Ä Door
un ä Schlissel
uff eimol ä Schdilli
wu dr fascht griffe kasch
dü weisch
daß d Ärde sich widderdrillt
un einewäg
ischs schdill in dir
Baim Gras Kieselschdeinli
feschdi dunkli Grabstei
rundi weichi Sandschdei
fremdi Böächschdabe
un Nämme
wu dr nur vum vrzelle kännsch
1940
un denno?
S wär doch gnöä Blatz
zum Läbe
un zum Schdärbe gsi
in dir ischs schdill
zöä Schdaub verriesele
deä alde Schdei
vrdeckt vum weiche Äpaideppech
Sunnewirbili vrschdraie d Some
d Kenigskerze schdrecke sich
un in dir ischs ganz schdill
well dr weisch
dur d Gwalt
gehn soviel Läbensdraim vrlore
wänn mir des jetz vrgässe
bliebe allei
nur no
d Nämme im Schdei
 
Gedanken bei einem Besuch des jüdischen Friedhofs in Eichstetten Erna Sonner

 

Alemannisches Dialekthandbuch vom Kaiserstuhl und seiner Umgebung

Die Alemannen:
Friedhofsschänder und Ausländerhasser?

Eine Auseinandersetzung mit den Thesen Walter Moßmanns

 Das Alemannische im Breisgau, namentlich in der Kaiserstühler Gegend, hat in den 70er Jahren im Zuge des Kampfes gegen das geplante KKW in Wyhl eine wenigstens zeitweiligen Aufschwung erhalten. Auch in anderen Gegenden der deutschen und der französischen Republik kam es zu ähnlichen Entwicklungen. So selbstbewußt, wie man politisch handelte, so selbstbewußt sprach man auch wieder seine alte, angestammte Sprache. Der Verfasser dieses Buches weilte in jener Zeit in Norddeutschland. Doch ohne den Einfluß der Anti-AKW-Bewegung am Kaiserstuhl und ohne das damalige sprachliche Erwachen im Elsaß wäre es zum vorliegenden Buch vielleicht nicht gekommen.

In diesen Kämpfen gegen das AKW Wyhl vor nunmehr über 15 Jahren trat ein Walter Moßmann als Liedermacher auf der Seite der Kaiserstühler auf. Moßmann sprach das Alemannische nicht, doch er sang damals, dem Geist der Zeit entsprechend, das eine oder andere Lied im hiesigen Dialekt. Dann gingen unbewegte Jahre ins Land. Und als im August 1990 der jüdische Friedhof in Ihringen geschändet wurde, war für ihn der Zeitpunkt gekommen, sich von seinen ehemaligen Freunden in den Rheinauen und in der Rebenlandschaft zu distanzieren, zumindest von einigen. Es geschah in der Badischen Zeitung (BZ-Magazin) vom 13./14. 8. 1991 und in einer Fernsehsendung des SWF am 2. 9. 91. Und wenig später auch im Rundfunk (SWF 1, 26. 3. 1992). Während Moßmann hier alte Freunde verloren gab, fand er einflußreiche neue - in der Medienlandschaft.

Vom Fernsehsprecher erfahren wir: “Bei vielen, die damals ihre Heimat vor fremdem Zugriff und vor Gefahr schützen wollten, diagnostiziert Moßmann heute Motive, die er damals übersehen hatte oder des gemeinsamen Zieles wegen hat übersehen wollen.“ Doch hören wir Moßmann selbst (Südwest 3, 2. 9. 1991):

“Es is ja auch so, daß nicht nur hier, sondern überall, in Mitteleuropa jedenfalls, in Norddeutschland, in Osterreich und überall, wo ich‘s weiß, die ersten Gruppen gegen die Atommafia mitinitiiert worden sind von alten Nazis und Leuten, die dazu Beziehung hatten, weil die waren einfach trainiert auf Wachsamkeit, was das Erbgut anbetrifft, und als die hörten, daß Radioaktivität das Erbgut beschädigt  - was ja auch stimmt - haben die die Alarmglocke geschlagen. Die meinten natürlich vor allem unser wertvolles Herrenmenschen-Rassenerbgut und das steckt in diesem Heimatschutz als ambivalentes Element überall drin, so - immer.“

