreibt:

'Schmalappes, Kamerade!' Richtig eingebürgert ist heute Fräind nur für Schadz (Liebster). Daß Frind einmal am Kaiserstuhl, am Tuniberg und in der Umgebung verbreitet war, darüber gibt es keinen Zweifel: In der Redensart midánander Frind sij (entfernt verwandt sein) ist es nach meiner Befragung in Weisweil, Endingen, Eichstetten, Oberrotweil, Ihringen, Merdingen und sicher auch in weiteren Ortschaften noch in Erinnerung.

Was übrigens dieses 'Schmalappes' bedeutet, konnte ich in Eichstetten nicht mehr in Erfahrung bringen. Vielleicht ist es ein jiddisches oder hebräisches Wort; in einem jiddischen Wörterbuch habe ich einen ähnlichen Wortstamm gefunden. 'Schmalappes Kamerade' würde dann ungefähr 'Beeilung, Kameraden' bedeuten.

Mitlaute fehlen am Wortende bei Moritz in weiterem Maße als heute: 'natürli' (nadiirlig), 'friendli' (fräindlig), 'ordli' (ordendlig), usw., 'Biederma' (Biidermann), 'Stocklima' (der Mann mit dem Stöckchen). Dieses 'Maa' (Mann) bezeugt Heinrich Schreiber (nach Klausmann) 1825 auch für Freiburg. Auch bei den Wörtern auf '-li' darf man es für möglich halten, daß sie einmal in Eichstetten gebräuchlich waren. Heute enden diese Wörter, wie das Fettgedruckte zeigt, in Eichstetten auf -g.

Karte 11, S. 76 zeigt die heutige Verbreitung von -lig bzw. -li. in meinem Umfragegebiet am Wortbeispiel didli(g) (deutlich); -li ist auf den Süden zurückgedrängt. Zu erwähnen ist dazu, daß das -g auch in den -li-Orten wieder auftaucht, wenn -li in den Inlaut gerät: Man sagt etwa in Merdingen ich sih-s ganz didli, aber á didligi Schrifd. In zwei Ortschaften habe ich ausschließlich -lich ausmachen können, vermutlich hat diese schriftnahe Form eine der anderen verdrängt.

Was nun meine Karte nicht zeigt: Im geschlossenen -lig-Gebiet gibt es durchaus noch Reste von -li: Das g-lose 'wirkli' von Moritz habe ich noch in Endingen und Oberrotweil als wírgli angetroffen (in Weisweil, Eichstetten und Ihringen nur mit -g, vgl. S. 474). Das Wörtchen bedeutet 'zur Zeit'. In Amoltern ist mir durch Zufall meegli (möglich) aufgefallen. Auch in Oberrotweil sagte man früher isch-s dánn aü míígli oder já isch-s dánn gríschdämíígli (ist denn so etwas bei Christen möglich?!). Inzwischen stellte sich mir heraus, daß eine kleine Zahl von Wörtern ohne -g auch noch in weiteren Ortschaften gängig ist, dazu gehört auch friili (freilich, natürlich). Ich habe diese aber nicht systematisch erfragt.

Auch bei diesem Problem kommt wieder Hilfe aus Sasbach. Dierberger hat dort 1901 noch etliche Wörter (und zwar, wie er sagt, meist Adverbien (Umstandswörter)) auf '-lí' registriert:

"'liisli háárgangá' (still, leise verlaufen)", "'bleeslí gschbiirt' (kaum gespürt)", "'wirglí' (wirklich, soeben)", "'friilí' (freilich)", "'oordílí' (ordentlich, ziemlich (viel))", "'wáidlí' (schnell)", "'dsímlí' (ziemlich)", "'mííglí' (möglich)", "'ándlí' (endlich)"

Die letzten Drei kommen, so Dierberger, auch auf '-lík' vor; viele andere ausschließlich auf '-lík', so zum Beispiel

"'fríndlík' (freundlich)", "'dsáárdlík' (zärtlich)", "'bídángklík' (bedenklich)", "'rámlík' (häufig, zahlreich)".

Von diesen Wörtern sind heute in Sasbach 'bleeslí' ("blöß-lich", von 'bloß'), 'wáidlí' und 'rámlik' vergessen, statt 'oordílí' sagt man oordlig; 'ándli(k)' hat jetzt wohl immer '-k' (nach meinem Gehör: -g); liisli ist wohl noch zu hören, doch häufiger sagt man heute liislig. Wírgli im Sinne von 'zur Zeit~ ist noch gängig; wenn aber 'wirklich, tatsächlich' gemeint ist, sagt man wírglig.

In Eichstetten, wo Moritz einst 'wirkli' schrieb, sagten meine Gewährsleute in jedem Fall wírglig, also mit -g. Ein Befragter erklärte aber spontan, er habe noch von der Großmutter im Ohr, wie sie möásch wáidli láufá (du mußt schnell gehen) sagte. Klausmann und die Exploratoren (Befrager) des Südwestdeutschen Sprachatlas haben letzte Spuren von wáidli in allen Breisgauer Ortschaften ausmachen können, und zwar in der Redewendung:

dr síhd níd guád, dr häärd níd guád
un ghaa níd wáidli laüfá

So gelautet sagte es die Mutter des Verfassers erst kürzlich im Spaß zum kleinen Enkel, als er irgendwo dazwischen fiel und nicht mehr vor und nicht mehr zurück konnte ...

Auch die Schlußfolgerung, die wir aus all dem ziehen müssen, ist unausweichlich: In Eichstetten und wohl auch in weiteren Ortschaften müssen g-lose Formen einmal stärker als heute verbreitet gewesen sein, in manchen Ortschaften vielleicht sogar vorgeherrscht haben.