Moßmann hält seine Erkenntnisquellen leider im Dunkeln - wir erfahren nicht, wer die alten Nazis vom Kaiserstuhl sind, die die hiesige Anti-AKW-Bewegung mitinitiiert haben sollen, erfahren auch nicht, wie und mit welchem Erfolg. Doch sein zweiseitiger Artikel “Der Pfahl im Löß“ in der Wochenendbeilage der BZ gibt zumindest Andeutungen. Wie wir daraus wissen, gibt es in Ihringen “einen älteren Herrn mit großen Verdiensten gegen das AKW Wyhl“. Dieser Herr, so berichtet Moßmann weiter, sagte über den Täterkreis der Friedhofsschänder: “Wahrscheinlich waren es die Juden selber, daß sie noch mehr aus uns herauspressen können!“. Außerdem erfahren wir von Moßmann, daß er an einem Stammtisch in Endingen “drei Herren“ antraf, die gegen Juden und Asylbewerber vom Stapel zogen.

Die Informationen Moßmanns bezüglich dieser Herren wollen wir nicht in Zweifel ziehen, zumindest nicht bezüglich der Herren vom Stammtisch. Wer wollte leugnen, daß es auch in der Kaiserstuhlgegend Vorurteile gegen Juden und gegen Asylbewerber gibt? Das zu leugnen, hieße ja zu behaupten, die Kaiserstühler wären andere Menschen als die anderen.

Und doch meinen Leute, die Kaiserstühler seien anders - anders im negativsten Sinn. Der jüdische Friedhof von Ihringen liegt nicht im Ortskern wie etwa in Breisach oder Freiburg, sondern mitten im Rebgelände; seit einigen Jahren ist er von der Landstraße her ausgeschildert. Jeder, die hier einmal durchfuhr, konnte wissen, daß dort ein jüdischer Friedhof ist. Und im Buchhandel war wenige Monate zuvor ein Ausflugsführer zu den “Spuren jüdischen Lebens in Baden-Württemberg“ (von Susanne Wetterich) erschienen, in dem auch die Anreise zum Ihringer Judenfriedhof beschrieben ist. Jeder Mitteleuropäer, der ein Auto oder Moped besitzt, konnte diesen Friedhof also bequem erreichen und nachts ungesehen und ungestört schänden. Als es dann geschah, haben sich offenbar Ihringer dagegen verwahrt, daß die Täter Einheimische sein sollen. Das trug ihnen heftigen Widerspruch in der Presse ein. Etliche Leserbriefschreiber - vornehmlich aus Freiburg - stellten es in der Badischen Zeitung als wahrscheinlich oder naheliegend dar, daß die Täter gerade aus Ihringen kommen müßten. Man hielt den Ihringern zum Beispiel ihre Wahlergebnisse von 1933 vor und führte dagegen Freiburg als positives Beispiel an, wo die Nazis kaum die Hälfte der Prozente bekommen hatten. Über die heutigen Wahlergebnisse sprach niemand.

Aber die Ergebnisse der Bundestagswahl im Jahr, als der Friedhof geschändet wurde, unterschieden sich in Ihringen-Ort kaum von denen in der nahegelegenen Universitätsstadt. Das Kräfteverhältnis der drei Altparteien war ungefähr wie in Freiburg. Rechtsradikale Parteien erhielten in der Universitätsstadt 2,1%, in Ihringen 2,5%. Die rechtsradikalen Stimmen in Ihringen gingen fast ausschließlich an die “Republikaner“; die NPD und die “Patrioten“ erhielten nur je eine Stimme; in Freiburg dagegen waren diese zwei radikaleren Rechtsgruppen verhältnismäßig stärker.

Im Januar 1991 kam es erneut zur Schändung des gleichen Friedhofs. Eine Redakteurin der Badischen Zeitung verbreitete die Mutmaßungen Betroffener wie folgt:

“Und sicher sind sie sich auch, daß es sich bei den Tätern um Leute handeln muß, die aus der näheren Umgebung kommen, sich auskennen. Denn nicht nur jetzt, sondern auch im vergangenen Jahr war das Grab des letzten Vorstehers der jüdischen Gemeinde Ihringens auf besonders widerwärtige Art angegangen worden. Das setzt ortsgeschichtliche Kenntnisse voraus.“ (BZ, 16. 1. 1991)

Ortsgeschichtliche Kenntnisse! Vor dem geistigen Auge des BZ- Lesers mußte sich jetzt ein Bild auftun, wie Ihringer Großväter ihre Enkel auf die Spur hetzen, wie sie ihnen einflüstern, wer der letzte Vorsitzende der jüdischen Gemeinde Ihringens war. In der Tat genügte es aber, daß die Täter lesen konnten. Wer das Schild an der Landstraße zu lesen vermochte, konnte, mit etwas mehr Mühe, auch entziffern, was auf einem unscheinbaren Grabstein in der Mitte der ersten Reihe steht:

“MAIER MAYER, Vorsteher, 1861 - 1934“.

Die Redakteurin hat die Inschrift offenbar übersehen; die Grabschänder offensichtlich nicht.

Auch die Stimmungsbilder, die Moßmann im BZ-Magazin aus Ihringen vermittelt, zeigen es als spießiges, faschistoides Nest, als ideales Milieu, um Judenfriedhofsschänder hervorzubringen. Doch dann, im gleichen Artikel, die unsägliche Ehrenerklärung Moßmanns für die Endinger:

“Ich nehme nicht an, daß irgend ein Bürger aus Endingen mit von der Partie war, als nächtens im Ihringer Judenfriedhof das Grab des Gemeindevorstehers Meyer nach Dracula-Art gepfählt wurde. Sowas kann ich mir überhaupt nicht vorstellen.“

Eine Ehrenerklärung für die Endinger - nicht aber für die Ihringer, die von überall her unter Beschuß waren. Moßmann ist sich sicher, daß ein Endinger es nicht war, es ist ihm geradezu unvorstellbar. Und dies, obwohl er auch bei ihnen das Fortleben des mittelalterlichen Antisemitismus “diagnostizert“ und im BZ-Magazin breittritt (*). So wie Ihringer Bürger sich fassungslos vor ihre Gemeinde gestellt haben, stellt sich Moßmann nun vor die Endinger. Warum eigentlich kein Endinger? Sind Endinger anders als die Menschen in anderen Städten und Dörfern? Anders als Ihringer?

Die weiteren Einlassungen Moßmanns zeigen aber, daß er die Sache doch nicht an einer bestimmten Ortschaft festmachen will. Nachdem er in der Badischen ein Dorf und eine Kleinstadt überführt zu haben glaubt, holt er - diesmal im Fernsehen - gegen die alle Ortschaften verbindende Kultur und den Dialekt aus:

“Der Dialekt schleppt ja auch, wie die ganze Volkskultur, tausendjährige Vorurteile mit sich. Zum Beispiel diese unheimliche - ich mein das im Ernst - diese unheimliche Glorifizierung des Heimischen, des Wir, des Die-Unseren, unser Dorf, unsere Region, die Heimat, das Eigentliche, das Einheimische, mit der entsprechenden Diffamierung und der Angst und dem Haß vor dem Fremden, dem Uneigentlichen, dem Zersetzenden, dem Gefährdenden. Und das kippt dann irgendwann zu einer Zeit, in dieser Unruhe, wo alle Strukturen durcheinander waren, da hat sich viel gerichtet an Heimatschutz - richtig gerichtet - gegen die Atomindustrie. Aber jetzt geht‘s gar nicht mehr drum, Atomkraftwerke zu verhindern, sondern den Bau von Moscheen, in unserer Raumschaft, in unserer Heimat.“

Den Bau von Moscheen zu verhindern! Die real existierenden hiesigen Volksbewegungen interessieren sich auch derzeit, über 15 Jahre nach Wyhl, immer noch für ökologische Probleme, so geht es etwa um eine geplante Mülldeponie am Tuniberg, um eine geplante Schulsportanlage im schutzwürdigen Endinger Erletal; in Breisach und Umgebung wurde eben eine Müllverbrennungsanlage abgewehrt. Der Kampf gegen Moscheeprojekte “in unserer Heimat“ ist indessen ein reines Phantasiegebilde Moßmanns. Möge seine Vision immer eine Vision bleiben!

Andererseits ist aber auch der Breisgau nicht gänzlich unberührt von Bewegungen der Art, wie Moßmann sie an die Wand malt. Wenige Tage, nachdem die “Geschichten aus dem Wyhlerwald“, der Film mit Moßmann, ausgestrahlt wurde, geschah Hoyerswerda, erreichte eine Pogromwelle gegen Asylbewerber in ganz Deutschland ihren Höhepunkt. Auch im Ballungsraum Freiburg flogen Brandsätze gegen wehrlose Menschen, Männer, Frauen und Kinder.

Doch die Generation, die hitzköpfig und mobil genug für solche Anschläge ist, spricht an den meisten Breisgauer Orten des Geschehens entweder von Haus aus Hochdeutsch wie Moßmann oder eine Sprache, die oft nur noch vom Klang und von den Endungen her ans Alemannische erinnert. Nun wäre es an der Zeit gewesen für “Statements“ wie “Das Hochdeutsche schleppt ja auch, wie die ganze Hochkultur, tausendjährige Vorurteile mit sich“ usw. usf. Jetzt wäre zu sagen gewesen, in welcher Sprache ‘Mein Kampf‘ geschrieben ist. Doch nichts von alledem. Moßmann hatte im BZ- Magazin zwar programmatisch erklärt: “Die Aufgabe heißt Nestbeschmutzung.“ Doch er und Gleichgesinnte meinen offenbar nicht das eigene Nest, sondern das Nest der anderen, die “Nester“ am Kaiserstuhl.

Die “Nester“ in der Kaiserstuhlgegend sind freilich von der Pogromwelle kaum erreicht worden; nur in einer Gemeinde nahe des Rheins, wo man noch stärker Dialekt spricht, kam es zu - zum Glück stümperhaften - Anschlägen auf Unterkünfte von Asylbewerbern. Aus der örtlichen Bevölkerung bildete sich eine Initiative, die Schutz und Solidarität organisierte. Zwei Täter, ein 16- und ein 17-jähriger vom Ort, sind inzwischen überführt. Wie kompliziert die Wirklichkeit einer Region ist, zeigt sich, wenn man das Beispiel eines anderen, nahegelegenen Dorfes hinzunimmt: In dieser Weinbaugemeinde formierte sich Widerstand gegen die Schikanierung von Asylbewerbern durch die Behörden; örtliche christliche Jugendgruppen konnten in dieser Ortschaft innerhalb kürzester Zeit über 800 Unterschriften gegen die Schikanen sammeln.

Das Rezept der Diffamierung à la Moßmann aber ist einfach: Man greife einige wirkliche oder erfundene Menschen heraus und stelle sie in den Dunstkreis des Faschismus. Man ordne ihnen zu, was man bekämpfen will: den Dialekt, den “Heimatschutz“ (was auch immer das sei). Man unterlasse es tunlichst, Gegenbeispiele zu bringen, Beispiele aus dem demokratischen Leben des betreffenden Gebiets. Man messe mit “Zweierlei Maß“ - während bei einem die Sprache zum Indiz wird, nämlich beim Dialektsprecher, wird sie beim anderen, beim Hochdeutschsprecher, nicht beachtet. Kurz: man werfe die Nebelkerzen so, daß alles unentwirrbar unter ihnen verschwindet: der Faschismus, der Dialekt, die Kaiserstühler. So macht man den Gegner unmöglich, mundtot ...

 

Dürfen Alemannen sich behaupten wollen?

Doch nicht alle Dialektsprecher lassen sich mundtot machen. Das Fernsehen konnte nicht umhin, in der Sendung, die an sich auf die Selbstdarstellung Moßmanns abgestimmt war, auch Alemannen zu Wort kommen zu lassen. Ein namhafter Wyhlkämpfer, wir haben ihn in einem anderen Kapitel schon zitiert, ruderte die Fernsehleute mit dem Drübord, einem Fischerboot, durch die Rheinauen und sagte:

“Unseri Regjoon doo, unseri Därfer, sin immer ufgschlossá gsii fir alles Frámdé. Au fir frámdi Lit, wu zuáziágá. Nadiirlig het-mr Angscht vor-erá Iiberbevelkerung üs frámdá Regjooná, diá Angscht het-mr un ich mein, des kaa-mr äu niámes vrdánká. Aber Frámdáfäindligkeit kennt ich nit saagá, dánn wánn Frámdi schonámool bi uns sin un si vrsuáchá, sich einigermaaßá aazglichá, dann sin si sähr schnáll aglimatisiárt un sin sähr schnáll in d Gmeinschaft ufgnummá.“

Als das Fernsehteam zurück ins Dorf und beim Bootsführer auf das Anwesen fuhr, wollte es der Zufall, das das Kind der kurdischen Asylbewerberfamilie von nebenan auf den Hof lief - wie immer, wenn beim deutschen Onkel etwas los ist. Die Szene hätte Bände gesprochen - doch sie paßte nicht in die Regie. Die Kameras blieben stumm.

Der Mann mit dem Fischerboot meint also, man könne es niemandem verdenken, wenn er Angst vor einer Überbevölkerung aus fremden Regionen hat. Dies meint er und pflegt freundschaftlichen Umgang mit den Asylbewerbern von nebenan. Ich versuche, seine Aussage zu interpretieren - viel von seinen Aussagen zu diesem Problem hat die Schere der Filmemacher nämlich nicht übriggelassen.

Fremde Regionen - das kann Ausland, aber auch Inland sein. Überbevölkerung - das ist, wenn es zuviel sind, wenn die angestammte Bevölkerung zur Minderheit wird und nichts mehr zu sagen hat. Kulturell ist dies im Breisgau jetzt schon überall der Fall, jedenfalls in der offiziellen Kulturmaschinerie. Mit Kulturmaschinerie ist gemeint Fernsehen, Rundfunk, Erziehungs- und Schulwesen, politische Gremien, Kirche, um nur die wichtigsten Institutionen zu nennen.

Die kulturelle Beherrschung, die ich in anderen Kapiteln nachzuweisen versuche, geht nicht von der Masse zuwandernder In- und Ausländer aus, sondern von der kleinen Schicht, die die Kulturmaschinerie lenkt und ausfüllt. Darunter sind auch verhochdeutschte Alemannen. Die Masse der hochsprachlichen Zuwanderer bildet aber den Rohstoff, durch den die Maschinerie wirkt, den Asphalt, durch den die Teermaschine die Dialektlandschaft frißt.

Ein Beispiel: die Kinder in Freiburg, in den Wohndörfern um Freiburg und in den Industriedörfern würden allein durch das Fernsehhocken nicht verhochdeutschen, sowenig wie die Schweizer Kinder, bei denen fast alle Filme hochdeutsch und importiert sind. Die Verhochdeutschung kann nur durchschlagen, weil ein oder zwei Drittel der Mitschüler hochsprachlich sind und weil die Schulbürokratie die Dialektkinder kulturell als Fremde behandelt. Alemannisch erhält ebensowenig Förderung und Beachtung wie Türkisch oder Bengalisch. Die Kulturbürokratie fördert allein die hochsprachlichen Kinder, fördert die hiesigen Kinder nur, insofern sie hochdeutsch sprechen oder fördert sie, damit sie hochdeutsch sprechen. Die alemannischen Schüler verlieren in diesem Umfeld ihre Muttersprache, wenn sie nicht wenigstens an anderer Stelle stark gepflegt wird.

Aufgrund der realen Machtverhältnisse in der Kultur müssen sich Ausländer in der hochdeutschen Kultur einordnen. Sie können es sich nicht leisten, doppelt minderberechtigt zu sein - als Ausländer (Inhaber eines fremden Passes) und als Sprecher des Alemannischen. Wer könnte es ihnen verargen, wo schon alteingesessene Eltern ihre Kinder zum Hochdeutschen drängen? Die Ausländer schließen sich meistens der hochdeutschen Sprachgruppe an. Ausnahmen davon gibt es freilich, vor allem in Gemeinden, wo das Alemannische noch eine starke Stellung hat.

Die Schicht mit der privilegierten Sprache wird also von Menschen mit und ohne deutschem Paß gebildet. Ein Unterschied zwischen hochdeutsch sprechenden Deutschen und hochdeutsch sprechenden Ausländern besteht aus der Sicht der Erhaltung des Alemannischen überhaupt nicht. Die Förderung oder Zurückdrängung des Alemannischen geschieht, mal so, mal so, durch die deutsche wie durch die ausländische Bevölkerung. Doch an den Schalthebeln der Kulturinstitutionen und der Medienwelt finden wir fast ausschließlich Deutsche, genau gesagt: Hochdeutsche.

In anderen Kulturfragen verlaufen die Grenzen der Unterschiede ebenfalls nicht oder nicht unbedingt entlang nationaler Scheidelinien. Ein Südbadener kann zum Beispiel in seinen Lebensauffassungen einem ländlichen Bewohner vom Mittelmeerraum oder aus einer anderen Weltgegend näher stehen als dem Bewohner einer norddeutschen Großstadt. Wie dem auch sei, die Unterschiede mögen noch so groß sein. Der Drübord-Führer meinte wohl zurecht, daß Fremde sehr schnell in die Gemeinschaft aufgenommen sind, wenn sie versuchen, sich ein bißchen anzupassen. Die Anpassung der Fremden zu wünschen ist aber fast schon sinnlos an Orten, wo Freiburger, Gundelfinger, Umkircher, Denzlinger Verhältnisse herrschen, wo die angestammte Bevölkerung zu einer kleinen Minderheit geworden ist. Dort gleicht der Wunsch, die Zugezogenen mögen sich ein bißchen nach den Einheimischen richten, dem Wunsch, der Elefant möge sich nach der Maus richten. Daher auch der vorrangige Wunsch, die angestammte Bevölkerung möge erst gar nicht in die Lage der Maus kommen.

Die binnendeutsche Siedlungsbewegung, die Nord-Süd- und die Ost-West-Wanderung aufhalten zu können, hat wohl niemand Hoffnung. In den Fragen der Einwanderungspolitik und des Asylrechts gibt es bei den Alemannen ebensoviel unterschiedliche und gegensätzliche Meinungen wie in der demokratischen Öffentlichkeit anderer Regionen auch.

Feststellungen zu machen über Fremde und Überbevölkerung bedeutet nicht automatisch, jüdische Friedhöfe zu schänden oder Sprengsätze für Asylbewerber bereit zu halten. Es bedeutet nicht einmal, daß die betreffende Person irgendwelche moralischen Defizite haben muß. Aber das Bild vom faschistoiden Alemannen, vom faschistischen “Heimatschutz“ macht denen, die kulturell herrschen oder herrschen wollen, die Sache leichter. Es herrscht sich leichter, wenn man die Beherrschten für sündig erklärt.

Wenn man zum Fremden im eigenen Land wird, wenn man dies bedauert und aufhalten will, ist dies in Wahrheit sowenig sündig wie der Wunsch und die Forderung der Indianer, nicht noch weiter verdrängt zu werden.

Die Alemannen wären aber schlecht beraten, wenn sie meinten, der Kampf um ihre Selbstbehauptung wäre ein Kampf gegen andere Menschen und Hautfarben. Die hochsprachliche und hochkulturelle Seite versucht, den Dialekt und die Volkskultur zurückzudrängen - ihre wirksamsten Mittel sind Schule, Radio, Fernsehen und andere Kulturinstitutionen. Dagegen müssen die Alemannen versuchen, ihre Kultur attraktiver zu machen und verlorenes Gelände zurückzugewinnen. Diese Bemühungen müssen sich an die Alemannen selbst richten und an die hochsprachlichen Mitbürger (einschließlich Ausländer). Das ist ein Kampf um, nicht gegen Menschen. Allerdings muß er auch gegen die jetzige Politik der Kulturinstitutionen, für alemannische Rechtspositionen in diesen Institutionen geführt werden.

Es gibt in Mitteleuropa eine Nation, die in ihrer Hymne ihr Land “über alles“ stellt; die Hymne ist freilich umstritten. Sicher ist: beim Kampf der Alemannen, den der Verfasser meint, geht es nicht um “Alemannentum über alles“. Der Kampf der Alemannen um ihr kulturelles Überleben steht im Zusammenhang der Überlebensprobleme aller Menschen. Ich sehe das alemannische Problem nur als einen Teil der Probleme in der hiesigen Gesellschaft und in der Welt an und nicht einmal als den wichtigsten. Mein Versuch, das alemannische Problem in die allgemeinen Probleme der Gesellschaft und der Welt einzuordnen, ist in den Kapiteln “Sollen wir das Alemannische erhalten?“ und “Der moderne Zeitgeist - ein Narrengeist“ dokumentiert.

(geschrieben im Sommer 1992)

(*) (Anmerkung zur Internet-Ausgabe:) Antisemitismus in Endingen; Anwürfe gegen Karl Kurrus. In Endingen wurden um1470 drei Juden verbrannt, die angeblich eine christliche Familie ausgelöscht hatten. Mumien zweier "Unschuldiger Kinder", die dieser Familie angehört haben sollen, waren in einem Schrein in der Endinger St. Peterskirche bis 1967 ausgestellt. Der Endinger alemannische Dichter Karl Kurrus untersuchte die Geschichte dieser "Unschuldigen Kinder" und veröffentlichte 1965 seine Ergebnisse. Für das Gerücht, Juden hätten die Familie ermordet, fand er keinerlei Beweise oder Anhaltspunkte. Er konnte vielmehr aufzeigen, "wie furchtbar sich Vorurteile voller Haß jahrhundertelang auswirken können." Mit seiner Veröffentlichung erreichte Kurrus die Entfernung des Schreins und das Ende dieses antisemitischen Kults.

Walter Moßmann wartet nun in seinem Artikel "Der Pfahl im Löß" (Quellenangabe und Link siehe oben) mit Tatsachen über den "Endinger Antisemitismus" auf, die Kurrus größtenteils schon 1965 veröffentlicht und 1987 noch einmal in einer fast 300seitigen Dokumentation der Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat. Moßmanns Leser, die die Untersuchungen von Kurrus nicht kennen - das sind sicher über 99% - müssen meinen, es handle sich um frische Forschungen von Moßmann. Nachdem er sich unter stillschweigender Zuhilfenahme der Quellen und Ergebnissen des Endinger Mundartdichters als scharfsinnigen Historiker und aufrechten Anti-Antisemit präsentieren konnte, warf er dem Endinger Inkonsequenz vor. Kurrus, so moniert Moßmann, wies

"... die Zumutung weit von sich, nun endlich um der Erkenntnis willen den Prozeß zu eröffnen gegen kirchliche Tradition, gegen Heimat- und Brauchtumspflege, gegen den Antisemitismus als Grundmuster deutscher Volkskultur. Die notwendige Nestbeschmutzung fand nicht statt."

Der in Ihringen aufgewachsene Oberkirchenrat i.R., Dr. Hansjörg Sick, von Moßmann versehentlich für den Pfarrer von Ihringen gehalten und in "Der Pfahl im Löß" mitangepinkelt, kommentierte in einem Leserbrief diesen Mann, der alle Pfähle sieht, nur die im eigenen Auge nicht, mit den Worten:

"Mein Gott, dachte ich beim Lesen, wie gut, dass du damals im Hitlerreich nicht so einem im braunen Hemd begegnet bist." (Badische Zeitung, 16. 8. 1991)

zruck noch obe in dr Text

zruck zu Dialektautoren/Karl Kurrus